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    Angst über der Stadt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Angst über der Stadt
    Von Robert Cherkowski

    Regisseure und ihre Stars. Wenn die Mischung passt, sollte man eine gewinnende Männerfreundschaft vor und hinter der Kamera nicht trennen. Die großen Bromances gibt es jedoch nicht nur in Hollywood, wo De Niro und Scorsese einst vorgemacht haben, wie kreative Zusammenarbeit auszusehen hat. So wie ein Tim Burton seinen Johnny Depp braucht und ein Mel Gibson immer dann gut aufdrehen konnte, wenn er sich von Richard Donner inszenieren ließ, gab es auch im europäischen Kino ein paar Traumpartnerschaften. Etwa die von Jean-Paul Belmondo, der knollennasige Muse der Nouvelle Vague und tollkühne Kino-Rampensau zugleich war, und dem professionellen Genre-Erzähler Henri Verneuil. Insgesamt sieben Mal arbeiteten die beiden zusammen, und ihr bester gemeinsamer Film dürfte der Polizeithriller „Angst über der Stadt" sein aus dem Jahre 1975 sein, der nicht nur ebenso lässig wie gewissenhaft Spannung erzeugt, sondern auch mit Actionszenen aufwartet, die sich noch heute sehen lassen können.

    Ein Killer (Adalberto Maria Merli) treibt in Paris sein Unwesen und ermordet Frauen, deren Lebenswandel dem bigotten Wahnsinnigen als sündhaft erscheint. Er nennt sich Minos und frönt seinem mörderischen Trieb während er der ermittelnden Polizei stets einen Schritt voraus zu sein scheint. Neu im Ermittlerteam ist der bärbeißige Draufgänger Letellier (Jean-Paul Belmondo), den man zur Ermittlung strafversetzte, nachdem der draufgängerische Gendarm in eine wilde und verlustreiche Schießerei mit der Gang des skrupellosen Bankräubers Marcucci (Giovanni Cianfriglia) verwickelt war. Und eigentlich würde Letellier auch lieber diesen Gangster weiter verfolgen als sich an der Schnitzeljagd auf den psychopatischen Minos zu beteiligen. Am Ende werden jedoch sowohl der verquere Lustmörder als auch der Bankräuber das Nachsehen gegen den ruppigen Kommissar haben.

    Ein wenig wirkt dieser Klassiker des europäischen Polizeifilms, besonders in seiner ersten Hälfte, wie die Summe und die Parodie der Genre-Regeln, die allesamt in exemplarischer Klarheit angeordnet und dann doch immer wieder in kleineren humorvollen Variationen unterlaufen werden. Hier etwa der urige Bulle – da der psychotische Killer mit Sex-Spleens. Der Ton ist heiter, ohne albern zu werden. Verneuil liebte den Spirit und die wilde Seele amerikanischer Genre-Stoffe – allzu ernst nahm er sie dennoch nicht. Wenn der irre Frauenmörder beispielsweise wie üblich in Serienkillerfilmen versucht, Kontakt mit den Ermittlern aufzunehmen und seine Weltsicht auszubreiten, in dem er Letellier eine Ausgabe von Dantes „Göttlicher Komödie" in dessen Wagen legt, geht dieser der Spur gerade nicht nach, sondern feuert den Wälzer entnervt auf den Rücksitz. Für ihn ist das „unverständlicher Quatsch".

    Dann fällt jedoch selbst bei ihm endlich der Groschen, und es kommt zu jener Szene, die „Angst über der Stadt" weit über den Genre-Standard hinaushebt. Verneuil orchestriert hier wunderbar altmodisch und doch dynamisch eine 20-minütige Verfolgungsjagd, in der Letllier zuerst Minos von den Dächern der Stadt über die Lagerhallen der Galeries Lafayette und schließlich in den dichten Straßenverkehr von Paris hetzt – und das alles verblüfft heutige Sehgewohnheiten mit niedriger Schnittfrequenz und vermittelt ganz nebenbei noch grandiose, vom Zeitkolorit lebende Eindrücke der Stadt. Diese spektakuläre, phantasievoll gestaltete Hatz gehört unbedingt in den Kanon großer Verfolgungsjagden der Filmgeschichte. Anschließend wird der Film wieder seinen etwas gemächlicheren Trott annehmen und den Fall unterhaltsam zu Ende führen. Auch wenn „Angst über der Stadt" dadurch eher wie die Summe seiner einzelnen wundervollen Teile wirkt, die nicht immer Hand in Hand gehen, bleibt Verneuils Arbeit doch ein riesiger Spaß voller Spannung, Charme, Witz und mit einem Hauptdarsteller in Bestform

    Fazit: „Angst über der Stadt" bietet temporeiche, mit Charme, Humor und spektakulärer Action der alten Schule versetzte Euro-Thriller-Unterhaltung mit hohem Kultfaktor. Im Doppelpack sind Verneuil und Belmondo einfach unschlagbar.

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