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    Harry und Sally
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Harry und Sally
    Von Carsten Baumgardt

    Romantische Komödien zählen nicht unbedingt zu den Werken, die von der versammelten Kritikerschaft permanent mit Höchstwertungen bedacht werden, was aber nicht heißt, dass es in diesem Subgenre keine intelligenten Perlen gibt. Den Klassiker schlechthin lieferte 1989 Regisseur Rob Reiner mit seiner hinreißend-bissigen, witzigen New-York-Romanze „Harry und Sally“. Der Film machte Meg Ryan und Billy Crystal zu Stars und avancierte zum Kult.

    Chicago, 1977: Gerade frisch von der Universität kommend sucht die spleenige, aber doch konservative Sally Albright (Meg Ryan) einen Mitfahrer, um die Reisekosten für ihren Umzug nach New York zu halbieren... Und sie findet den pessimistischen Miesmacher Harry Burns (Billy Crystal). Während der langen Autofahrt wird schnell klar, dass sich beide eigentlich überhaupt nicht sympathisch sind und sie völlig unterschiedliche Weltanschauungen besitzen... Fünf Jahre später laufen sich Harry und Sally noch einmal auf dem Flughafen über den Weg, aber erst weitere fünf Jahre danach schließen sie eine platonische Freundschaft, leben aber mit anderen Partnern zusammen und sind, ohne es zu wissen, auf diese eifersüchtig...

    Eine Szene machte Meg Ryan im Kino unsterblich: ihr gespielter Orgasmus in einem Café, wo sie Harry eindrucksvoll klar macht, dass Frauen den Höhepunkt sehr wohl glaubhaft vortäuschen können. Noch heute wird diese Glanzleistung schamlos und peinlich in der Werbung zitiert. „Harry und Sally“ ist derart charmant und eigenwillig-verschroben, dass der Film als Paradebeispiel für exzellente Dialoge, Wortwitz und exaktes Timing gilt. Drehbuchautorin Nora Ephron, die später mit Genre-Highlights wie „Schlaflos in Seattle“ und „E-Mail für dich“ (jeweils mit Meg Ryan) erfolgreich auf den Regiestuhl wechselte, schrieb schlicht umwerfende Dialoge [1], die zwischen Zynismus, Ironie, Charme und Romantik eine perfekte Balance finden, ohne jemals kitschig zu sein. Ephron kreierte wunderbare Charaktere, die der Zuschauer einfach ins Herz schließen muss.

    Ryan startete mit „Harry und Sally“ ihren Aufstieg zum All American Girl und begeistert mit einer außergewöhnlich liebenswerten Performance, in der sie die ganze Bandbreite der Emotionen abrufen kann. Kongenial ist das Auftreten ihres Partners. Crystal gibt den verletzlichen Vollblut-Zyniker Harry mit der besten Leistung seiner Karriere. Trotz aller Verschiedenheit, die ihre Charaktere aufweisen, zeigt Rob Reiner die sanfte Annäherung der Seelenverwandten schlüssig und glaubhaft. Können Männer und Frauen Freunde sein, ohne, dass ihnen der Sex dazwischen kommt? Das ist die zentrale Frage, die sich als roter Faden durch „Harry und Sally“ zieht. Die Antwort à la Reiner und Ephron gibt der Film am Ende...

    Die Nebendarsteller ergänzen das famose Star-Duo hervorragend. Carrie Fisher, die nach „Star Wars 1-3“ den Drogen verfiel und ins Karrieretief abtauchte, glückte ein erstaunliches Comeback als Ryans pragmatischer Sidekick Marie. Das gleiche spielt Bruno Kirby als gutmütiger Freund Jess an Crystals Seite. Ein weiterer Trumpf ist das malerische New York City, das Kameramann Barry Sonnenfeld (Regie: „Men In Black 1+2“) in betörend schönen, im besten Sinne romantischen Bildern einfängt. Selten wurde die Stadt der Städte exzellenter in Szene gesetzt.

    Strukturell hat „Harry und Sally“ Episodencharakter, ohne dass sich dies negativ auf den Erzählfluss auswirkt. Die verschiedenen Abschnitte werden von skurrilen Paaren umrahmt, die ihre Schlüsselerlebnisse auf dem Weg zu ihrer Liebe in die Kamera sprechen. Dieses Prinzip bringt Regisseur Reiner mit der einzig sinnvollen Konsequenz zum Abschluss. Was den Film unter anderem zeitlos schön macht, ist die Treffsicherheit, mit der Autorin Ephron die kleinen und großen Macken ihrer Charaktere analysiert und offen legt, ohne sich darüber lustig zu machen. Der Betrachter entdeckt Abgründe des jeweils anderen Geschlechts und kann sich darin wiedererkennen. Viel zitiert und doch niemals wieder erreicht, gehen Meg Ryan und Billy Crystal als eines der großen Traumpaare in die Filmgeschichte ein. Charmanter, witziger, scharfzüngiger und eleganter war das Romantik-Kino selten. Ein echter, moderner Klassiker, den jeder gesehen haben muss.

