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    Cube
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Cube
    Von Andreas R. Becker

    „Semiotik klebt einem wie Scheiße am Schuh“, formulierte mal ein Geisteswissenschaftler auf einer Tagung eine flapsiger Weisheit: Überall suchen wir bewusst und unbewusst nach der Bedeutung des uns Umgebenden und können uns kaum damit abfinden, dass etwas, oder gar alles, sinnlos sein sollte. Somit lieferte der werte Professor vermutlich eher unbeabsichtigt auch gleich eine von zwei Phrasen, die den Sci-Fi-Thriller „Cube“ des Kanadiers Vincenzo Natali recht treffend subsumieren. In einem Würfel zusammengewürfelt finden dort eine Handvoll erinnerungsloser Verschleppter erstens einander und zweitens weitere Würfel hinter quadratischen Luken. Fraglos drängt sich die Frage nach dem „Warum?“ da erst recht auf. Es beginnt eine Suche nicht nur nach dem Ausgang, sondern auch nach Sinn und Bedeutung dieses überdimensionalen Symbols. Und jenes entpuppt sich nicht nur als labyrinthartiges Gefängnis, sondern auch noch als ein mit tödlichen Fallen gespicktes, wie die Exposition auch gleich eindringlich mahnend demonstriert. Watch your step.

    Gemeinsam ist man stark, daher rauft man sich und die auffällig gut kombinierbaren geistigen und körperlichen Talente zusammen und wandert, nicht ganz blut- und verlustfrei, von Raum zu Raum, um immer mehr Teile des sadistischen Puzzles zusammenzufügen. Angst, Paranoia, Misstrauen, Verzweifeln. So sieht die Sammlung gutgelaunter Substantive aus, die als Filmuntertitel Plakat und DVD-Cover zieren. Dass der Mensch in Extremsituationen plötzlich in die Tiefe verdrängte Triebe zum Vorschein bringen kann, ist hinlänglich bekannt und gefilmt worden. Da macht auch „Cube“ mit seiner wahrhaft unangenehmen, klaustrophischen Zwangserfahrung keine Ausnahme. Der ausgebrochene Knastbruder Rennes (Wayne Robson) liefert dann auch die zweite der oben genannten Phrasen, die sich im Verlauf des Films zu einer erschreckenden Gewissheit mausert: „You gotta save yourselves from yourselves.“ Und damit meint er die hochbegabte Matheschülerin Leaven (Nicole DeBoer, „Star Trek: Deep Space Nine“), nerdgerecht nickelbebrillt und eher verstört und zurückhaltend, sowie den apathischen, aber gebildeten Architekten und Zyniker Worth (David Hewlett), der sogar so wenig spricht, dass man manchmal vergisst, dass er da ist. Er meint die Ärztin Holloway (Nicky Guadagni), die sich um den Autisten Kazan (Andrew Miller) kümmert und den Cop Quentin (Maurice Dean Wint), welcher sich die Rolle des Führers zunächst situativ bedingt aufzubürden scheint, um sie wenig später mit Gewalt zu verteidigen. Auch wenn sie alle häppchenweise ihren persönlichen Aha-Effekt zu offerieren haben, ist es doch vor allem Quentin, der von Rolle des ruhigen und gefassten Sympathen durch seine erwachenden Urinstinkte zur wahnsinnig gewordenen Bedrohung mutiert. Nebenbei bemerkt: Real existierende Gefängnisse spendeten den insgesamt sieben Gestrandeten nicht nur ihre Namen, sondern wurden auch noch charakterlich passend zugeordnet. San Quentin z.B. ist ein Gefängnis in Kalifornien, das für die dort vorherrschende Brutalität bekannt ist.

