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    Tagebuch einer Pariser Affäre
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tagebuch einer Pariser Affäre

    Eine sachliche Romanze

    Von Lucas Barwenczik

    Lässt man eine ausreichend große Gruppe von Franzosen oder Französinnen lange genug unbeaufsichtigt, drehen sie einen Film über eine Affäre. Begriffe wie Amour Fou, Rendez-vous oder Ménage à trois wurden nicht zufällig in der Grande Nation erdacht. Oftmals führen diese vielen chaotischen Liebschaften und beiläufigen Grenzüberschreitungen in hochdramatische Situationen, zu Tränen, Wut und Liebesmorden. Nicht so bei „Tagebuch einer Pariser Affäre“ von Emmanuel Mouret, einer romantischen Komödie über das Vermeiden einer Romanze. Ein sanfter, fast sorgloser Film, der zwar weiß, dass alle Beziehungen enden, aber sich davon nicht aus dem Konzept bringen lässt.

    Alles beginnt am 28. Februar. Ein Mann und eine Frau treffen sich in einer Bar zum zweiten Mal in ihrem Leben. „Ich will unbedingt mir dir schlafen“, erklärt Charlotte (Sandrine Kiberlain) nach nicht einmal zwei Minuten. „Das geht aber schnell“, antwortet Simon (Vincent Macaigne). Damit wäre auch die Dynamik zwischen ihnen geklärt: Sie ist selbstsicher und entschlossen, er ein neurotischer Zauderer. Sie gehen zu ihr. Es ist der Beginn einer Affäre, die bis in den Herbst hinein andauern wird. Er ist eigentlich in festen Händen, aber das ist für sie nicht weiter schlimm. Alles soll unkompliziert sein, und ist es dann auch. Zumindest für eine Weile.

    Zwischen Charlotte (Sabrine Kiberlain) und Simon (Vincent Macaigne) hat es definitiv gefunkt – und trotzdem versichern sie sich immer wieder, dass da nichts Festes ist, dass das aktuelle Treffen auch das letzte sein könnte.

    Sie sprechen und schlafen miteinander, diese beiden Aktivitäten hängen zusammen. Den Gesprächen wohnt manchmal eine Erotik inne, der Sex wiederrum inspiriert Gespräche. Simon und Charlotte sind distinguiert, belesen und weltläufig, nach ihrem Verständnis plaudern sie nicht einfach. Sie parlieren, tragen einander so manches zu und tauschen Aperçus. Wenn man ehrlich ist, sind ihre Konversationen auch mit Verweisen auf Schriftsteller wie Stendhal und Gedichtzitate nie besonders mitreißend. Das etwas repetitive Drehbuch von Emmanuel Mouret und Pierre Giraud ist weit entfernt von dem Niveau von anderen Filmen über palavernde Pärchen wie beispielsweise Richard Linklaters „Before“-Trilogie, dem Werk des Südkoreaners Hong Sang-soo, „Die Liebesfälscher“, „Meine Nacht bei Maud“, „Der Stadtneurotiker“ oder „Liebe ist stärker“. Natürlich geht es in diesem Fall gerade um die Unverfänglichkeit. Darum, dass alles spielerisch ist, irgendwie beherrscht, ohne Gefahr. Doch wer von verborgenen Gefühlen erzählen will, muss ein Gespür für das unterschwellig Brodelnde entwickeln.

    Zu sehen sind immer nur die Gespräche, die Bettszenen werden ausgeblendet. Höchstens ein Kuss, ein wenig Gekuschel oder eine Hand, die in Nahaufnahme sanft über einen Pullover streicht, werden gezeigt. Für Mouret geht es bei einer Affäre nicht um Sex, sondern um das Gefühl, begehrt zu werden. Die Kamera stößt immer erst beim pillow talk wieder hinzu. Ihr Blick begleitet sie bei ihren vielen semi-konspirativen Treffen wie ein alter Freund. Sie schlendert mit ihnen durch Parks und Museen, geht mit ihnen Picknicken und Blumen pflücken. Manchmal sind die Bilder, die so entstehen, ein wenig kitschig. Es ist eine Affäre entlang der Klischeebilder romantischer Liebe, gebettet zwischen Sommerblumen und Herbstlaub. Natürlich wollen sie sich diesen Klischees verweigern. Charlotte etwa ist kein Fan davon, dass überall von Leidenschaft die Rede ist. Sie hält das für „nihilistische Propaganda“.

