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    Das Urteil - Jeder ist käuflich
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Das Urteil - Jeder ist käuflich
    Von Jürgen Armbruster

    Die Filmindustrie hat ein neues Lieblingsmotiv für sich entdeckt: Gewalt durch Schusswaffen. So allgegenwärtig diese Thematik derzeit ist, so sehr unterscheiden sich die einzelnen Filme auch. Die beiden Extreme sind mit Gus van Sants kompromisslosem Drama „Elephant“ auf der einen und Michael Moores satirischer Pseudo-Dokumentation „Bowling For Columbine“ auf der anderen Seite abgesteckt. Irgendwo dazwischen reiht sich Gary Fleders starbesetzter Justiz-Thriller „Das Urteil“ ein.

    Im Mittelpunkt der in New Orleans spielenden Handlung steht - wie sollte es auch anders sein - ein spektakulärer Gerichtsprozess, in dem Celeste Wood (Joanna Going), die Witwe eines ermordeten Börsenmaklers gemeinsam mit ihrem Anwalt Wendell Rohr (Dustin Hoffman) die Waffenindustrie belangt, da diese aus Profitgier versäumt hätte sicherzustellen, dass Schusswaffen nicht in unbefugte Hände gelangen. Das Medieninteresse an diesem Zivilprozess ist gigantisch, da ein Schuldspruch ein lange ersehntes Präzedenzurteil wäre und eine Vielzahl weiterer Klagen zur Folge hätte. Dessen sind sich auch die Bosse der Waffenindustrie bewusst, denn ein für sie negativ ausfallendes Urteil würde zu Milliardenverlusten führen. Um dies zu verhindern, engagieren sie den skrupellosen, aber brillanten Juryberater Rankin Fitch (Gene Hackman), denn im amerikanischen Rechtssystem steht vor dem eigentlichen Prozess die Geschworenenauswahl.

    Fitch und sein Team verstehen exzellent, durch Observation und Recherche dafür zu sorgen, dass nur Geschworene in die Jury aufgenommen werden, die ihnen freundlich gesonnen sind. Sollte ihnen dies doch misslingen, suchen sie in der Vergangenheit der Geschworenen nach Schwachpunkten, die diese erpressbar machen. Am Ende des langwierigen Prozesses der Geschworenenauswahl ist Fitch mehr als zufrieden und wähnt den Sieg schon in der Tasche. Doch dabei hat er die Rechnung ohne Nicolas Easter (John Cusack), Geschworener Nummer 9, gemacht. Er ist sich sicher, die Jury so beeinflussen zu können, dass jedes beliebige Urteil zustande kommt. Gemeinsam mit seiner Freundin Marlee (Rachel Weisz) plant er, aus diesem Umstand das Geschäft seines Lebens zu machen. Marlee nimmt Kontakt zu Fitch und Rohr auf, um das Urteil an den Meistbietenden zu verkaufen. Ein Wettlauf um Millionen und gegen die Zeit beginnt.

    Gary Fleders „Das Urteil“ ist im weitesten Sinne eine Adaption von John Grishams gleichnamigem Roman aus dem Jahr 1996. Doch Kenner der Buchvorlage werden schon in der Anfangssequenz zumindest zwei Mal hinschauen müssen. Was sie sehen werden, hat mit dem Original nicht mehr viel zu tun, denn in Grishams Werk ist nicht die Waffenindustrie der übermächtige und skrupellose Feind, sondern die Tabakindustrie. Doch dieser Kampf scheint in der heutigen Zeit nicht mehr von großem Interesse zu sein. Insbesondere in den USA ist durch drastische Anti-Raucher-Gesetze selbst in Großstädten wie New York nur noch in einer Hand voll Lokale das öffentliche Rauchen erlaubt. Daher musste die Vorlage entsprechend modernisiert werden. Und was lag mehr auf die Hand, als die Waffenindustrie zum Gegner zu machen? Diese Aufgabe wurde den Drehbuchautoren Brian Koppelman, David Levien, Rick Cleveland und Matthew Chapman übertragen. Auch wenn zu viele Köche zumeist den Brei verderben, kommt man nicht darum herum, den Vieren eine größtenteils gute Arbeit zu attestieren. Hin und wieder wäre ein etwas schnellerer Handlungsablauf wünschenswert gewesen, um die ein oder andere Länge zu überspielen, doch mit dem Ergebnis lässt sich durchaus leben. Der Spannungsbogen ist stimmig, die Handlung glaubwürdig und selbst die recht überraschende Schlusswendung wurde akzeptabel angepasst. Am aller Wichtigsten ist jedoch, dass den Darstellern der nötige Freiraum eingeräumt wurde, um ihre Klasse zeigen zu können.

