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    Die Entführung von Michel Houellebecq
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Entführung von Michel Houellebecq
    Von Michael Meyns

    Die Vermischung von fiktiven und dokumentarischen Formen ist ein Thema, das seit Jahren die Sektion Forum der Berliner Filmfestspiele prägt. Geradezu idealtypisch passt Guillaume Niclouxs „Die Entführung von Michel Houellebecq“, der auf der Berlinale 2014 seine Premiere feiert, dazu. Dieser Film ist ein… ja was eigentlich? Eine nachgestellte Dokumentation, pure Fiktion oder Satire? Angeblich wird im Film nachgestellt, was in einigen Tagen im Herbst 2011 passiert ist, als Skandalautor Michel Houellebecq sich auf einer Lesereise in Belgien und Holland befinden sollte, aber plötzlich nicht mehr aufzufinden war. Besonders in der französischen Presse schlug das Verschwinden des Literaturstars hohe Wellen, man munkelte gar von einer Entführung durch al-Qaida. Aus diesem Gedanken hat der Autor und Regisseur Nicloux nun einen Film gemacht, der auf sehr clevere, sehr unterhaltsame Weise mit der Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Persönlichkeit einer Berühmtheit und ihres öffentlichen Bildes spielt.

    In seiner Wohnung sitzt der berühmte Autor Michel Houellebecq (gespielt von Houellebecq selbst) und unterhält sich über Wohnungseinrichtungen und Tapetenfarben. Kurz bevor er zu einer Lesereise aufbrechen will, wird er im Aufzug seines Hauses von drei Männern, die wie Bodybuilder ausschauen, entführt. In einer Kiste wird er ins Haus der Eltern eines der Entführer gebracht, wo er ein paar Tage verbringt. Ans Bett gekettet verlangt Houellebecq ständig nach Zigaretten und Rotwein wird aber zunehmend Teil der Familie: Man diskutiert über Fragen der Literatur, feiert den Geburtstag des Autors (der sich für diese Nacht eine Prostituierte wünscht) und nach einigen Tagen ist der Spuk vorbei. Zum Abschied verspricht  Houellebecq seinen Gastgebern bzw. Entführern noch, sie bald wieder besuchen zu kommen…

    Abgesehen von Michel Houellebecq, der sich selbst bzw. eine Variation seiner selbst spielt, hat Regisseur Guillaume Nicloux („Die Nonne“) sämtliche Rollen mit Laien besetzt (etwa mit dem Martial-Arts Kämpfer Mathieu Nicourt), die quasi sich selbst spielen könnten. Im Abspann wird den Akteuren dann auch keine Rolle zugewiesen, was den Anschein, dass es sich hier um eine Nachstellung tatsächlicher Ereignisse handelt, noch erhöhen soll. Doch natürlich ist dies reine Fiktion, spinnt Nicloux aus skandalträchtigen Zeitungsmeldungen und einem kurzen Sturm im Internet einen Film, in dem weniger über den Menschen Michel Houellebecq als über die öffentliche Kunstfigur „Michel Houellebecq“ erzählt wird.

    Wenn man hier „Houllebecq“ sieht, wie er sich ziert zu einem arabischen Taxifahrer ins Auto zu steigen und lieber läuft, ständig raucht und trinkt und nach Sex verlangt, dann ist das nicht unbedingt der echte Houllebecq, sondern die Version seiner selbst, die in der Öffentlichkeit steht, die er dieser auch zeigen will. Geradeso wie in seinem letzten Roman „Karte und Gebiet“, wo der Autor Houllebecq eine Figur namens „Michel Houllebecq“ einführt und später ermordet, spielt auch Nicloux mit der Wahrnehmung von Personen des öffentlichen Lebens, mit Kunstfiguren und der Lust am Skandal, der einer einfachen Erklärung meist vorgezogen wird.

    Mit stoischer Miene, heruntergezogenen Mundwinkeln und fast ständig einer Zigarette zwischen den Fingern spielt Michel Houellebecq seine Rolle, die vor allem das Bild bestätigen soll, das die Öffentlichkeit ihm hat: Houellebecq  als kettenrauchender Alkoholiker, sexsüchtig, misanthropisch und rassistisch - ein echtes Ekel also und ein Mann, der sich selbst zum Bestandteil seiner Romane macht, der die Figuren teilweise deutlich an sich anzulehnen scheint. Aber eben nur scheint, denn ob der mit seiner Frau zurückgezogen lebende Autor tatsächlich ständig in Swinger-Clubs unterwegs ist, wie ihm unterstellt wird? - Wer weiß das schon…

    Erstaunlich an „Die Entführung von Michel Houellebecq“ ist schließlich, wie überzeugend die Houellebecq umgebenden Laien agieren, wie natürlich es wirkt, wenn da jemand über Lovecraft räsoniert, eine der großen Inspirationen des Autors, oder die Mutter ganz selbstverständlich ein junges Mädchen aus dem Dorf engagiert, das mit Houellebecq die Nacht verbringen soll. So absurd wirkt diese Geschichte einer Entführung, dass man sich fast wünschte, sie wäre wahr. In besonderer Erinnerung bleibt eine Szene, in Houellebecq am Tisch sitzt und lacht, übrigens das einzige Mal im gesamten Film. Es ist ein Lachen, das vielleicht einen Blick hinter die Charade ermöglicht, doch wer weiß in diesem überaus cleveren Spiel mit Realität und Fiktion am Ende noch, was wirklich echt und was gespielt ist?

    Fazit: Mit „Die Entführung von Michel Houellebecq“ gelingt Guillaume Nicloux ein sehr cleveres, intelligentes und nicht zuletzt höchst unterhaltsames Spiel mit der Wahrnehmung von Michel Houellebecqs öffentlicher Person. Wahrheit und Schein verschmelzen zu einem komplexen Film, der die angebliche Entführung des Autors zum Anlass hat.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2014. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 64. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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