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    Vom Ende einer Geschichte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Vom Ende einer Geschichte
    Von Michael Meyns

    Gediegenes, oft auch etwas behäbiges britisches Kino ist die Literaturverfilmung „Vom Ende einer Geschichte“, der zweite Film des indischen Regisseurs Ritesh Batra, der vor einigen Jahren mit „Lunchbox“ für internationales Aufsehen sorgte. Nun hat es ihn erzählerisch von Indien nach England verschlagen - und zwar in ein England, wie es typischer (oder auch klischeehafter) nicht sein könnte, geprägt von Selbstironie, Pubs und Internatsschulen. Die hervorragenden Schauspieler, allen voran Oscar-Preisträger Jim Broadbent („Iris“), geben in der Geschichte um Erinnerung, Schuld und Lebenslügen spürbar ihr Bestes, können aber nicht immer übertünchen, dass die besonderen literarischen Qualitäten von Julian Barnes‘ preisgekröntem Roman sich auf der Leinwand nur in Teilen wiederfinden und es Batra auch nicht wirklich gelingt, seiner Adaption filmische Eigenständigkeit zu verleihen.

    Leidlich zufrieden ist Tony Webster (Jim Broadbent) mit seinem Leben im Ruhestand: Von seiner Frau Margaret (Harriet Walter) ist er zwar geschieden, aber man verträgt sich gut, nicht zuletzt der Tochter Susie (Michelle Dockery) zuliebe, die Single und hochschwanger ist. Doch als Tony einen Brief von einer Anwaltskanzlei bekommt, gerät sein Leben aus der Bahn: Erinnerungen an Erlebnisse aus seiner Schulzeit in den späten 1960ern werden durch das Schreiben wachgerufen, die er verdrängt, verklärt oder beschönigt hatte. Nur langsam offenbart sich sein Verhältnis zu seinem damaligen Schulfreund Adrian und vor allem seiner ersten großen Liebe Veronica (Charlotte Rampling), der er nun zum ersten Mal seit Jahrzehnten wiederbegegnet…

    Für seinen Roman „Vom Ende einer Geschichte“ wurde Julian Barnes 2011 mit dem Man Booker Preis ausgezeichnet, der wichtigsten literarischen Auszeichnung Englands. Eine späte Ehre für den damals 65-jährigen Autor, der mit seinen postmodernen Romanen schon seit Jahrzehnten zu den bedeutendsten Schriftstellern des Königreichs zählt. „Vom Ende einer Geschichte“ ist ein zwar kurzes, aber hochkomplexes und zugleich sehr fragil wirkendes Buch. Das liegt vor allem an Barnes‘ feinfühliger Schilderung von Tony Websters Innenleben. So dicht und stringent die äußere Handlung des Romans auch ist, das Entscheidende sind die Gedanken, Überlegungen und Lebenslügen des Protagonisten, die aus subjektiver Perspektive und mit einem extrem unzuverlässigen Erzähler ausgebreitet werden.

    Hier entsteht der Roman tatsächlich erst im Kopf des Lesers. Barnes‘ komplexes Geflecht aus Rückblenden und Erinnerungen ohne Verluste in ein anderes Medium zu übertragen, erscheint geradezu unmöglich und so hat sich Regisseur Batra von Anfang an für eine starke Vereinfachung entschieden. Wenn im Buch nach und nach deutlich wird, was der junge Tony in den letzten Schuljahren erlebt hat und wie sich Freundschaft und Liebe ins Gegenteil verkehrten, dann ist das eigentliche Thema, wie die Erinnerung des Protagonisten funktioniert, wie er für ihn unangenehme Ereignisse verdrängt hat, wie er sich selbst in ein besseres Licht stellt, eigene Schuld negiert, sich selbst als Opfer sieht.

    Im Film dagegen steht der Plot im Vordergrund: Der filmische Tony durchläuft eine ziemlich konventionelle Wandlung vom grummeligen alten Herren zu einem nachdenklichen, freundlichen Mann. Auch diese im Grunde recht banale Version des Stoffes ist dank der starken Darstellung von Jim Broadbent zumindest unterhaltsam, außerdem wird der Leinwand-Tony durch ihn zu einer Figur, der man Tiefe und Komplexität zugesteht, auch wenn sie nicht wirklich ergründet werden. Auch in den Gesichtern der anderen Schauspieler scheint gelegentlich das Unausgesprochene und das Widersprüchliche aufzublitzen, von dem Barnes in seinem Roman erzählt. Aber in der ansonstzen behäbig-gediegenen 08/15-Inszenierung des Films findet dieses Verborgene darüber hinaus leider kaum einmal Platz.

    Fazit: Es ist ein Vergnügen, Jim Broadbent und den anderen tollen Darstellern dabei zuzusehen, wie sie britische Schauspielkunst zelebrieren, die Komplexität von Julian Barnes‘ Romanvorlage bleibt in Ritesh Berats allzu gediegener Adaption allerdings auf der Strecke.

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