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    Die Dolmetscherin
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Dolmetscherin
    Von Deike Stagge

    Dass viele Hollywoodakteure mit der Außenpolitik des amerikanischen Präsidenten George W. Bush nicht einverstanden sind, ist hinlänglich bekannt. Vor allem Sean Penn und Tim Robbins haben sich in der Vergangenheit öffentlich gegen ihren Präsidenten engagiert. Mit Sydney Pollacks Polit-Thriller „Die Dolmetscherin“ wird die latente Bush-Kritik jetzt zum ersten Mal in einen Unterhaltungsfilm zementiert. Die Botschaft ist entsprechend deutlich: Wir vertrauen auf die Vereinten Nationen, um internationale Krisen zu bewältigen.

    Sylvia Broome (Nicole Kidman) arbeitet als Dolmetscherin für die Vereinten Nationen in New York. Eines abends belauscht die auf afrikanische Sprachen spezialisierte junge Frau zufällig über ihre Kopfhörer zwei Männer, die sich im dunklen Plenarsaal über ein Mordkomplott gegen den afrikanischen Diktator Dr. Zuwanie (Earl Cameron) unterhalten, das in aller Öffentlichkeit während eines VN-Plenums durchgeführt werden soll. Sie entkommt nur knapp, ohne gesehen zu werden. Als sie am nächsten Morgen den Vorfall meldet, begegnen ihr die Sicherheitsleute mit Misstrauen. Vorsichtshalber werden die FBI-Agenten Tobin Keller (Sean Penn) und Dot Woods (Catherine Keener), die zum Personenschutzteam gehören, auf den Fall angesetzt. Keller geht aber nicht nur der Möglichkeit eines Anschlags auf den brutalen Despoten nach, sondern überprüft auch Sylvias Vergangenheit. Bald kommen dem Ermittler Zweifel an der Aufrichtigkeit seiner Hauptzeugin. Denn Sylvia hat nicht nur mehr mit dem afrikanischen Kleinstaat zu tun, als sie zugeben möchte, sondern auch ein paar dunkle Flecken in ihrer Vergangenheit. Zwischen Agent und Dolmetscherin entwickelt sich ein brisantes Katz- und Maus-Spiel zwischen Vertrauen, Verdacht und Verfolgung.

    In das sich langsam entwickelnde, komplexe Puzzlespiel bringen besonders die vielschichtigen Charaktere viel Farbe, die auch außerordentlich gut besetzt sind. An dem problembeladenen, zynischen FBI-Agenten, der den Verlust seiner Frau trotz unglücklicher Ehe nicht verkraftet, bringt Sean Penn vor allem seine Verzweiflung und das negative Weltbild zum Vorschein. Dem gegenüber wirkt Nicole Kidmans Darstellung der Sylvia betont kämpferisch, aber auch verletzlich und desillusioniert. Die beiden Oscargewinner eignen sich hervorragend als Zugpferde für „Die Dolmetscherin“ und harmonieren auf der Leinwand sehr gut.

    Das Drehbuch verleiht dieser Gegenüberstellung noch ein zusätzliches Highlight: Der Zuschauer erlebt anfangs die Story nur aus Sylvias Sicht. Nach einem Drittel der Geschichte wird das Publikum unvermittelt neben Agent Keller gestellt und erlebt das Geschehen fortan aus seinem Blickwinkel. Ein kluger Schachzug, denn man bekommt die Chance, den Charakter von Sylvia kritisch aus der Distanz zu betrachten und auch ihre Schwächen zu entdecken. Darüber hinaus fesselt die Geschichte durch ihr Tempo. Ohne langwierige Einführungen wird direkt in die Handlung eingestiegen. Auf unwichtige und allzu irreführende Informationen wird bewusst verzichtet, die Story dreht sich nur um den zentralen Konflikt und nimmt sich zwischen den rasanten Verfolgungssequenzen die Zeit, ihn in allen Facetten vorzustellen bis hin zu der ethischen Frage, wen es denn eigentlich stören würde, wenn ein Diktator vor laufender Kamera ermordet werden würde.

    Sydney Pollocks („Sabrina“, „Jenseits von Afrika“) neueste Regiearbeit überzeugt dank ihrer aktuellen Brisanz und der hervorragenden Darsteller. Auch wenn es sich bei Dr. Zuwanie um den Diktator eines fiktiven Staats handelt, wird die Frage nach der Effizienz der Vereinten Nationen deutlich gestellt und in ausgefeilten Dialogen häppchenweise beantwortet. Die Vereinten Nationen sicherten ihre Unterstützung für den Film übrigens durch die Erteilung einer Drehgenehmigung in ihrem Gebäude für die Wochenendtage. „Die Dolmetscherin“ ist nervenaufreibendes Politkino vom Feinsten. Spannende Handlungsbögen und die intelligent eingearbeiteten Wendungen sorgen für 128 Minuten pure Unterhaltung. Nervöses Nägelkauen ist garantiert.

    Link-Tipp: Nicole Kidman und Sydney Pollack im Filmstarts-Interview

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