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    Alle Kinder dieser Welt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Alle Kinder dieser Welt
    Von Christoph Petersen

    Den namenlosen, unsichtbaren Kindern dieser Welt ein Gesicht geben, das haben sich der italienische Regisseur Stefano Veneruso und seine Produzentin Chiara Tilesi mit ihrem Episodenfilm „Alle Kinder dieser Welt“ vorgenommen. Unterstützt wurden sie auf der einen Seite von UNICEF (United Nations Childrens Fund) und WFP (World Food Programme), auf der anderen von sieben namhaften Regisseuren aus allen Ecken der Welt. Jeder von ihnen hatte bei seinem Kurzfilm zum Thema „Unsichtbare Kinder“ die absolute künstlerische Freiheit, weil man gerade in diesem Bereich nur etwas bewegen kann, wenn man auch mit dem ganzen Herzen hinter seiner Geschichte steht. Herausgekommen ist nun eine Zusammenstellung von Werken so erfolgreicher Filmemacher wie Ridley Scott, Spike Lee oder John Woo, deren einzelne Teile wie bei fast allen Episoden-Projekten von sehr unterschiedlicher Qualität sind.

    Den Anfang macht der französische Regisseur Mehdi Charef, dessen bekanntester Film sein Debüt „Tee im Harem des Archimedes“ ist, mit dem Porträt eines 12-jährigen Jungen (Bila Adama), der sich der Partisanen Armee „Freedom Fighters“ in Afrika angeschlossen hat. „Tanza“, so der Name des Jungen, bekommt den Auftrag, zwei Bomben in der Schule eines kleinen Dorfes zu legen. Aber die Schulsachen und die Fragen an der Tafel lassen ihn stocken, der Wunsch, auch nur ein normales Kind zu sein, steigt in ihm auf. Seine gänzlich unkommentierte Geschichte verpackt Charef dabei in wunderschöne Bilder, die den Zuschauer aber „Tanza“ bei seinem Treiben zu gerne zusehen lassen. Es fehlt die Rauheit und unerbitterliche Härte, durch die zum Beispiel die letztjährige Dokumentation Lost Children, in der es sich um dasselbe Thema dreht, einen bleibenderen Eindruck hinterließ. Da „Tanza“ auch noch die erste von sieben Episoden ist, ist er mit seiner zu glatten Inszenierung zum Ende des Films schon fast wieder vergessen.

    Als nächstes ist „Blue Gypsy“ von „Goldene Palme“-Gewinner (für „Underground“) Emir Kusturica (Das Leben ist ein Wunder) an der Reihe. Die Anekdote über den Zigeunerjungen Uros (Uros Milovanovic), der lieber im Jugendgefängnis bleiben möchte, als zu seinem schlagenden Vater zurückzukehren, ist dabei wieder mit dem für Kusturica typischen Folklore-Slapstick unterlegt. Das Problem ist nur, dass dieser mit jedem seiner Filme unlustiger wird und mittlerweile mehr nervt als unterhält. Besser hingegen erfüllt sein amerikanischer Kollege Spike Lee (25 Stunden) seine Aufgabe. In „Jesus Children Of America“ erzählt er von einem an Aids erkrankten Mädchen (Hannah Hodson), dessen Eltern seit dem ersten Irak-Krieg drogenabhängig sind. Das Großartige an dieser Episode ist, dass die Eltern nicht als einfach nur die Bösen hinstellt werden, sondern als Menschen, die ihr Kind unendlich lieben und alles für es tun würden, mit ihrem Leben aber einfach nicht mehr klarkommen. Für diese Situation, in der es innerhalb der Familie einfach keine Lösung mehr gibt, stellt Lee mit der „Health Organisation for Teens“ zum Ende seiner Geschichte auch noch eine sinnvolle Hilfe zur Seite.

    Dass Katie Lund Co-Regisseurin des brasilianischen Mega-Erfolgs City Of God ist, sieht man ihrer Episode „Bilu E Joao“ um den aufregenden Tag im Leben zweier Straßenkinder in Sao Paulo selten an. Nur die Parallelmontage von einem Ferrari-Videospiel und der Fahrt eines der Kinder mit einem Handkarren durch die Stadt lässt ihre filmischen Wurzeln erkennen. Ansonsten inszeniert sie die Geschichte um Bilu (Vera Fernandes) und Joao (Francisco Anawake de Freitas) angenehm unspektakulär und mit jeder Menge Einfühlungsvermögen. Ihren kleinen Helden sind die Sympathien und die Bewunderung der Zuschauer sicher. Den schwächsten Beitrag liefern überraschenderweise Erfolgsregisseur Ridley Scott (Alien, Gladiator) und seine Tochter Jordan Scott. Ihr Film „Jonathan“ erzählt in mystisch anwirkenden Bilder die Geschichte eines Kriegsfotografen (David Thewlis, Königreich der Himmel), der in seinen Albträumen seine schrecklichen Erlebnisse noch einmal aus einer kindlichen Perspektive reflektiert. Das Ganze kommt aber viel zu verkopft und prätentiös daher, als dass man als Zuschauer wirklich an dem Schicksal der Protagonisten teilhaben könnte.

    Stefano Veneruso, der das Projekt ja erst ins Rollen gebracht hat, ließ es sich nicht nehmen, eine der Episoden auch selbst in Szene zu setzen. In „Ciro“ geht es um einen Jungen (Daniele Vicorito), der sich mit Straßenraub von seinen häuslichen Problemen ablenkt. Auf Neapels großen Plätzen und engen Gassen gibt es zunächst eine aufwendige Verfolgungsjagd zu sehen, bevor „Ciro“ auf einem abgelegenen Rummelplatz bewusst wird, was er wirklich will. So überzeugt „Ciro“ vor allem durch seine starke Inszenierung und nur zweitrangig durch seine Aussage. Nach dem Motto „Das Beste zum Schluss“ beendet John Woos (The Killer, Mission: Impossible 2) Beitrag „Song Song And Little Cat“ den Film. In unglaublich feinfühlig komponierten Bildern stellt er das Schicksal zweier Mädchen, der obdachlosen Waisen Little Cat (Qi Ruyi) und der Tochter superreicher, aber geschiedener Eltern Song Song (Zhao Zicun), gegenüber. Beide wurden auf unterschiedliche Art vom Rest der Welt vergessen. Little Cat wird beim betteln nur von allen herumgeschupst und Song Song bekommt zwar alle Spielsachen und Klavierstunden, aber keine echte Aufmerksamkeit. Am Schluss schenkt Little Cat Song Song eine ihrer Rosen - ein Augenblick unendlicher Schönheit, für den es sich lohnt, auch ein paar schwächere Episoden durchzuhalten.

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