Klandestin
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
2,0
lau
Klandestin

Als Drehbuch preiswürdig, als Film eher nicht

Von Michael Meyns

Vor acht Jahren wurde Angelina Maccarones Drehbuch zu „Klandestin“ mit der Goldenen Lola für das Beste noch unverfilmte Drehbuch ausgezeichnet. Dass es trotzdem so lange gedauert hat, bis der fertige Film nun ins Kino kommt, erzählt einiges über die deutschen Filmförderungsstrukturen. Dass der Inhalt des Dramas auch so viele Jahre später weiterhin hochaktuell wirkt, erzählt hingegen vieles über die gesellschaftlichen und politischen Themen, die in Deutschland immer noch von Belang sind. In einer verschachtelten Struktur erzählt Angelina Maccarone von vier Personen, die jeweils auf ihre Weise mit der sogenannten „Flüchtlingsproblematik“ zu tun haben. Ein ambitioniertes Unterfangen, das im Versuch, seine Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, oft zerfasert, verkürzt und – besonders bedauerlich – eine migrantische Figur zum Stichwortgeber reduziert.

Ein Anschlag erschüttert Frankfurt. Schnell fällt der Verdacht auf eine islamistische Gruppierung. Die Politikerin Mathilda (Barbara Sukowa) hat den Ruf, sich besonders hart, um nicht zu sagen hetzerisch gegen die zunehmende Migration in Europa zu stellen. Ihre neue Assistentin Amina (Banafshe Hourmazdi), selbst migrantischer Herkunft, dient ihr als Feigenblatt, auch wenn sie die intellektuellen Fähigkeiten der Anwältin zu schätzen weiß. Für ihren alten Freund, den schwulen Künstler Richard (Lambert Wilson), ist Mathilda sogar willens, ihre Positionen zu ignorieren: Auf einer Reise von Marokko nach London macht halt in Frankfurt – und hat plötzlich einen blinden Passagier im Gepäck. Malik (Habib Adda), seinen jungen Lover, der sich vielleicht nur deswegen auf Richard eingelassen hat, um einen Weg nach Europa und damit in ein scheinbar besseres Leben zu finden…

Zumindest bei ihren politischen Auftritten fährt Mathilda (Barbara Sukowa) einen knallharten Anti-Migrations-Kurs. farbfilm verleih
Zumindest bei ihren politischen Auftritten fährt Mathilda (Barbara Sukowa) einen knallharten Anti-Migrations-Kurs.

Auf dem Papier mag es kunstvoll gewirkt haben, wie Angelina Maccarone in ihrem Drehbuch von vier Figuren erzählt, denen jeweils ein längerer Abschnitt gewidmet ist, deren Geschichten sich mal mehr, mal weniger streifen, sich beeinflussen, scheinbar feste Vorstellungen infrage stellen. In verfilmter Form dagegen ächzt und knarzt das Konstrukt immer wieder, wirken die Figuren oft weniger wie runde Charaktere mit Tiefe, als wie Typen, die bestimmte Funktionen erfüllen sollen, um das zentrale Thema möglichst umfassend zu beschreiben. An dessen Bedeutung hat sich in den vielen Jahren zwischen Schreiben des Buchs und Veröffentlichung des Films nichts geändert, im Gegenteil:

Die Frage, wie in Europa und in Deutschland mit Geflüchteten umgegangen werden soll, bleibt akut. Unmittelbarer Anlass für Maccarones Schreiben dürfte das Jahr 2015 gewesen sein, also Angela Merkels Entscheidung, die Grenzen offenzulassen und damit hunderttausenden Migrant*innen, die damals meist aus Syrien und Afghanistan kamen, den Weg nach Deutschland zu ermöglichen. Ein humanitärer Akt, der damals vermutlich richtig und wichtig war, dessen Folgen nun aber zu einem Rechtsruck der Politik geführt haben, der nicht zuletzt die AFD zur zweitstärksten Kraft im Bundestag werden ließ.

Vieles wirkt einfach wahnsinnig erzwungen

Von dem oft scheinheiligen Umgang der Deutschen mit der Flüchtlingsthematik zu erzählen, wirkt da wie ein notwendiger Ansatz, aber natürlich auch ein heikler. Als linke, liberale Filmemacherin will Maccarone Geflüchtete selbstverständlich nicht pauschal kritisieren, andererseits ist sie zu klug, um nicht zu wissen, dass es durchaus Geflüchtete gibt, die das System ausnutzen und auch, wenngleich sehr selten, Anschläge verüben. Malik etwa, ist ganz ohne Frage illegal nach Deutschland gekommen, vielleicht auch von Illusionen verblendet. Rechte hat er dennoch, aber inwiefern trägt eine Politikerin wie Mathilda eine gewisse Verantwortung für ihn, auch wenn sie ohne ihren Willen mit ihm Kontakt bekommen hat?

Die Widersprüchlichkeit speziell dieser Figur erzwingt Maccarone durch teilweise extreme Drehbuchkonstruktionen, die mitunter allein dem Zweck dienen, den moralischen Zeigefinger zu erheben. Es ist das arg schlichte Bild einer Politikerin, die Wasser predigt und Wein trinkt. Sie gehört scheinbar keiner konkreten Partei an, wird als Ministerin bezeichnet, auch wenn sie auf AFD-Niveau gegen Ausländer hetzt. Sie sitzt in Frankfurt, scheint aber gleichzeitig eine Funktion bei der EU zu haben, mal wirkt sie hartherzig, mal tolerant.

Richard (Lambert Wilson) kann sich nicht sicher sein, ob sein Lover ihn nur ausnutzt oder nicht. farbfilm verleih
Richard (Lambert Wilson) kann sich nicht sicher sein, ob sein Lover ihn nur ausnutzt oder nicht.

Ähnlich konstruiert wirken die anderen Figuren, Amira etwa, die einmal ihre Mutter fragt, warum sie kein Arabisch gelernt habe: Damit ihr euch besser integriert, sagt da die Mutter in einem Satz, der weniger lebensnah als akademisch wirkt. Und dann ist da Malik, der Katalysator der Ereignisse, die fragilste Figur, die aber trotzdem wie keine andere wie ein bloßes Mittel zum Zweck wirkt. Als junger Mann migrantischer Herkunft dürfte diese Figur weiter von Maccarones eigenem Erleben entfernt sein als alle anderen. Dass gerade diese Figur zum Stichwortgeber reduziert wird, überrascht zwar nicht, wirkt aber umso bedauerlicher, da die Intentionen von „Klandestin“ fraglos ehrenwert sind. Doch im Ergebnis wirkt das ambitionierte Drama nicht wie ein lebendiger, vielschichtiger Film über die Flüchtlingsthematik, sondern wie ein übermäßig konstruiertes, oft didaktisches Pamphlet.

Fazit: In seiner erzählerischen Struktur ambitioniert, versucht Angelina Maccarone in ihrem vielstimmigen Drama „Klandestin“ von Geflüchteten und dem Umgang mit ihnen zu erzählen. Ein hehres Anliegen, dass nur in Momenten zu einem überzeugenden Film führt. Meist wirken die Figuren nicht wie lebensnahe Charaktere, sondern wie Typen, die bloße Funktion in einem (über-)konstruierten Konstrukt erfüllen sollen.

Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
Das könnte dich auch interessieren