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    Talk To Me
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Talk To Me

    YouTuber zeigen: So geht modernes Horror-Kino

    Von Teresa Vena

    Mit ihrem 2015 gegründeten YouTube-Kanal „RackaRacka“ feierten die in Los Angeles lebenden australischen Zwillingsbrüder Danny und Michael Philippou bereits große Erfolge. Fast sieben Millionen Menschen folgen allein ihrem Hauptkanal, Plätze auf Bestenlisten und verschiedene Auszeichnungen als „Best Web Show“ bei den Online Video Awards und den Australian Academy Of Cinema And Television Arts Awards unterstreichen die Wertschätzung für ihre Arbeit.

    Ihre meist zwischen drei und fünf Minuten langen Sketche und Videos, in denen sie Horror- und Actionfilme parodieren, sind in der Tat, trotz offensichtlich äußerst beschränkter zur Verfügung stehender Mittel, sehr einnehmend. Darin zeigt sich vor allem eine kindliche Freude an einfachen Spezialeffekten und ein gutes Gefühl für Rhythmus. Diese Eigenschaften finden sich auch in ihrem Spielfilmdebüt „Talk To Me“ wieder – auch wenn die Brüder hier im Gegensatz zu ihren YouTube-Videos nicht selbst mitspielen. Das überlassen sie einem jungen Cast, der durch eine gruselige wie spannende Horror-Erzählung trägt, die richtig herausragend wird, als sich offenbart, wie viel mehr noch dahinter steckt.

    Eine Geister-Begegnung, die man nicht vergisst...

    Es ist wenige Monate her, dass die Mutter (Alexandria Steffensen) von Mia (Sophie Wilde) gestorben ist. Die junge Frau treibt noch immer die Frage um, was passiert ist: War es ein Unfall? Hat die Mutter absichtlich zu viele Schlaftabletten genommen? Oder ist es doch ganz anders abgelaufen und Mias Vater (Marcus Johnson) war in den Tod seiner Frau verwickelt?

    Um sich auf andere Gedanken zu bringen, lässt sich Mia gemeinsam mit ihrer besten Freundin Jade (Alexandra Jensen) und deren jüngerem Bruder Riley (Joe Bird) auf ein abgedrehtes Partyspiel ein, bei dem man mit Toten kommunizieren können soll. Doch dieses wird alle Betroffenen in ihre eigenen seelischen Abgründe hineinziehen. Wer es wieder zurückschafft und in welchem Zustand, wird sich zeigen...

    Eine ganz besondere Séance als Ausgangspunkt

    Die Prämisse des alles auslösenden Spiels ist recht simpel: Man muss eine Hand aus Gips, unter der sich offenbar eine echte Leichenhand verbergen soll, ergreifen und „Sprich mit mir“ („Talk to me“) ausrufen. Dann erscheint der Geist eines Toten. Geht man sogar einen Schritt weiter und sagt „Ich lasse dich hinein“ („I let you in“), schlüpft der Geist in einen hinein und lässt den Besessenen bizarre Dinge machen. Es kann sein, dass man sich lüstern selbst anfasst, wie ein Säugling weint und sich auf dem Boden wälzt oder einfach nur wirres Zeug von sich gibt. Doch immer scheint das, was man unter dem Einfluss des Geistes macht, eng mit den Todesumständen des Verstorbenen zusammenzuhängen.

    Es kommt, wie es kommen muss: Unter den Geistern ist Mias Mutter, die allerdings von Riley Besitz ergreift, was dazu führt, dass sich der Junge schwer verletzt. Gefangen zwischen dem Wunsch, mehr über den mysteriösen Tod der Mutter zu erfahren und dem Bruder ihrer besten Freundin aus den Fängen offenbar einer ganzen Gruppe von bösen Dämonen herauszuhelfen, rutscht Mia immer tiefer in Wahnvorstellungen ab. Dabei verweben die Philippou-Brüder in „Talk To Me“ so geschickt die verschiedenen Realitätsebenen, dass wir im Publikum uns selbst nicht mehr ganz sicher sein können, was wir zu glauben haben. Im einen Augenblick sind wir uns sicher, Mias Perspektive vertrauen zu können, im nächsten wird das schon nachhaltig erschüttert. Und garniert wird dies mit mehreren spannenden Wendungen und gelungen-effektiven Schockmomenten.

