Bilder und Stars sind top. Leider ist das Skript ein Flop.
Von Oliver KubeBereits 1995 drehte Jean-Jacques Annaud („Der Name der Rose“) den ersten Spielfilm im IMAX-3D-Format. Der brillant bebilderte „Wings Of Courage“ erzählte die reale Geschichte eines französischen Luftpostpiloten, der in den argentinischen Anden abstürzt und sich zu Fuß durch das extrem unwirtliche Gelände in Richtung Zivilisation schlagen muss, während seine Kollegen unermüdlich versuchen, ihn zu finden. Einer der Suchenden war der spätere Bestsellerautor Antoine de Saint-Exupéry, der Schöpfer des zur Weltliteratur avancierten modernen Märchens „Der kleine Prinz“.
Für sein Abenteuer-Drama „Saint-Exupéry - Die Geschichte vor dem kleinen Prinzen“ verbindet Regisseur Pablo Agüero („Tanz der Unschuldigen“) die Ereignisse aus dem Jahre 1930 mit fiktionalen Elementen. Dabei präsentiert er Saint-Exupérys Erlebnisse dieser Tage als direkte Inspiration für dessen berühmtesten Bestseller. Das gelingt erzählerisch nur recht holprig und nie wirklich stimmig. Visuell und atmosphärisch ist der Film allerdings durchaus besonders. Wer also mit dem Gedanken spielt, sich „Saint-Exupéry“ anzuschauen, sollte möglichst nicht erst auf die Streaming- oder Heimkino-Auswertung warten, sondern das Werk gleich auf einer großen Kinoleinwand genießen.
1930: Der junge Antoine de Saint-Exupéry (Louis Garrel) oder Saint-Ex, wie ihn alle nennen, hat seinen Kindheitstraum wahrgemacht und ist Pilot geworden. Als solcher arbeitet er nun an der Seite seines Mentors und besten Freundes Henri Guillaumet (Vincent Cassel) für das Luftfahrtunternehmen Aéropostale in Argentinien. Der Transport von Briefen und Päckchen im direkten Umfeld der Anden ist lebensgefährlich – nicht nur aufgrund des Wetters, sondern auch, weil die Konkurrenz durch die preisgünstigere Eisenbahn immer bedrohlicher für die Firma wird und die Männer erhebliche Risiken eingehen müssen, um schneller als die Züge zu sein.
Die Luftlinie über die Berge ist natürlich deutlich kürzer als die Strecke der Gleise, die diese weiträumig umfahren müssen. Mit ihren klapprigen Propellermaschinen (Typ: Latécoère 25) können die Flieger jedoch nicht höher als 4.000 Meter aufsteigen, da sonst die Motoren wegen Sauerstoffmangels aussetzen und sie vom Himmel fallen würden. Weshalb auch sie die teilweise weit höheren Gipfelketten umgehen müssen. Henri versucht es eines Tages auf der Suche nach einer sicheren Route durch das Gebirge dennoch und stürzt mitten in Eis und Schnee ab. Obwohl niemand weiß, wo sich der Crash exakt ereignet hat, beschließt Saint-Ex, ihn zu suchen – von Henris verzweifelter Frau Noëlle (Diane Kruger) per Funk aus dem Aéropostale-Stützpunkt angeleitet. Kann seine lebhafte Fantasie ihm helfen, den Freund entgegen aller Wahrscheinlichkeit zu retten?
Es ist lobenswert, dass Agüero versucht, mehr als ein schnödes, die einzelnen Punkte des Wikipedia-Eintrags abarbeitendes Biopic über den Autor und passionierten Piloten abzuliefern – er selbst nennt den Film auf einer Texttafel zu Beginn eine Hommage. Durch die Konzentration auf eine einzige, etwa eine Woche dauernde Episode aus dem vollgestopften Lebenslauf von Antoine de Saint-Exupéry wird aber mittels Anspielungen auf nicht Gezeigtes einiges an Vorwissen über seinen Werdegang und sein literarisches Werk auch jenseits von „Der kleine Prinz“ vorausgesetzt. In Frankreich, wo der Mann nicht zuletzt aufgrund seines patriotischen Ablebens als Mitglied der Exil-Streitkräfte während des Zweiten Weltkriegs ein mythisch verehrter Nationalheld ist, mag das funktionieren. In weiten Teilen der restlichen Welt werden diese Randbemerkungen jedoch einfach über die Köpfe des Publikums hinwegsegeln.
Wer „Der kleine Prinz“ kennt, wird aber zumindest bei den diesbezüglichen Referenzen in Form von einzelnen Zitatzeilen, Figuren oder Zeichnungen im Notizbuch des jungen Abenteurers wissend nicken können – auch wenn diese oft konstruiert beziehungsweise klobig hineingeklemmt und nicht, wie wohl beabsichtigt, verspielt poetisch wirken. Immer wieder ist es allzu offensichtlich, was Fakt und was Fiktion ist, wodurch die eigentlich dringliche Suche nach dem verschollenen Freund kaum Fahrt aufnimmt, sondern mehrmals sogar jäh zum Halten kommt. Bei Agüeros Durchbruchsfilm „Eva Doesn‘t Sleep“, der die skurrile, 24 Jahre andauernde Odyssee von Eva Peróns Leichnam beschreibt, kam die Verbindung solcher Elemente noch deutlich geschmeidiger daher. Hier jedoch wirkt etwa eine ebenso überdrehte wie überlange Szene in einem „Cabaret“-ähnlichen Nachtclub mitten in der patagonischen Pampa wie ein Fremdkörper und stört sowohl den Storyablauf als auch seinen atmosphärischen Unterbau.
Die großen Pluspunkte des Films sind seine visuelle Umsetzung und die schauspielerischen Leistungen des Hauptdarsteller*innentrios. Im ersten Teil wirken Vincent Cassel („Black Swan“) und Louis Garrel („Die Träumer“), die ihren realen Vorbildern optisch übrigens kaum beziehungsweise gar nicht ähneln, beinahe noch wie die Titelhelden des Comedy-Action-Klassikers „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“. Diane Kruger („Inglourious Basterds“) hingegen hat einen deutlich zurückgenommeneren Part als Stimme der Vernunft zwischen den beiden, darf dafür aber zum Ende emotional richtig aufdrehen.
Alle drei genießen offensichtlich die ihnen Chancen zu expressivem Spiel gebenden, eher kargen, fast theaterhaft wirkenden Kulissen. Der Film mag auch aus Budgetgründen so aussehen, wie er es tut. Doch gerade dies unterstützt – angereichert durch die über weite Passagen so gut wie monochrom daherkommenden Flugbilder von Kamerafrau Claire Mathon („Porträt einer jungen Frau in Flammen“) – die emotionale Wirkung des Ganzen weit mehr als Agüeros unbeholfene Drehbuch-Twists. So gelingt es uns, die vielen Unstimmigkeiten im Narrativ fast komplett zu schlucken. Aber eben nur fast. Schade.
Fazit: Drei erstklassig agierende Stars und eine beeindruckende Optik können die erzählerischen Schwächen nur bedingt vergessen machen. Mit einem besseren Skript wäre hier deutlich mehr drin gewesen.