Mein Konto
    Out of Time - Sein Gegner ist die Zeit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Out of Time - Sein Gegner ist die Zeit
    Von Johannes Pietsch

    Es gibt Geschichten, die lassen sich im Kino einfach immer und immer wieder erzählen, ohne dabei zu altern und ohne etwas von der Brillanz ihrer Grundidee einzubüßen. Das Motiv vom Einzelgänger, der gänzlich unschuldig oder in Folge eines kleinen Fehltritts eine Kaskade sich gegenseitig ständig verschlimmernder Ereignisse auslöst und sich auf der Flucht vor mehreren ihn hetzenden Parteien immer unentrinnbarer in einem um ihn zusammenziehenden Netz verfängt, dürften zu diesen erzählerischen Evergreens des Thriller- und Krimi-Kinos gehören. Harrison Ford als vermeintlicher Gattinnenmörder Dr. Kimble war in Andrew Davis’ „Auf der Flucht“ in einer solchen Rolle zu erleben, nicht anders Tom Cruise in Steven Spielbergs „Minority Report“. Und in jüngster Zeit waren Ben Affleck in John Woos „Paycheck“ und Colin Farrell in Roger Donaldsons „Der Einsatz“ in ähnlicher Mission auf der Flucht.

    Als Vorbild für viele diese On-the-run-Motiv-Filme dürfte John Farrows „The Big Clock“ gedient haben. Dieser brillante, hochkarätig besetzte und grandios gespielte Noir-Thriller aus dem Jahr 1948 zeigte Ray Milland als Karriere-Journalisten, der in ein geradezu irrsinniges Intrigengeflecht gerät, als sein Chef (Charles Laughton) versucht, einem Unschuldigen den Mord an seiner Geliebten in die Schuhe zu schieben. Spionage-Spezialist Roger Donaldson drehte 1987 mit „No Way Out“ ein fast ebenbürtiges Remake der Farrow-Vorlage, mit Kevin Costner in der Milland- und Gene Hackman in der Laughton-Rolle. Und auch zu Carl Franklins „Out Of Time“ dürfte der Noir-Klassiker aus dem Jahr 1948 direkt Pate gestanden haben.

    Seit Beginn der 90er Jahre gilt Carl Franklin als versierter Thriller-Lieferant der zweiten Garnitur. In „One False Move“ setzte er 1992 Billy Bob Thornton und Bill Paxton als Verlierertypen in Szene, die sich auf der Flucht vor dem Gesetz durch den Süden Amerikas ihrem Schicksal wie im klassischen Western zum Duell stellen müssen. In „Devil In A Blue Dress“ arbeitete er das erste Mal mit Denzel Washington zusammen, den er als Privatdetektiv auf den Spuren der betörenden Jennifer „Flashdance“ Beals in eine mörderische Intrige geraten ließ. Die Idee, die Abgründe seiner Figuren erst Schritt für Schritt zu offenbaren und letztendlich daraus den hauptsächlichen Clou eines Films zu ziehen, machte er endgültig in „High Crimes“ zum Prinzip, einem Film, der trotz cleverer Story und guter Besetzung (Morgan Freeman, Ashley Judd) wegen einer wirklich bleiern einschläfernden Inszenierung an den Kinokassen floppte.

    Was die Fehler aus „High Crimes“ betrifft, so scheint Carl Franklin bei „Out Of Time“ durchaus dazugelernt zu haben. Einen kleinen, aber durchaus sehenswerten, weil durchweg spannend inszenierten Thriller haben er und sein Drehbuchautor Dave Collard zustande gebracht. Der 49-jährige Denzel Washington wirkt nach seiner Oscar-gekrönten Tour de Force als Bösewicht in „Training Day“ hier erneut als Good Guy ein klein wenig in die Jahre gekommen und behäbig geworden und damit förmlich ideal besetzt für die Rolle des Matt Whitlock, seines Zeichens Polizei-Chef im Wenige-Hundert-Seelen-Kaff Banyan Key. Unter der glühenden Sonne Floridas geht hier alles einen sehr geruhsamen und seit Jahrzehnten nur in Nuancen veränderten Gang, und das Aufregendste, was Whitlock und sein Partner Chae (John Billingsley) an Fällen zu bearbeiten haben, sind ein paar Diebstähle, hier und da einige Einbrüche und das ein oder andere entlaufene Haustier.