    Das kenne ich doch? Aber nicht so!

    Dabei geht es „Talk To Me“ nicht in erster Linie darum, mit brutaler Gewaltdarstellung zu beeindrucken. Vielmehr liegt die Stärke des Drehbuchs in der Variation grundsätzlich bekannter Motive, die mit einer gewissen selbstironischen, wenn auch nicht offen komischen Note versetzt sind. Das Thema Geisterbeschwörung ist im Horrorfilmfach nichts Neues, oft wird dafür ein sogenanntes Oujia-, ein Hexen- oder Alphabet-Brett benutzt, hier ist es ein vergipstes Handskelett. Die Außenseiterin im Zentrum der Geschichte, die entweder zur Heldin mutiert, Rache übt oder zum Sündenbock gemacht wird, ist ein beliebtes Genre-Erzählmittel. Dass Jugendliche im Mittelpunkt stehen, kennt man aus dem Horrorfilm genauso bestens, wie dass sich natürlich alle Optionen auf eine Fortsetzung offengehalten werden.

    Ja, „Talk To Me“ ist eine Mischung bekannter und verschiedenster Genre-Versatzstücke – von „Der Exorzist“, über „Scream“ bis „Carrie“. Doch was macht den Horrorfilm zweier YouTuber so besonders und nicht zum erneuten B-Movie-Aufguss klassischer Themen? Da ist zu einem die besondere formale Kontrolle. „Talk To Me“ ist unglaublich präzise und dicht inszeniert. Mit schnellen Schnitten, einem einheitlichen Farbkonzept, das auf einer Palette von Grau- und Blautönen basiert, und nur ganz wenigen unterschiedlichen Schauplätzen (fast alles auch noch Innenräume mit minimalistischer Ausstattung) erzeugen die Philippous eine so mitreißende wie auch klaustrophobische, geheimnisvolle und angsteinflößende Atmosphäre.

    Mehr als Geister- und Dämonenhorror

    Die gesamte Geschichte des Films spielt sich nicht nur an wenigen Orten, sondern auch innerhalb weniger Tage ab. Diese Verdichtung hält nicht nur die Spannung hoch, sondern lässt uns ganz nah die Reise der Protagonisten erleben, deren Gemütszustand sich so immer glaubwürdig weiterentwickelt. Und dieser Schritt ist wichtig, weil die beiden Brüder mit „Talk To Me“ eben nicht nur einen weiteren Geister- und Dämonen-Grusel-Schocker, der mit beeindruckenden Spannungsmomenten fesselt, gedreht haben, sondern sich ihre Geschichte über die fantastische Ebene der Geisterkommunikation hinaus entwickelt.

    „Talk To Me“ ist nämlich nicht nur Horrorfilm, sondern auch eine Auseinandersetzung mit Themen wie Trauma und Trauer, aber auch mit dem Konzept von Freundschaft und Familie – bei dem explizit auf eine wahrscheinlich platte, nur auf ein gutes Gefühl abzielende (weil wohltuende, moralische und/oder versöhnliche) Auflösung verzichtet wird. Im Gegenteil! „Talk To Me“ unterstreicht am Ende ganz klar, dass die größten Monster, vor denen man sich fürchten muss, keine Film-Fiktion sind. Es sind nicht Geister oder Dämonen, sondern sie lauern ganz real in der eigenen Seele. Und dort warten sie nur auf die Aufforderungen „Sprich mit mir“ und „Ich lasse dich hinein“...

    Fazit: „Talk To Me“ nutzt klassische Elemente des Horrorkinos, insbesondere des Geister- und Dämonen-Films, um am Ende ganz eigene, ganz reale Motive zu finden. Das ist herausragend, spannend und kurzweilig, wobei auch der minimale Einsatz von Spezialeffekten beeindruckt, mit welchen die YouTuber Danny und Michael Philippou den Sprung auf die große Kinoleinwand schaffen.

    Wir haben „Talk To Me“ im Rahmen des Sundance-Filmfestivals 2023 gesehen.

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