    [1] Ein exemplarischer Dialog aus „Harry und Sally“: Harry und Jess sitzen im vollbesetzten Baseball-Station, gucken die Yankees und unterhalten sich über die bevorstehende Scheidung von Harry.

    Jess: „...und wann ist es passiert?“

    Harry: „Freitag! Helen kam nach Hause und sagte: ‚Ich weiß gar nicht, ob ich noch verheiratet sein möchte!’ Als wär die Ehe nur eine Institution und nichts Persönliches, so ein abstraktes Gebilde, ohne jegliche Gefühle. Ich war die Ruhe selbst und sagte: ‚Lass uns nichts überstürzen! Warum denken wir nicht über alles noch mal nach?’“

    Jess: „Und was war dann?“

    Harry: „Am nächsten Tag sagte sie: ‚Ich hab drüber nachgedacht. Wir beiden sollten uns für ne Weile trennen!’ Sie sagt, sie will es ausprobieren, aber wir zwei könnten uns jederzeit sehen. Als ob das die Sache abschwächen würde. Aber ich will keine Verabredungen. Ich hab geheiratet, um mich nicht mehr zu verabreden. Was soll dieses ‚Wir können uns sehen!?’ Wer trifft sich schon mit seiner eigenen Frau? Die muss einen sowieso lieben. Und gerade, als ich ihr das erklären will, kommt es mir vor, als ob sie das nicht mehr tut... Also frage ich sie: ‚Liebst du mich nicht mehr?’ Weißt du, was sie gesagt hat?“

    Jess: „Nein...“

    Harry: „’Ich weiß nicht, ob ich dich jemals geliebt hab!’“

    Jess: „Oh, das ist hart! Das steckt kein Mann so einfach weg!“

    Harry: „Danke, Jess.“

    Jess: „Ich bin Schriftsteller, und ich kenne Dialoge, und der hier, ist besonders realistisch!“

    Harry: „Und dann erzählt sie mir, dass jemand, den sie kennt, nach Südamerika fährt, und sie sein Apartment haben kann... Ich konnte es einfach nicht glauben... Auf einmal klingelte es. ‚Ich kann sein Apartment haben!’ Die Worte lagen noch in der Luft, wie in einer Sprechblase, die einem am Mund festgewachsen ist.“

    Jess: „Wie in einem Comic.“

    Harry: „Richtig... Ich ging also zur Tür, und da standen drei Möbelpacker. Da wurde ich dann wirklich misstrauisch... Ich sage: ‚Hey, wann hast du diese Typen bestellt?’ Sie sagt kein Wort... Also frag ich die Packer. ‚Wann hat diese Frau sie beauftragt?’ Aber die stehen nur da. Drei Riesenkerle. Einer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift: ‚Bau keine Scheiße mit Mr. Silo!’. Ich sage: ‚Hey! Wann um Gottes Willen hast du die bestellt!?’ Und sie sagt: ‚Vor einer Woche.’ Ich sage: ‚Du weißt es schon seit einer Woche und hast es mir nicht gesagt?’ ... Und dann sagt sie: ‚Ich wollte dir nicht deinen Geburtstag versauen.’“

    Jess: „Das heißt, Mr. Silo wusste eine Woche vor dir, dass du geschieden wirst?“

    Harry: „Ja, er wusste es.“

    Jess: „Das glaub ich einfach nicht...“

    Harry: „Das schlimmste kommt aber erst noch...!“

    Jess: „Noch schlimmer als der allwissende Mr. Silo?“

    Harry: „Es war alles gelogen. Sie hat sich in nen anderen verknallt. Irgendein Steuerberater. Sie ist zu ihm gefahren.“

    Jess: „Wie hast du es rausbekommen?“

    Harry: „Ich bin ihr gefolgt, bis zu seiner Wohnung.“

    Jess: „Wie demütigend!“

    Harry: „Das schlimmste ist: Ich habe es gewusst. Obwohl wir glücklich waren, wusste ich, dass alles nur eine Illusion war, und dass sie mir irgendwann in die Eier treten würde.“

    Jess: „Die meisten Ehen zerbrechen nicht an Untreue. Sie ist nur ein Symptom, dass irgendwas nicht in Ordnung ist.“

    Harry: „Was du nicht sagst... dieses Symptom vögelt gerade meine Frau!“

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