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    Brothers Grimm
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Brothers Grimm
    Von Björn Helbig

    „Pferd”, sprach der kleine Junge, der nachts in einen Stall geschlichen war, „was hast du für große Augen? Und was für große Ohren? Und was für ein großes Maul?“ Dann wuchs dem Gaul ein Spinnennetz aus dem Maul, mit dessen Hilfe er den Jungen einfing und schließlich verschlang. – Das kommt einem irgendwie bekannt vor, aber auch nur irgendwie. „Brothers Grimm“ ist eine Märchencollage von Ex-Monty-Python-Mitglied Terry Gilliam, der die Gebrüder Grimm zu den Protagonisten ihrer eigenen Geschichten macht und damit einen Film liefert, wie er im Buche steht – zum Lachen und Gruseln.

    1796 anno Domini. Während sich Deutschland unter französischer Knute befindet, ziehen die Brüder Jake (Heath Ledger) und Will (Matt Damon) Grimm von Dorf zu Dorf, von Geschichte zu Geschichte, um sich als Geisterjäger zu verdingen. Nur, dass sie für den vermeintlichen Spuk, dessen Austreibung sie sich gut bezahlen lassen, mit Hilfe von einigem technischen Schnickschnack selbst verantwortlich sind. Als die französischen Besatzer, allen voran General Delatombe (Jonathan Pryce) und sein Folterscherge Cavaldi (Peter Stormare), Wind von dem Betrug bekommen, fangen sie die Brüder kurzerhand ein und stellen sie vor die Wahl: Entweder ein langsamer, schmerzhafter, ekliger Tod in Cavaldis Folterkeller oder aber eine Reise in das kleine Dörfchen Marbaden, um dort das Geheimnis eines angeblich verwunschenen Waldes und das Verschwinden junger Mädchen aufzuklären. Die Entscheidung fällt Will und Jake nicht schwer.

    Terry Gilliam hat uns in seiner über 30-jährigen Karriere schon so manches Meisterwerk beschert. Allen voran Brazil, seine persönliche Version von Orwells „1984“, aber auch den rührenden König der Fischer, die kultige Bibelsatire „Das Leben des Brian“ oder den düsteren Zeitreisefilm „12 Monkeys“. Selbst seine „schwächeren“ Filme wie „Time Bandits“, „Die Abenteuer des Baron Münchhausen“ oder seine Adaption von Hunter S. Thomsons „Fear And Loathing In Las Vegas“ ragen immer noch in vielerlei Hinsicht aus dem üblichen Einerlei heraus. Was die Mehrzahl von Gilliams Filmen gemeinsam hat – der Kitt sozusagen, der sein filmisches Schaffen zusammenhält – ist das Thema Fantasie. Wenn Gilliam über sich selbst sagt „Märchen sind meine Welt – die Welt der Fantasy und der außergewöhnlichen Dinge“, ist es kein Wunder, dass er sich zum Stoff der Gebrüder Grimm stark hingezogen fühlt. Aber Vorsicht: Wer eine historisch korrekte Auseinandersetzung mit den echten Brüdern Jacob Ludwig Carl und Wilhelm Carl Grimm erwartet, die sich als Philologen dem Niederschreiben deutscher Volksmärchen widmeten, dürfte enttäuscht werden. Gilliam schickt die stark fiktionalisierten Gebrüder in das Reich ihrer eigenen Märchen. Es ist ein wenig, als hätte er die Grimm-Märchen fein zerhackt, in einen Topf geworfen und ein paar Mal heftig umgerührt. Fragmente aus „Rapunzel“, „Rotkäppchen“, „Die sieben Raben“, „Hänsel und Gretel“ u.a. kommen zwar vor, doch sind sie in einen völlig neuen Zusammenhang gebracht worden, so dass das Resultat nur noch wenig mit den Originalgeschichten zu tun hat. Das ist für den Zuschauer teilweise irritierend, aber auch reizvoll.

