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    Die Geschichte der Abe Sada
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Geschichte der Abe Sada
    Von Nicole Kühn

    Liebe und Sex als Obsession. Wenn Begehren zur Besessenheit und Verlangen zu Inbesitznahme wird, geraten die normalen Koordinaten des Lebens ins Wanken und werden von der Wucht der Emotionen niedergerissen. Basierend auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1936 erzählt Tanaka die Geschichte einer wahnsinnigen Liebe, die sich komplett von der Außenwelt mit ihren Werten und Normen abspaltet und in ihrer Zügellosigkeit auf die Katastrophe zusteuert, die nur Opfer zurücklässt.

    Ein leidenschaftliches Liebespaar in einem kleinen Hotelzimmer in Japan: Spielerisch turteln der Mann und seine Geliebte miteinander, flüstern sich Zärtlichkeiten zu und toben sich miteinander aus. Nach der ersten Liebe folgt die zweite, gefolgt von einer dritten: die beiden können nicht voneinander lassen. Die unbeschwerte Liebe ergreift von Abe Sada ebenso Besitz wie von Kichi. Symbiotisch wachsen die beiden zusammen, verlassen ihr Zimmer nicht mehr, nicht einmal das Bett, lieben sich bis es weh tut. Die Liebe wird zunehmend zum Wahn, jede Verrichtung wird sexualisiert, jeder Eindringling, und sei es nur die frische Luft von draußen, wird vehement aus der symbiotischen Einheit verbannt. Immer wieder wird das erotische Spiel mit einem Gerangel um Gewalt und Macht durchsetzt. Im Rausch werden dabei Grenzen überschritten, ohne dass dies Konsequenzen nach sich ziehen würde.

    Bis die liebestolle Abe Sada ihrem Geliebten bei einem Würgespiel mit einem Schal um den Hals ernsthafte Verletzungen zufügt. Über die Wunden, die bei diesem Mal nicht nur äußerlich bleiben, geht die Frau mit kindlicher Naivität hinweg und sucht die Übertretung durch liebevolle Pflege wieder gut zu machen. Dass sie dieses Mal einen Schritt zu weit gegangen ist, kann sie nicht begreifen. Erst als Kichi ihr seinen Entschluss mitteilt, zu seiner Ehefrau zurückzukehren dringt die Realität bis zu ihr vor – mit ungeahnten Folgen. Ihre Besessenheit hemmungslos auslebend nimmt sie sich gewalttätig all das von „ihrem“ Mann, was sie keiner anderen Frau gönnt. Und das ist Kichi mit Leib und Seele.

    Takana erzählt die Geschichte einer wahnsinnigen Liebe weitgehend ohne Wertung und versucht das Innenleben seiner Hauptfigur nach außen hin sichtbar zu machen. Er verzichtet dabei dankenswerter Weise auf jeglichen psychologischen Erklärungsansatz. Dass der dann gegen Ende der Geschichte nachgeschoben wird ist völlig überflüssig und wirkt aufgesetzt, so als müsse man zumindest in wenigen Fetzen erklären, wie es zu der psychopathischen Tat kommen konnte. Bis zu diesem Einbruch wird die Kamera zum stillen Zeugen in einer fast klaustrophobisch engen Beziehung und lässt den Zuschauer an einer Intimität teilhaben, in der kein Platz ist für Zwischenräume. Die Beengtheit, in die das freizügige Paar unweigerlich steuert, wird in der Räumlichkeit deutlich. Die Kamera ist beständig auf die Körper der Protagonisten gerichtet und vermittelt so die absolute Fokussierung der Liebenden aufeinander.

    Die Leistung der beiden Schauspieler ist beeindruckend, ruht doch die gesamte Handlung fast ausschließlich auf diesen beiden Figuren. Ohne jeden Manierismus schlüpfen sie in die Rolle von zwei vor Begierde Verrückten und bringen dabei das äußerst instabile innere Gleichgewicht zum Vorschein. Besonders Junko Miyashitas Darstellung bleibt im Gedächtnis. Reichlich Erfahrung konnte sie im erotischen Film sammeln: in den 70er Jahren war sie einer der bedeutendsten Darstellerinnen in „romano poruno“ und „pinku eiga“-Filmen und schaffte es auch in Arthouse-Produktionen wie z. B. „Himatsuri“ von Mitsuo Yanagimachi. „Romano poruno“ und „pinku eiga“ sind die japanischen Varianten des Softporno-Kinos, wobei die Reihe „Romano poruno“ aus dem großen Nikkatsu-Studio versuchte, die Stoffe mit künstlerischen Anspruch aufzuladen. Wie in Hollywood und andernorts bot die gewinnträchtige Softporno-Industrie auch in Japan jungen Talenten und künstlerischen Experimenten den Raum, der sonst nicht zu bezahlen war. Noburo Tanaka sammelte seine Erfahrungen ebenfalls in diesem Genre und legt in seinem international beachteten Werk immer wieder eine Vorliebe für das Abgründige im Menschen an den Tag.

    Dafür bietet ihm die reale Geschichte der Abe Sada ein ideales Gerüst, innerhalb dessen er die Bilder erzählen lässt. Mutet die Beziehung zwischen den Liebenden am Beginn noch spielerisch und zärtlich an, so zeigt bereits der häufig durch Gitter und Balken zerschnittene und begrenzte Kamerablick die Ausweglosigkeit dieses Liebeswahnsinns. Farblich konterkariert die graue Realität des heraufziehenden zweiten Weltkrieges das knallbunte Liebesnest des Paares, und durch die Kürze und Beziehungslosigkeit des Blicks nach draußen wird die Entfremdung Abe Sadas vom gesellschaftlichen Leben deutlich. Tanaka hat einen sehr sinnlichen Film geschaffen, dennoch gelingt es ihm nicht, den Zuschauer über die gesamte Dauer des Films so zu bezirzen, dass er sich wie die Hauptfiguren dem Rausch der Sinne hingeben kann. Da die Geschichte recht bald mit dramatischen Einlagen loslegt, fehlt ihr gegen Ende der Atem, um den Spannungsbogen zu halten. Der bricht nach der Tat ziemlich abrupt ab und Tanaka kann sich weder für ein schnelles Ende noch für eine einigermaßen befriedigende Analyse der Tat entscheiden. Beides hätte diesem Bilderreigen mehr angestanden als die Halbherzigkeit, die den Film nun abschließt.

    Die Leistung dieser DVD liegt eindeutig darin, einen in Vergessenheit geratenen Film mit großem ästhetischem Anspruch wieder verfügbar zu machen. Mehr hat sie leider auch nicht zu bieten. Das ist deswegen schade, weil zurzeit das Interesse am asiatischen und besonders am japanischen Kino groß ist und die Tradition des „pink cinema“ dort im Gegensatz zur westlichen Filmindustrie bis heute fortgeführt wird. Auch die Bildsprache und der Erzählrhythmus sind im japanischen Kino anders als im uns bekannten und in diesem Film stark ausgeprägt. Es gäbe also viel Interessantes über das japanische Kino zu berichten, was mit diesem Film in Zusammenhang steht. Auch der historische Bezug zur realen Abe Sada wird nicht weiter verfolgt. Der Mehraufwand hätte sich sicher gelohnt und Cineasten wären für ein paar Bonbons über den Film hinaus sicher dankbar gewesen.

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