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    39,90
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    39,90
    Von Patrick Becker

    „39,90 (Neununddreißigneunzig)“ - dies war im Jahr 2000 zugleich Titel und Verkaufspreis eines Buches von Frédéric Beigbeder. Natürlich bezahlte man damals noch mit D-Mark. Heute kostet die in weiten Teilen autobiographische Anklage gegen die Werbebranche 9,90 Euro - und heißt auch so. Da es im Kino keine Buchpreisbindung gibt, hätte der Film mit einer „unverbindlichen Preisempfehlung“ des Verleihers versehen werden können, um den Preis einer Kinokarte mit dem Titel des Produktes gleichzusetzen. Das hat Alamode aber nicht getan und so heißt nun auch die Kinoadaption von Regisseur Jan Kounen („Dobermann“, Blueberry und der Fluch der Dämonen) „39,90 (Neununddreißigneunzig)“. Die aberwitzige Satire eröffnet einen ebenso erschreckend realen wie absurd komischen Blick auf den Zynismus der Werbewelt. Gleichzeitig ist der Film aber auch das Psychogramm eines Mannes, der zum Opfer der von ihm selbst geschaffenen Welt wird. Einer verlogenen, irrealen Welt, in der letztlich alles käuflich ist!

    Ein hübsches Paar liegt an einem Traumstrand. „Willkommen in der schönsten aller Welten“, steht da geschrieben. Doch der schöne Schein trübt, die Idylle ist lediglich ein Werbeplakat. In Wirklichkeit regnet es in Strömen, niemand ist glücklich und der Mann am Rande eines Hochhausdaches schon gar nicht. Der Mann am Abgrund heißt Octave Parango (Jean Dujardin) und ist Texter bei einer der größten Werbeagenturen der Welt: „Ross & Witchkraft“. Er wurde gerade befördert und das Dach, auf dem er steht, gehört der Agentur. Octave springt… Schnitt… Beginn einer Rückblende…

    Willkommen in der Welt von Octave Parango. Er hat es geschafft: Octave ist jung, talentiert, schwimmt im Geld und gehört zu den erfolgreichsten Kreativen seines Fachs. Er entscheidet darüber, was wir morgen essen, tragen, fahren oder trinken. Und wenn wir endlich das Geld zusammen haben, um uns den lang ersehnten Wagen zu gönnen, dann hat Octave schon längst für neue Bedürfnisse gesorgt. Er ist arrogant, zynisch und egoistisch. Sein Kokainverbrauch entspricht der jährlichen Gesamtproduktion von peruanischem Maismehl und er säuft wie ein Loch. Auf den ersten Blick ist er ein richtig mieser Sack… und auf den zweiten Blick bestätigt sich diese Annahme. Sein einziger Kumpel ist sein Kollege Charlie (Jocelyn Quivrin), der ähnlich tickt, aber weniger Probleme damit hat. Denn Octave fühlt sich nicht mehr wohl in seiner Haut. Er hasst sich und die Welt, die er erschafft. Den einzigen Halt im Leben findet er bei seiner geliebten Sophie (Vahina Giocante). Als diese ihm jedoch ihren positiven Schwangerschaftstest unter die Designerbrille hält, flüchtet Octave. Er verbringt seine Abende mit Tiefkühlpizza und - da in seiner Welt auch die Liebe nur ein käufliches Produkt ist - mit einer Prostituierten namens Tamara (Elisa Tovati). Beruflich läuft es derweil wie geschmiert. Sein wichtigster Kunde, „Madone“ (Ähnlichkeiten zu real existierenden Konzernen sind natürlich nicht rein zufällig), plant einen neuen Joghurt-Spot und ist von Octaves in fünf Minuten zusammengekritzelten Ideen begeistert. Als er nach einem Zusammenbruch aus der Entzugklinik entlassen wird, ist Octave nicht mehr derselbe. Er entwickelt einen Plan, den Werbespot zu sabotieren und der verkorksten Welt einmal in seinem Leben die Wahrheit zu präsentieren – natürlich in genau 30 Sekunden…