    Bloß keine existenziellen Gefühle

    Der neutrale, mild amüsierte Ton des Films korrespondiert mit den schwachen Gefühlen, nach denen sich Simon und Charlotte sehnen. Einmal schauen sie sich im Kino zusammen Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ an. Lebenslügen werden seziert. Wütend schreit Liv Ullman von der Leinwand zu ihnen herunter, aus einer anderen, komplizierteren Zeit. So wollen sie nicht sein. Ihre Probleme sind nicht existenziell, sondern höchstens mal logistisch. Etwa, wenn ein Freund von Simon zu lange in der Wohnung bleibt, die er ihnen eigentlich für ein Stelldichein überlassen wollte. Oder wenn vor Charlottes Haus die Umzugskartons eines Nachbars den Weg versperren, die sie dann zusammen wegräumen.

    Auch gemeinsame Termine finden ist nicht so einfach. Wie der Titel schon sagt, wird der Film aus Tagebucheinträgen zusammengesetzt. Die eingeblendeten Daten geben den Treffen manchmal etwas Mechanisches, als wären es Business-Termine. Sie fühlen sich auch an wie ein Countdown, der gnadenlos herunterzählt. Die simple Form des Films wird hier und da aufgebrochen von Zooms auf die Gesichter von Charlotte und Simon, denen eine unachtsame Bemerkung dann doch näher gegangen ist, als es ihnen lieb wäre. Dann blicken sie kurz ein wenig betroffen, und der heranrückende Kamerablick wirkt, als wäre er stolz, sie dabei erwischt zu haben.

    Wie es sich in Frankreich gehört, wollen sich Charlotte und Simon irgendwann auch an eine Ménage à trois wagen.

    Da ist nie ein großer Knall oder die finale Katastrophe, die alles auseinanderreißt. Nur mehr oder weniger subtile Andeutungen, dass unter der kultivierten Laissez-faire-Attitüde doch die besitzergreifende Kraft der Liebe lauert. Auch die immerzu die Szenen verleimende Musik verändert sich. Anfangs besteht sie aus Chansons von Serge Gainsbourg, dann überwiegend aus klassischen Kompositionen von Shostakovich und vor allem immer wieder Mozart. Rein heitere Töne weichen später Moll-Akkorden und Dissonanzen.

    So erzählt der Film dann davon, dass es eben doch keine Liebe ohne Risiko gibt. Wer sich einem anderen Menschen öffnet, macht sich verletzbar. Das ist sicher nicht falsch und von tausend Tränen empirisch belegt. Doch seltsamerweise fühlt sich „Tagebuch einer Pariser Affäre“ gerade dadurch kaltherzig an, dass er so sehr auf die romantische Liebe besteht. Wieso kann das nicht wenigstens im Kino mal funktionieren? Sandrine Kiberlain und Vincent Macaigne spielen das doch alles so schön, man sieht ihnen so gerne zu. Ist das, was Charlotte und Simon miteinander haben so falsch, dass es mit Melancholie und Zweifeln bestraft werden muss? Der schwerere, härtere, herausfordernde Film über die Liebe wäre Mouret wohl gelungen, hätte er alles in der Schwebe gelassen. Hätte er die Akkordfolge nicht aufgelöst, das Tagebuch nicht bis zur letzten Seite vollgeschrieben. Man muss nicht jeder Klammer schließen.

    Fazit: Eine amüsante Anti-RomCom, die vor allem von ihren sympathischen Darsteller*innen lebt, aber durch die seichten Dialoge auf Dauer etwas geschwätzig gerät. Ein Film, der Glück hat, dass er gar nicht unbedingt geliebt werden will.

    Wir haben „Tagebuch einer Pariser Affäre“ beim Filmfest Mannheim-Heidelberg gesehen, wo er als Eröffnungsfilm gezeigt wurde.

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