    Filme, die auf engem Raum stattfinden und das Antlitz eines Kammerspiels tragen, müssen sich des Öfteren eines vorschnellen Pauschalurteils erwehren: langweilig. Einer wie „Cube“, der in einem einzigen, gerade mal 5x5x5 Meter dimensionierten Würfelset gedreht wurde, wohl erst recht. Die verschiedenen Räume des Würfels unterscheiden sich lediglich durch ihre Farbgebung (technisch hergestellt durch verschiebbare Platten), die durch das resultierende Licht allerdings schon ganz alleine ihre psychologischen Effekt hat (Blau macht nicht immer glücklich). Ansonsten steht und fällt die visuelle Vielfalt natürlich vor allem mit dem Schnitt und der Auflösung der Szenen in verschiedene Kameraperspektiven. Aus einem absoluten Minibudget von gerade einmal 350.000 kanadischen Dollar wurde dabei erstaunlich viel herausgeholt. Nicht zuletzt die ausgeklügelt fiesen Fallen und ihre am Rande des Splattermovies wandelnden Resultate verpassen den einen oder anderen Adrenalinschub. Die ordentlichen Effekte wurden von der SFX-Schmiede C.O.R.E. sogar ganz für lau produziert, um die Filmindustrie Torontos zu unterstützen. Beim Toronto Film Festival feierte der Film dann auch 1997 seine Premiere, dennoch brauchte es teilweise wieder bis zu fünf Jahren Zeit und den Erwerb eines gewissen Kultstatus’, um „Cube“ das Betreten internationaler Bühnen zu ermöglichen (Release in Deutschland: Juli 2000).

    Aber Effekte hin oder her: Letztlich sind es vor allem die Einblicke in die menschliche Psyche, die über 90 Minuten zu fesseln vermögen und ähnlich wie zum Beispiel beim deutschen Das Experiment beklemmend demonstrieren, was so alles in uns steckt. Angst vor der nächsten Falle, Angst vor den anderen, Angst vor dem Verdursten – Gründe, am Rad zu drehen, gibt es ausreichend. Die Charaktere sind jedoch grundverschieden, und so auch ihre Art, mit der Ausnahmesituation umzugehen. Die Siedepunkte liegen bei jedem woanders, ebenso wie das, was dann aus dem Ventil entweicht. Die Riege an erwartungsgemäß eher unbekannteren Schauspielern bringt das im Schnitt auch gut rüber, wenn auch ohne nennenswerte Höhepunkte. Assoziationen wecken wird am ehesten noch Nicole de Boer, Trekkies auch aus ihrer späteren Rolle als Ezri Dax in „Star Trek: Deep Space Nine“ bekannt (Der kauft man die verschüchterte Schülerin trotz ihres Drehalters von 26 Jahren übrigens durchaus ab).

    An der Grenze zum Overacting ist stellenweise leider das, was Maurice Dean Wint als durchtickernder Cop zum Besten gibt. Seine Versuche, den sich steigernden Irrsinn mit dem Weiß in seinen Augen vorzuführen, können je nach Stimmung schon mal in die unfreiwillige Komik eines Overactings umkippen – zum Glück nicht an Stellen, wo es drauf ankommt. Neu ist auch, dass man mit Plastikknöpfen mathematische Gleichungen in Stahlschildchen ritzen kann, die auch noch immer groß genug und aus unerfindlichen Gründen komplett blank sind. Praktisch!

    Obwohl also mit ein paar kleineren, aber verzeihlichen Mängeln behaftet, beweist „Cube“ mal wieder eindrucksvoll, dass es keinen Geldregen braucht (oder vielleicht nicht geben darf?), um einen funktionierenden Film herzustellen. Ein gutes Drehbuch und das Talent, auch die wenigen Mittel geschickt ausreizen zu können, reichen völlig aus, um einen packenden Thriller herzustellen. Und der wird von vielen Fragen angetrieben, die wir uns gleichzeitig mit den Protagonisten stellen:

    Warum ergänzen sich die Fähigkeiten der ungleichen Truppe so ideal? Kann das Zufall sein? Warum ausgerechnet wir? Was ist der Cube? Wo befindet er sich? Was ist sein Zweck? Wie lautet die Verschwörung? Was ist draußen? Dass wir all das nicht erfahren werden, war Regisseur Natali sogar so wichtig, dass er einen eigenen Kurzfilm, der „Cube“ als Vorlage diente und die Außenwelt des Würfels preisgibt, vernichtete. Was wir an Antworten bekommen, sind deshalb bestenfalls spekulative Ansätze. Der düstere Ort ist einfach wie er ist, im schlimmsten kafkaesken Sinne. Er haut uns die verzweifelte Suche nach Sinn links und rechts um die Ohren. Er scheint zu sagen, dass die Bedeutung nicht zählt. Wer ihn fragt: „Warum?“, dem schallt nur gruselig ins Gesicht zurück: „Warum nicht?“

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