    In der Rolle des Octave brilliert der in Frankreich durch seine Rolle in der Fernsehserie „OSS 117“ zum Star avancierte Jean Dujardin. Der ungemein wandlungsfähige Komiker verkörpert kongenial den zerrissenen, gleichermaßen selbstverliebten wie sich selbst hassenden Octave. Er schafft es, beim Zuschauer eine gewisse Sympathie für den ziemlich skrupellosen Antihelden zu wecken, ohne die der Film nicht viel mehr wäre als ein sehr gut gemachtes Pamphlet gegen die Werbewirtschaft. Dujardin aber macht aus Octaves Tour de Force eine wilde Achterbahnfahrt, bei der dem Zuschauer ein ums andere Mal das Lachen in Halse stecken bleibt, weil hinter jeder absurden Situation, in die Octave schliddert, eine unangenehme Wahrheit steckt. Etwa wenn sich der Vorstandsvorsitzende des Madone-Konzerns in einem Meeting als Rassist outet, weil diesem die dunkle Hautfarbe einer Schauspielerin nicht passt: „Schließlich verkaufe man ja keinen Schokopudding!“

    Nichts in „39,90 (Neununddreißigneunzig)“ ist subtil. So wie auch die Werbung nicht subtil ist. Der Film schreit. Und mit ihm die Darstellerriege, die hier ungeniert wild, aber pointiert aufspielt. Dabei hilft ihnen ein Drehbuch, das sich zwar an der Buchvorlage orientiert, ihr aber nicht sklavisch folgt und so dem Medium Film gerecht wird. Auch Frédéric Beigbeder, der in einigen Sequenzen selbst mitspielt, zeigte sich höchst zufrieden mit dem Resultat. Einem Resultat, das immerhin sieben Jahre benötigte, um fertig gestellt zu werden. Eine Tatsache, die Produzent Alain Goldman damit erklärt, dass die üblichen Geldgeber seiner Projekte, vor allem Privatsender, dankend ablehnten: Immerhin leben diese von der Werbung. Und man beißt eben nur ungern die Hand, die einen füttert. Lediglich Pathé und ARTE haben schließlich gewagt, sich an dem riskanten Projekt zu beteiligen.

    Werbung ist in den meisten Fällen hauptsächlich eines: nein, nicht nervig. Gemeint ist: Wiederholung. Die Wiederholung seiner selbst und – inhaltlich – von Referenzen aus Film, Literatur und Kunst. Und so ist es nur logisch, dass sich der Film inhaltlich auch immer wieder auf alles mögliches Kulturgeschichtliches bezieht, wenn es um die Anklage alles Käuflichen geht. So findet man unter zahlreichen anderen auch Anspielungen auf Filme wie 2001- Odyssee im Weltraum und Fight Club. „39,90 (Neununddreißigneunzig) ist ein sperriges, dabei aber auch ungemein unterhaltsames Werk: schräg, witzig und gemein.

    Nur eines stößt sauer auf. Am Ende – und diejenigen, die dies sehen möchten, sollten nicht zu früh den Saal verlassen! – steht sinngemäß folgender Satz: „Nur 10 Prozent des weltweiten Gesamt-Etats für Werbung würde ausreichen, um den Hunger auf der Erde zu halbieren.“ Diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht problematisch und führt zu Abzügen in der B-Note. Zum einen wird diese Aussage außerhalb der eigentlichen Handlung getroffen und damit zu einer moralischen Instanz, die völlig unnötig ist. Der Film lässt in keiner Sekunde Zweifel über seine letztlich politische Aussage zu. Großkonzerne und Werbung sind leichte Opfer, da es auf dieser Welt vermutlich wenig gibt, dem man eine größere Antipathie entgegenbringt. Ausgenommen vielleicht Fußpilz und Achselnässe. Somit ist eine Belehrung des Zuschauers redundant und - da er die Werbe-Etats der Konzerne eh nicht beeinflussen kann - geradezu beleidigend. Außerdem bedient sich die Aussage derselben Methodik wie sie Werbefilme einsetzen, um ein Image zu verkaufen: tendenziöser Polemik. Mit einer ähnlichen Logik könnte man den Zuschauer ermahnen, sich die 4,50 Euro für die Kinokarte doch nächstes Mal lieber zu sparen, um sie stattdessen an „Brot für die Welt“ zu spenden. Etwas, das man auch den Produzenten von „39,90 (Neununddreißigneunzig)“ ans Herz legen sollte. Nirgendwo findet sich nämlich der Hinweis, dass 10 Prozent der Einnahmen, beziehungsweise des Werbe-Etats des Films dem Kampf gegen den Welthunger zugute kommen.

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