    Spätestens als die Brüder in Marbaden ankommen und dort mit dem Hexenwald konfrontiert werden, dessen Zauber sich als alles andere als ein Schwindel herausstellt, startet der Film richtig durch. Gilliams Feuerwerk der Ideen kumuliert in der Darstellung von Zauberei, fantastischen Wesen und einem äußerst lebendigen Wald. Beinahe möchte man sagen, dass dieses wandelnde Gehölz den Brüdern ein wenig die Show stielt. Der Einfallsreichtum bei der Umsetzung der Märchenfragmente ist jedenfalls durchweg hervorragend: Selten sah man eine so kurze und dennoch derart gelungene Verwandlung von Wolf zu Mensch, selten ein ekligeres, Kinder fressendes Pferd und niemals hat sich Brunnenschlamm als besserer Entführer erwiesen. Die Liste der Außergewöhnlichkeiten ließe sich fortführen. Natürlich helfen auch die besten Ideen nichts, wenn die Umsetzung scheitert. Hier hatte Gilliam großes Glück, denn sein Team aus Kameramann Newton Thomas Sigel (Die üblichen Verdächtigen, X-Men, Superman Returns), Produktionsdesigner Guy Hendrix (The Cell, X-Men 2) und Cutter Lesley Walker („König der Fischer), „Fear And Loathing In Las Vegas“) arbeiteten perfekt zusammen und sorgten dafür, dass Gilliams Fantasien Wirklichkeit werden konnten. Auch die Musik des bisher eher unauffälligen Dario Marinelli, unter anderem Komponist des etwas schwergängigen Berlinale-Gewinners „In This World“, der Romanadaption Stolz und Vorurteil sowie der aufs nächste Jahr verschobenen Comicverfilmung V For Vendetta, fügt sich unaufdringlich aber überzeugend in das Gesamtbild.

    Was Gilliam – und dem Zuschauer – bei „Brothers Grimm“ zu ihrem vollkommenen Glück fehlt, ist eine wirklich gute Story, auf deren Nährboden Gilliams fantastische Ideen zu voller Pracht gedeihen könnten. Die eigentliche Geschichte – zwei vorgebliche "Geisterjäger" lösen ihre selbst inszenierten Fälle und kassieren dafür kräftig ab. Dann bekommen sie es allerdings mit einer echten Hexe (Monica Bellucci) zu tun, doch "die Helden" bewältigen auch diese Aufgabe – ist einfach zu mager. Sprich: unterm Strich ziemlich platt. Zwar wird versucht, diesem Manko Abhilfe zu schaffen, indem den Brüdern unterschiedliche, teils gegenläufige und konfliktträchtige Charakterzüge verpasst werden, doch so richtig wertet dies den Plot nicht auf. Matt Damon („Good Will Hunting“, Die Bourne Identität, Die Bourne Verschwörung) spielt den recht unverfrorenen, pfiffigen Schwindler Will zwar routiniert und auch Heath Ledger (Monster´s Ball, Ritter aus Leidenschaft) bringt durch sein nervöses Spiel Leben in den Träumer Jake, aber so ganz schaffen es die beiden nicht, gegen den dominanten Ideenreichtum Gilliams und die schwächelnde Geschichte von Ehren Krüger (The Ring, Der verbotene Schlüssel) aufzubegehren. Auch in den Nebenrollen ist der Film vorzüglich besetzt: Der vielseitige Jonathan Pryce (Fluch der Karibik, De-Lovely), dem mit Gilliams Brazil 1985 der Durchbruch gelang sowie Peter Stomare (Minority Report, Constantine), dem unvergessen Schweigsamen aus Fargo als auch Monica Bellucci (Matrix Reloaded, Matrix Revolutions, Pakt der Wölfe) bereichern das Ensemble. Doch auch sie verblassen etwas neben dem verhexten Wald, dem heimlichen Hauptdarsteller des Films.

    Die negativen Aspekte an „Brothers Grimm“ tun dem Gesamtspaß allerdings ein wenig Abbruch. „Brothers Grimm“ ist in großen Teilen ein waschechter Gilliam voller skurriler Figuren und fabelhafter Ideen, indem er seiner Linie und seinem Thema treu bleibt sowie dieses visuell um neue Facetten zu ergänzen weiß. Der Helden Glück, ihre Erlösung und schließlich Rettung liegt auch bei „Brothers Grimm“ wie bei so vielen anderen Gilliam-Filmen darin, das Fantastische als etwas Wirkliches zu akzeptieren. Vor diesem Hintergrund wirkt das tatsächliche, glückliche Ende beinahe wie ein überflüssiges Anhängsel. Wills und Jakes Katharsis würde sich jedenfalls auch ohne diesen kinderfreundlichen Ausklang vor dem Zuschauer vollziehen, zumal der Film insgesamt recht verstörend und durch einige Gewalt sowieso nicht für die Jüngeren gedacht ist. Nach der nunmehr siebenjährigen Schaffungspause nach „Fear And Loathing In Las Vegas“ (1998) meldet sich Gilliam wieder zurück, so dass man sich auf seinen nächsten Film, Tideland schon heute freuen darf...

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