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    Sie nennen ihn Radio
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Sie nennen ihn Radio
    Von Morton Gudmonsdottir

    Michael Tollins Behinderten/Sportler-Drama „Sie nennen ihn Radio“ wird im deutschen Kinojahr in die Geschichte eingehen. Nein, nicht weil das amerikanische Rührstück sich von ausgeprägter Qualität zeigt, sondern wegen des wohl dämlichsten deutschen Verleihtitels des Jahres. Aus dem schlichten und treffenden „Radio“ machte die Columbia TriStar ein kurios peinliches „Sie nennen ihn Radio“, was folglich ignoriert werden soll. Das hat zugegebenermaßen mit dem Film wenig zu tun, ist aber wieder einmal ein Beispiel für teils hanebüchene Eindeutschung von Originaltiteln. „Radio“ ist trotz guter Besetzung und einigen netten Ansätzen dann auch kaum der Rede wert.

    Der Film erzählt – nach wahren Begebenheiten – die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft. In dem verschlafenen kleinen Städtchen Anderson im US-Bundesstaat South Carolina sind die Siege und Niederlagen des High-School-Football-Teams willkommener Gesprächsstoff. Nach jedem Spiel diskutiert Trainer Harold Jones (Ed Harris), in Anderson eine beliebte Respektsfigur, bei einer guten Tasse Kaffee im örtlichen Barber Shop mit den Kleinstadt-Honoratioren Strategie und Taktik. Im alltäglichen Straßenbild von Anderson ist der junge James Robert Kennedy (Cuba Godding Jr.) fester Bestandteil. Er trägt wegen seiner Sammelleidenschaft für alte Radios und seiner Liebe zur Musik den Spitznamen „Radio“. Seine Mutter (S. Epatha Merkerson) beschreibt den geistig ein wenig zurückgebliebenen Radio als „genau wie alle anderen, nur ein wenig langsamer als die meisten“. Als Trainer Jones eines Tages Radio zu seinem Schützling macht und ihm einen festen Platz als Trainingsgehilfe in dem Football-Team, ja sogar als „Schüler ehrenhalber“ in der High School anbietet, ist nicht nur die Schuldirektorin Daniels (Alfre Woodward) irritiert. Trainer Jones muss die wachsende Freundschaft mit Radio, der selbst seine Frau Linda (Debra Winger) und seine Tochter Mary Helen (Sarah Drew) von Jones verständnislos gegenüberstehen, gegen zementierte Vorurteile und Widerstände innerhalb der Gemeinde verteidigen. Doch die Freundschaft mit Radio, dessen unschuldige Lebenslust ansteckend wirkt, wird Anderson und seine Bewohner für immer verändern...

    Sportfilmer Michael Tollin (Regie: „Summer Catch“, Produzent: „Hardball", „Varsity Blues",) war von einem Artikel über den „Original-Radio“ James Robert Kennedy in der renommierten Zeitschrift Sports Illustrated“ so beeindruckt, dass er sofort einen verfilmbaren Stoff wähnte. Eine ähnliche Ausgangslage hatte Dokumentarfilmer Kevin MacDonald, als er sich an die Umsetzung von Joe Simpsons authentischem Bergsteiger-Bestseller „Touching The Void“ machte. Doch im Gegensatz zu Tollin entschied sich MacDonald für einen Dokumentarfilm (mit einigen nachgestellten Szene). Das Ergebnis: „Sturz ins Leere“ ist ein packendes, beeindruckendes Filmmonument über das triumphale Scheitern einer Besessenheit geworden. Dieser Schritt zum Dokumentarfilm wäre auch Tollin wärmstens ans Herz zu legen gewesen. Sein „Radio“ bietet Hollywood-Kino von der Stange. Die Grundstory ist sicherlich herzerwärmend, doch Tollin verzichtet auf eine Dramatisierung der Geschichte. Das führt dazu, dass die Spannungsbogen praktisch kaum vorhanden ist. „Radio“ langweilt schlicht über weite Strecken. Es passiert nicht viel in Radios Welt. Dazu gelingt es Tollin nicht, sich komplett vom Kitsch zu befreien. Dieser Aspekt wird von James Horners nervig-schmalzigem Score noch unnötig verstärkt. Die Charakterisierungen sind arg einfach ausgefallen. Es gibt nur Gut oder Böse, Schwarz oder Weiß. Die kleinen Konflikte, die „Radio“ auffährt, plätschern zumeist dahin.

    Ed Harris („Apollo 11“, „The Truman Show“, „Absolute Power“) ist natürlich ein viel zu guter Schauspieler, um sich in „Radio“ etwas zu schulden kommen zu lassen – auch wenn sein Gutmensch-Part wenig Facetten bietet. Das Besetzungsproblem liegt vielmehr in Cuba Gooding Jr. („Boat Trip“, „Rat Race“), seines Zeichens Oscarpreisträger (für „Jerry ‚show me the money’ Maguire“). Mehr als seine Dauerdebilität, inklusive schiefer Gebissattrappe, kann er nicht zeigen. Seine schauspielerischen Möglichkeiten haben deutliche Grenzen, wie „Radio“ beweist.

    Wenigstens gibt es produktionstechnisch nichts auszusetzen. Die Atmosphäre der Sechziger Jahre hat Kameraprofi Don Burgess („Spider-Man“, „Terminator 3“, „Cast Away“, „Contact“) sehr stimmig eingefangen. So ist „Radio“ zwar herzlich gut gemeint und auch nicht wirklich missraten, aber etwas mehr als gediegene Langeweile in edlen Bildern sollte bei einer großen Hollywood-Produktion schon drin sein. Da sich die Deutschen mit amerikanischen Sportfilmen traditionell sehr schwer tun, wird „Radio“ an der Kinokasse zwangsläufig dem Untergang geweiht sein. Selbst starke Football-Filme wie Oliver Stones „An jedem verdammten Sonntag“ oder Boaz Yakins „Gegen jede Regel“ floppten trotz US-Erfolgs hierzulande.

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