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    Tenderness - Auf der Spur des Killers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tenderness - Auf der Spur des Killers
    Von Nicole Kühn

    Ein kindlich-unschuldig wirkender Killer, ein frühreifes vernachlässigtes Tennie-Gör und ein nicht mehr ganz taufrischer Cop, der zwischen Fürsorglichkeit und Desillusioniertheit schwankt – dieses Trio schickt Regisseur John Polson (Hide And Seek, Swimfan) in „Tenderness“ auf eine unheilvolle Reise durch ein Amerika, das durch und durch beschädigt scheint. Ständig droht die Situation zwischen den Charakteren zu eskalieren, hinter ihrer abgeklärten Fassade schimmern immer wieder mühsam verdrängte Sehnsüchte auf. Die widerstreitenden Gefühle und den tiefsitzenden Wunsch nach Zärtlichkeit fügt Polson mit Hilfe einer exzellenten Darstellerriege zu einem stimmigen Psychodrama und zu einem eindrucksvollen Seelengemälde.

    Als der 18-jährige Eric (Jon Foster) nach dem spektakulären Mord an seinen Eltern aus der Haft entlassen wird, heftet sich ihm Detective Cristofuoro (Russell Crowe) an die Fersen. Der Polizist ist der festen Überzeugung, dass sich hinter den sanften Zügen des streng katholisch erzogenen Jungen ein psychopathischer Serienkiller versteckt, der junge Mädchen nach einem Kuss zwanghaft ermordet – der einzigartigen Intimität des Todesmoments wegen. Während der Cop dem Einzelgänger völlig emotionslos gegenüber tritt, ist die 15-jährige Lori (Sophie Traub) hemmungslos vernarrt in den Mörder. Für ihre Sensibilität ist in ihrem Zuhause kein Platz und so nähert sich die verletzte Seele ihrem Pendant in einer rein platonischen und doch sehr leidenschaftlichen Liebe an. Doch die gesellschaftliche Realität rückt dem verzweifelt fliehenden Duo personifiziert durch Christofuoro immer dichter auf den Pelz.

    In „Tenderness“, einer Adaption des gleichnamigen Romans von Robert Cormier, wird das Seelenleben der drei versehrten Hauptfiguren offengelegt. Der älteste und somit abgeklärteste der Protagonisten macht in seinem einführenden Off-Kommentar gleich seine Position klar: Es gebe nur zwei Sorten von Menschen, und bis auf kurze Momente könne keiner seiner Bestimmung entkommen. Es gibt also die Glücksjäger und die Schmerzflieher, so einfach ist das für den abgebrühten Cop. Mit dieser fatalistischen Einstellung verfolgt er Eric und Lori. Das sexuell missbrauchte und emotional vernachlässigte Mädchen wiederum bringt mit seiner Offenheit und Furchtlosigkeit den zutiefst verunsicherten Eric an seine Grenzen. Kaum merklich entwickelt dieser eine fürsorgliche Liebe für das junge Mädchen, dessen Faszination für den Psychokiller und Medienstar sich zunehmend als handfeste Todessehnsucht entpuppt.

    Regisseur Polson geht auch dann mit Klarheit und Gelassenheit zu Werke, wenn sich die Dinge atemberaubend zuspitzen. Obwohl er weitgehend auf Blut und Gewalt verzichtet und sich für einen eher ruhigen Erzählton entscheidet, entfaltet „Tenderness“ dank präziser Bildsprache eine erstaunliche suggestive Kraft. Nicht nur die Figuren werden aus der Reserve gelockt, auch das Mitgefühl der Zuschauer wird geweckt. Ohne etwas zu beschönigen, zeigt Polson in jedem der drei Protagonisten trotz aller Defekte auch liebenswerte Eigenschaften, lässt sie zu Menschen werden, die Zuneigung verdienen.

    Der Fokus liegt eindeutig auf den vorsichtigen Gehversuchen tief verletzter Menschen, die versuchen, aus ihren selbst erschaffenen inneren Gefängnissen auszubrechen. Ihre mangelnde Fähigkeit, Emotionen zu zeigen und sie adäquat auszudrücken, spiegelt sich in den blassen und ruhigen Bildern von Tom Sterns (Mystic River, Million Dollar Baby) Kamera, die ebenso nach Intensität zu dürsten scheinen wie die Charaktere. Diese Reduktion prägt auch die Dramaturgie von „Tenderness“. Geduldig wird die Spannung ausgespielt, die sich im Nichtgesagten zwischen den Personen entwickelt, denn diese Menschen sprechen nur dann, wenn sie etwas zu sagen haben. Indem er sich viel Zeit nimmt für die wunderbaren, tiefgründigen Dialoge und auch dem, was zwischen und nach den Worten ist, Raum gibt, gelingt dem in Australien geborenen Regisseur das schwierige Unterfangen, die Tiefe einer Romanvorlage ins Medium Film zu übersetzen.

    Mit Russell Crowe (Gladiator, Insider, A Beautiful Mind) als Christofuoro und Laura Dern (Wild At Heart, Jurassic Park) in einer Nebenrolle hat Polson zwei Charakterdarsteller der ersten Riege für seinen Film gewinnen können, denen die jungen Jon Foster (Stay Alive, The Door In The Floor) und Sophie Traub (Die Dolmetscherin) kaum nachstehen. Als ebenso effektiver Akteur erweist sich die herausragende Musik. Nicht auf-, dafür aber eindringlich legt Komponist Jonathan Goldsmith (An ihrer Seite) einen deutlichen Hauch des Schmerzes über das Geschehen und hält damit die Eingangsworte Cristofuoros präsent, die dieser am Ende nur leicht zu modulieren weiß: Freude hilft zu vergessen, Schmerz zwingt zum Hoffen. „Tenderness“ ist eine schmerzlich schöne Odyssee zum Ende der Hoffnung.

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