    Rückblick: In den späten 50er Jahren studierte ein gewisser Gene Hackman gemeinsam mit einem bis dato ebenfalls vollkommen unbekannten Dustin Hoffman am Pasadena Playhouse die Schauspielerei. Nach erfolgreichem Abschluss zog es Hackman gemeinsam mit seiner Frau nach New York, wo er sich als Jungschauspieler mit Gelegenheitsjobs durchschlug. Wenige Jahre später folgte Hoffman seinem Freund in die amerikanische Metropole. Es wurde überliefert, dass der damals mittellose Hoffman in der Anfangszeit von Hackman und seiner Frau in ihrem kleinen Appartement aufgenommen wurde und auf dem Fussboden neben der Badewanne schlief. Heute, über 40 Jahre nach ihrem ersten Treffen, sind beide hoch dekorierte Darsteller und nach wie vor enge Freunde.

    In Anbetracht dieser gemeinsamen Vergangenheit ist es verwunderlich, dass es sich bei „Das Urteil“ um den ersten Film handelt, bei dem die beiden Oscar-Preisträger zusammen vor der Kamera stehen. Zwar gibt es den ganzen Film über nur eine längere Szene, in der der Fokus lediglich auf Hackman und Hoffman liegt, doch diese, auf der Toilette des Gerichts spielende Sequenz, ist schlicht brillant. Im Mittelpunkt des Films steht jedoch nicht nur handlungsbedingt John Cusack („Identität“, „High Fidelity“), dem die Rolle des Nicolas Easter wie auf den Leib geschrieben zu sein scheint. Ihm gelingt es perfekt, die Unberechenbarkeit seines Charakters auf die Leinwand zu transportieren und den Zuschauer darüber rätseln zu lassen, was er denn nun im Schilde führt. Ohnehin sind die darstellerischen Leistungen als erster Punkt zu nennen, wenn es um Gründe geht, warum man sich „Das Urteil“ anschauen sollte. Selbst die immer noch als Schauspielerin zweiter Klasse verschriene Rachel Weisz („Die Mumie“, „Die Mumie kehrt zurück“, „About a Boy“, „Confidence“) fällt nicht merkbar ab.

    Bei dieser hochkarätigen Besetzung hat es jeder Regisseur der Welt selbstverständlich verhältnismäßig einfach. Schließlich muss er lediglich die Kamera auf seine Darsteller halten und diese ihres Amtes walten lassen. Dem ist auch der aus dem TV-Bereich stammende Gary Fleder gewachsen. Zwar kann er in seiner Biographie bisher nur drei große Kinoproduktion vorweisen („Sag´ kein Wort“, „...denn zum Küssen sind sie da“, „Das Leben nach dem Tod in Denver“), doch was er mit „Das Urteil“ abliefert, kann sich durchaus sehen lassen. Das Einzige, das er sich eventuell ankreiden lassen muss, ist die Tatsache, dass die ruhigen Gerichtssequenzen nicht immer mit den teils schnell geschnittenen Außenaufnahmen harmonieren. Doch trotzdem ist „Das Urteil“ ein durchaus sehenswerter und spannend inszenierter Justiz-Thriller, von dem Genre-Freunde und Grisham-Fans genau das bekommen, was sie erwarten.

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