    Abseits all dieser dienstlichen Einöde liegt auch Whittlocks Eheleben brach, da sich Gattin Alex (Eva Mendes) schon lange von ihm abgewendet hat und der Polizeichef nur noch auf das Eintreffen der Scheidungspapiere wartet. Da mag man es als nicht sonderlich puritanischer Kinogänger dem Protagonisten von „Out Of Time“ schon fast nachsehen, dass er bereits seit geraumer Zeit eine leidenschaftliche Affäre mit der heißblütigen Gattin (Sanaa Lathan) eines örtlichen Footballstars pflegt. Doch auf die unmoralische Idylle legt sich ein Schatten, als Matt erfährt, dass die Geliebte schwer krebskrank ist und nur durch eine sehr kostspielige Therapie in Europa noch Hoffnung auf Rettung besteht. Nachdem es der ansonsten so gesetzes- und prinzipienfeste Polizeichef bereits mit dem siebten biblischen Gebot, nicht ehezubrechen, nicht so genau nahm, stellt er das darauf folgende, in dem es bekanntermaßen um’s Entwenden von anderer Leuts Eigentum geht, auch gleich hinten an und lässt aus dem polizeieigenen Safe eine große Menge Bargeld mitgehen, welches dort als Beweismaterial für einen großen Mafiaprozess zwischenlagerte. Doch das war ein Fehltritt zuviel, um nur wenige Stunden später sind die Geliebte und ihr leicht cholerischer Ehemann mausetot, deren Haus niedergebrannt und das Geld verschwunden, und der so respektierte Gesetzeshüter steckt bis über beide Ohren im kolossalsten Schlamassel seines Lebens.

    Nein, wirklich innovativ ist dieser Plot eines subtropischen Film noir von der Küste Floridas nicht, vor allem das böse Erwachen des Helden nach seinem vermeintlich wohltätigen Diebstahl kommt für den Zuschauer ungefähr so überraschend wie ein Wutausbruch von Oliver Kahn nach einem vergeigten Bayern-Spiel. Umso faszinierender inszeniert Carl Franklin die verzweifelten Befreiungsversuche seiner Hauptfigur aus der selbst verschuldeten Falle. Der sowohl um die Geliebte als auch das ihm gar nicht gehörende Geld gebrachte hat fortan gleich an drei Fronten kämpfen: Zum ersten muss Matt immer irrwitzigere Haken schlagen, um den Verdacht des Mordes an den beiden Toten von sich abzulenken, zum zweiten alle Energie in die Aufklärung des Falles und die Ermittlung der wahren Täter investieren und zum dritten sich eines wutschnaubenden FBI-Agenten nebst Anhanges erwehren, der von ihm das eingelagerte Mafiageld einfordert. So eingekeilt als Jäger und Gejagter zugleich zieht sich die Schlinge um Matt Whittlock immer enger zusammen. Für ebenso erotische Funken wie Verwicklungen sorgt dabei vor allem die hinreißende Eva Mendes als Noch-Gattin Alex, die ausgerechnet als ermittelnde Detektivin des Morddezernats auf den Fall angesetzt wird und nun Seite an Seite mit ihrem Mann nach einem unbekannten Verdächtigen fahndet, während dieser wiederum alle Hände voll zu tun hat, alle auf sich weisenden Indizien von der engagierten Kriminalbeamtin fernzuhalten.

    Regisseur Franklin setzt dabei nicht auf die Methoden des groß budgetierten Action-Kinos, sondern ganz auf das nuancierte Spiel seiner Darsteller und die Sogwirkung der Story, deren Tempo er kontinuierlich anzieht und deren Spannungsbogen er trotz diverser recht hanebüchener Plotholes und Ungereimtheiten bis zum Finale beizubehalten weiß. Die Jagd nach einem virtuellen Verdächtigen, der in Wahrheit gar nicht der Täter ist, aber immer absurdere Kapriolen, Wendungen und Ausflüchte vollführen muss, um nicht enttarnt zu werden – das ist der Stoff, aus dem gelungene Thriller-Komödien geschneidert sind. Carl Franklin hält dabei einen ebenso eleganten wie ironischen Grundtenor durch: So sehr man auch mit dem sympathischen Helden mitbangt, mit genauso viel diebischer Schadenfreude beobachten Kamera und das voyeuristische Auge des Zuschauers, wie Matt Whittlock sich ein ums andere Mal kurz vor der sicher geglaubten Enthüllung rettend nur noch tiefer in die Bredouille reitet. „Out Of Time“ – der Titel ist dabei Programm. Der Polizeichef hat auf seiner Jagd nach dem verschwundenen Geld, dem wahren Mörder und gleichzeitig der Flucht vor allen übrigen Ermittlern nicht nur die Zeit zum Feind – darauf spielte bereits der Titel des großen Vorbilds „The Big Clock“ an – er ist vor allem auch aus seinem beschaulichen Alltags-Idyll, seiner gewohnten, ereignis- aber eben auch risikolosen Kleinstadt-Routine geschleudert und sieht sich auf einmal mit der Bedrohung seiner gesamten bürgerlichen Existenz – wenn nicht gar seinem Leben - konfrontiert. Oscar-Preisträger Denzel Washington gelingt es, dem zunächst sehr gemächlich und entspannt, später immer hektischer, immer planloser und panischer agierenden Helden ebenso glaubhafte wie vergnüglich selbstironische Kontur abzugewinnen. Der Darsteller-Preis für „Out of time“ geht jedoch eindeutig an Eva Mendes, die sich nach ihren mehr als mageren Rollen als Stichwortgeberin für Johnny Depp in „Irgendwann in Mexico“ und als weibliches Plakatmotiv in „2 Fast 2 Furious“ endlich in einer angemessenen weiblichen Hauptrolle behaupten darf.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top