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    Das Blau des Kaftans
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Das Blau des Kaftans

    Liebe, Homosexualität und Abschiednehmen in einer marokkanischen Schneiderei

    Von Lars-Christian Daniels

    Während die gleichgeschlechtliche Liebe hierzulande in den allermeisten (wenn auch leider noch nicht in allen) Köpfen längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, ist die Homosexualität in vielen anderen Ländern auch im Jahr 2022 noch immer ein absolutes Tabu. So etwa in Marokko: Die strengen Gesetze des nordafrikanischen Landes sehen sogar eine bis zu dreijährige Gefängnisstrafe für all jene vor, die sich bei dieser „Straftat“ erwischen lassen.

    Grund genug für die frühere Journalistin und jetzige Regisseurin, Schauspielerin und Drehbuchautorin Maryam Touzani, das Tabu-Thema aus ihrer marokkanischen Heimat in einem ihrer Filme zu beleuchten: Ihr fein gesponnenes Drama „Das Blau des Kaftans“, das bei den Filmfestspielen in Cannes und beim Filmfest Hamburg 2022 gezeigt wurde, dreht sich um einen homosexuellen Schneider aus Salé. Der ist zwar seit 25 Jahren mit einer Frau verheiratet, kann seine wahren sexuellen Vorlieben aber nur im Verborgenen ausleben.

    Mina (Lubna Azabal) und Halim (Saleh Bakri) führen eine liebevolle Ehe - mit einem Geheimnis.

    Der Maßschneider Halim (Saleh Bakri), der nach traditioneller Art noch alles von Hand und ohne Nähmaschine anfertigt, betreibt mit seiner Gattin Mina (Lubna Azabal) in der Altstadt von Salé ein Geschäft für Kaftane. Mina weiß um das Geheimnis, dass Halim sich zu Männern hingezogen fühlt, aber das Paar hat seinen eigenen Weg gefunden, damit umzugehen und Halims Homosexualität vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Weil Mina an Krebs erkrankt und zunehmend ans Bett gefesselt ist, bleibt immer mehr Arbeit an ihrem Lehrling Youssef (Ayoub Missioui) hängen, auf den Mina selten gut zu sprechen ist. Das liegt auch daran, dass Halim sich zu ihm hingezogen fühlt und der junge Mann seine Gefühle erwidert…

    Man könnte fast meinen, Maryam Touzani hätte einen Narren an jahrhundertealten (und nicht nur hierzulande aussterbenden) Handwerksberufen gefressen: Während die Regisseurin in „Adam“, mit dem sie 2019 den Durchbruch schaffte, von zwei Bäckerinnen erzählte, entführt sie ihr Publikum diesmal in eine traditionelle Kaftan-Schneiderei. Wer Graham Moores „The Outfit – Verbrechen nach Maß“ gesehen hat, der als Kammerspiel auf engstem Raum in einer Schneiderwerkstatt spielt, dürfte vor allem in der ersten halben Stunde ein Déjà-Vu erleben: Auch hier nehmen sich Drehbuch und Kamera viel Zeit für die millimetergenaue Präzisionsarbeit mit Schere, Nadel und Faden. Der Film schwelgt förmlich in diesen sinnlichen Eindrücken und blickt dem geduldigen Halim bei der Arbeit oft über die Schulter.

    Ein Film über die Liebe

    Die tägliche Handarbeit im Schneiderbetrieb, das langwierige Anfertigen des petroleumblauen Kaftans und der Umgang mit schwierigen Kundinnen bilden den erzählerischen Rahmen der Geschichte, die auf der B-Seite eines der im Kino am häufigsten gewählten Stücke spielt: „Das Blau des Kaftans“, dessen titelgebendes Kleidungsstück sich wie ein roter – pardon: goldener – Faden durch die Geschichte zieht, ist ein Film über die Liebe. Über die Liebe eines Mannes zu seinem Handwerk, über die Liebe zwischen Mann und Frau und über die Liebe zwischen Mann und Mann, die in Marokko streng verboten ist.

    So diskret und geheim, wie queere Menschen in Marokko ihrer Sexualität nachgehen müssen, gestaltet sich das Ganze auch in diesem Drama: Halim verabschiedet sich regelmäßig ins Hamam – aber nicht nur für das traditionelle Waschen und Dampfbaden, sondern vor allem, um in Einzelkabinen Sex-Partner zu treffen. Die Kamera bleibt dabei vor der Kabinentür – lediglich in einer Sequenz, in der wir die Füße der zwei Männer sehen, lässt sich das Liebesspiel in seiner konkreten Ausgestaltung erahnen. Auch zwischen Halim und seinem Auszubildenden Youssef bleibt es vor der Kamera bei relativ harmlosen, aber präzise beobachteten Zärtlichkeiten. Und doch wird greifbar, wie sehr sich die Männer begehren.

    Youssef (Ayoub Missioui) ist mehr als nur ein Lehrling für Halim.

    Überhaupt ist „Das Blau des Kaftans“ ein auffallend ruhig erzähltes, unaufdringliches Drama, das das Wichtigste zwischen den Zeilen und in den Gesichtern mitteilt: hier ein verletzter Blick, da ein zärtliches Handauflegen, irgendwann eine still vergossene Träne. Nur einmal fällt der Film mit der Tür ins Haus, als Youssef aus heiterem Himmel mit einem Liebesgeständnis herausplatzt. Überhaupt bleibt diese Figur die schwächste in diesem Drei-Personen-Stück, das vor allem in der Werkstatt und in der Wohnung spielt: So sehr wir an der Gefühlswelt des Ehepaares teilhaben – die Empfindungen des jungen Lehrlings bleiben oft in Andeutungen stecken. Erst auf der Zielgeraden gewinnt der Nachwuchsschneider an Kontur.

    Trotz berührender Szenen etwas unterkühlt

    „Das Blau des Kaftans“ ist aber nicht nur ein Film über die Liebe, sondern auch ein Film über das Abschiednehmen. Spätestens mit der Diagnose eines Arztes offenbart sich, dass es mit Minas Leben sehr bald zu Ende geht. Während sie das längst realisiert hat und sich ihren sympathischen Humor trotzdem nicht nehmen lässt, braucht Halim dafür Zeit. Auch bei diesem Prozess begleiten wir ihn, die Kamera weicht fast nie von seiner Seite. Und seine Liebe zu ihr ist grenzenlos: Sehr berührend inszeniert ist etwa eine Szene, in der Halim die Narbe ihrer abgenommenen Brust behutsam mit dem Finger nachzeichnet. Unterscheiden tun die beiden sich in ihrem Glauben; beten tut Mina immer allein.

    Getragen wird das mit über zwei Stunden Spielzeit etwas zu lang geratene Liebesdrama von überzeugenden Darstellern, deren zurückgenommenes, oft diskretes Spiel dem Gefühlskino nie im Wege steht. Die ganz große Wucht entfalten Minas Schicksal und die Folgen für alle Beteiligten allerdings nicht. Vergleicht man „Das Blau des Kaftans“ etwa mit Andreas Dresens grandiosem Sterbedrama „Halt auf freier Strecke“, köcheln die Emotionen hier eher auf Sparflamme.

    Fazit: Präzise beobachtetes und einfühlsam inszeniertes, unterm Strich aber auch sehr unspektakuläres Drama über die Liebe, die Homosexualität und das Abschiednehmen.

    Wir haben „Das Blau des Kaftans“ beim Filmfest Hamburg 2022 gesehen.

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