Yunan
Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
3,5
gut
Yunan

Überall Schafe

Von Christoph Petersen

Wenn man nur die Beschreibung im Katalog der Berlinale liest, könnte man im ersten Moment schlimmsten Arthouse-Kitsch erwarten: Ein entwurzelter Autor reist auf eine Hallig, um sich dort das Leben zu nehmen, aber stattdessen „begegnet er der geheimnisvollen Valeska“ und „obwohl sie nur wenige Worte miteinander wechseln, gelingt es mit kleinen Akten der Freundlichkeit, das gegenseitige Misstrauen zu überwinden“.

Aber Pustekuchen: Der von der eigenen Biografie des Autors und Regisseurs Ameer Fakher Eldin zumindest inspirierte Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „Yunan“ ist alles andere als plattes Wohlfühlkino. Stattdessen ist es eine zutiefst melancholische Auseinandersetzung mit der existenziellen Einsamkeit eines entwurzelten Mannes, die sich mit ein paar netten Worten und Taten ganz sicher nicht einfach so überwinden, aber vielleicht ein klein wenig erträglicher machen lässt. Garantiert keine einfache Kost also.

Der einsamste Ort der Welt

Ameer Fakher Eldin, dessen vorheriger Film „The Stranger“ noch beim Filmfestival in Venedig Weltpremiere feierte, wurde als Sohn syrischer Eltern in der Ukraine geboren. Aufgewachsen ist er auf den Golanhöhen, inzwischen lebt und arbeitet er in Hamburg. Sein Protagonist Munir (Georges Khabbaz) ist zwar mindestens 15 Jahre älter und Romanautor statt Filmemacher, aber ansonsten gleichen sich die Biografien auffällig: Als er mit seiner dementen, in der Heimat verbliebenen Mutter nicht einmal mehr telefonieren kann, stürzt Munir in seinem Hamburger Exil endgültig in eine existenzielle Krise.

Sein Ziel ist die Hallig Langeneß, wo aktuell nur etwas mehr als 100 Menschen verteilt auf 18 bewohnte Warften leben. An diesem Ort, der so einsam ist, wie er sich fühlt, plant Munir, sich mit einer Pistole das Leben zu nehmen. Aber er schiebt es auf, und begegnet der Wirtin Valeska (Hanna Schygulla), die den großen Herausforderungen des Lebens – inklusive einer drohenden Flut, bei der niemand weiß, wie hoch sie noch steigen wird – mit einer gewissen Alterslässigkeit zu begegnen scheint. Zugleich muss Munir immer wieder an eine Erzählung seiner Mutter denken, die von einem Schafshirten ohne Mund, Nase und Ohren (Ali Suliman) und seiner schönen, aber traurigen Frau (Sibel Kekilli) handelt…

Seine Traurigkeit wird er nicht los, aber von Valeska (Hanna Schygulla) schaut sich Munir  (Georges Khabbaz) zumindest eine gewisse Lässigkeit ab. 2025 Red Balloon Film, Productions Microclimat, Intramovies
Seine Traurigkeit wird er nicht los, aber von Valeska (Hanna Schygulla) schaut sich Munir (Georges Khabbaz) zumindest eine gewisse Lässigkeit ab.

Schafe gibt es auf der Hallig und auf den Golanhöhen, wenn sich Munir mitunter sogar selbst in die Geschichte des Hirten und der Hirtin hineinfantasiert, zur Genüge. Einmal stellt sich der Protagonist auch mitten in eine Herde Kühe auf ihrer Weide: Vielleicht, um sich von ihnen tottrampeln zu lassen? Vielleicht aber auch, um sich irgendwo zugehörig zu fühlen? Munir ist von Beginn an todtraurig und daran ändert sich auch bis zum Ende (fast) nichts. Zugleich erfahren wir über ihn, der kaum einmal mehr als eine Handvoll Worte spricht, aber auch so gut wie nichts. Georges Khabbaz hat das perfekte Gesicht, um uns in seiner Meerestiefen-Melancholie versinken zu lassen – spürbar näher kommen wir seiner Figur so aber nicht.

Auf Langeneß trifft Munirs existentielle Einsamkeit auf die existenzielle (Zerstörungs-)Kraft der Natur: Die uns ausgerechnet von Jörg Kachelmann im Radio angekündigte Springflut fängt Ameer Fakher Eldin in großen Kinobildern ein. Da werden zunächst die Wege und Wiesen kniehoch überschwemmt, bevor nachts der Wind peitscht und der Pegel immer neue Rekordstände erklimmt. Allerdings haben auch diese kraftvollen Einstellungen eine eher beruhigende als verstörende Wirkung. Vielleicht hat da die wohltuend-ausgeglichene Pragmatik von Hanna Schygulla („Poor Things“) als Valeska nicht nur auf Munir, sondern längst auch auf das Publikum abgefärbt.

Fazit: Zwei Stunden lang waten wir gemeinsam mit dem nahezu sprachlosen, zutiefst melancholischen Protagonisten durch ein existenzielles Tal der Einsamkeit, aus dem es zwar kein Entkommen gibt, dem man aber zumindest mit einer gewissen Lässigkeit begegnen kann. Keine einfache Kost, aber dafür sind die Bilder von Hallig Langeness vor, während und nach der Orkanflut absolut spektakulär geraten.

Wir haben „Yunan“ im Rahmen der Berlinale 2025 gesehen, wo er als Teil des offiziellen Wettbewerbs gezeigt wurde.

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