
Auf einer Kurzgeschichte von „Game of Thrones“-Schöpfer George R.R. Martin aus den 80er-Jahren basierend, spielt „In The Lost Lands“ in einer postapokalyptischen Welt, in der sich die Überbleibsel der Menschheit in einer streng von einem Overlord regierten Stadt zusammenscharen. Mit seiner jahrelangen Partnerin und filmischen Muse Milla Jovovich in der Hauptrolle als widerständige Magierin hat der Regisseur Paul W.S. Anderson den Look und die Erzählwelten seiner „Resident Evil“-Reihe weiterentwickelt und radikalisiert: Zwischen Western-Settings und den Schutthalden unserer Gegenwart entwirft er darin immersive Bilderwelten mit viel Gespür für so eigensinnigen wie betont künstlichen CGI-Wahnwitz.
FILMSTARTS-Autor Kamil Moll hatte die Gelegenheit, mit dem Regisseur Paul W.S. Anderson darüber zu sprechen, welchen Einfluss alte Western ausgeübt haben, wie genau die Dreharbeiten mithilfe einer Videospiel-Engine aussahen und warum kräftige Farbkontraste so wichtig für die Ästhetik des Films sind.

FILMSTARTS: In einem Interview hast du mal erwähnt, wie prägend für dich als Kind alte Western waren. „In The Lost Lands“ ist durchdrungen von Bildern und Motiven, die der Western-Ikonografie entlehnt sind. Hast du dir mit dem Film nun einen langgehegten Traum erfüllt? Ist das für dich eigentlich ein Western im postapokalyptischen Gewand?
Paul W.S. Anderson: Als ich George R.R. Martins Geschichte zum ersten Mal las, wurde mir schnell klar, dass darin zwei verschiedene Dinge miteinander verbunden werden. Das eine war ein düsteres Märchen für Erwachsene. Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass George einen Western geschrieben hatte, weil sehr viele Motive aus Spaghetti-Western in der Geschichte vorkamen.
Es geht um zwei Figuren, die sich auf eine Mission in eine feindliche Umgebung begeben und einander nicht unbedingt trauen. Aber im Laufe der Geschichte lernen sie, einander zu respektieren und füreinander zu sorgen. Und genau das ist ja auch die Struktur von „Für eine Handvoll Dollar“, „Für ein paar Dollar mehr“, „Zwei glorreiche Halunken“ und „Ein Fressen für die Geier“. Alles Filme, die ich als Kind geliebt habe! So habe ich dieses dunkle Märchen erzählt, aber mich zugleich viel auf Western-Ikonografie bezogen, die dem Film einen ganz eigenen, visuellen Reiz geben sollte. Denn ich wollte etwas schaffen, das Georges Arbeit treu bleibt, sich aber auch von dem unterscheidet, was er bisher im Fernsehen gemacht hat. Ich wollte einen Film mit einem großen Kino-Look, der sichtbar wird, wenn man ihn auf einer großen Leinwand sieht.
"In The Lost Lands": Mehr Postapokalypse statt Fantasy
FILMSTARTS: Im Film sind verschiedene andere Einflüsse miteinander kombiniert: Es gibt Kreuzritter, eine Hofintrige, die aus der Antike sein könnte, einen mit Kohle betriebenen Zug und einen Bus, der über einen Abgrund fährt – wie aus Cyberpunk-Animes. Hat dir die Story die Möglichkeit geboten, viele unterschiedliche Elemente zu verbinden, die man nicht automatisch zusammendenkt?
Paul W.S. Anderson: Am Anfang stand, wie gesagt, die Idee des Westerns, die bereits in Georges Geschichte steckt. Und wenn man an Western denkt, denkt man natürlich zuerst an Pferde und an Dampfeisenbahnen. Außerdem brauchten wir einen Antagonisten für den Film, denn was in der Kurzgeschichte funktioniert, wenn man sie auf Spielfilmlänge ausdehnt, benötigt einen Motor, der die Figuren vorantreibt. Daher dachte ich, es wäre großartig, wenn der Antagonist aus der Kirche käme. Denn die Trennung zwischen Kirche und Staat ist etwas, das George in seiner Welt sehr oft erforscht.
Zudem gefiel mir der Gedanke, dass es sich nicht nur um ein Fantasy-Setting handelt, sondern um ein postapokalyptisches Setting, in dem die Welt rückwärtsgewandt ist, fast wie in einem Feudalstaat. Sodass man eine Kombination aus dem erhält, was man traditionell mit George assoziiert, nämlich die eher mittelalterliche Welt im Stil von Westeros, aber in Verbindung mit Überbleibseln aus unserer Welt, die das Publikum wiedererkennen könnte: die heruntergekommenen Landschaften, die zerstörten Städte, die Dampfeisenbahn, die übriggebliebenen Teile der Technologie, die Armbanduhr, die als Zahlungsmittel verwendet wird. Ich fand, das war eine interessante Kombination. Und dann die Kreuzritter-Ästhetik, die war einfach visuell sehr beeindruckend. Und das war es letztlich, was mich am meisten interessierte: dem Film so weit wie möglich einen sehr starken visuellen Look zu geben.

FILMSTARTS: Du hast vor einiger Zeit mal darüber gesprochen, dass der Film komplett virtuell produziert wurde. Wie kann man sich die Dreharbeiten genau vorstellen?
Paul W.S. Anderson: Das war sehr innovativ, denn wir begannen mit dem Bau der Landschaften für den Film etwa eineinhalb Jahre vor den eigentlichen Dreharbeiten. Am Set verwendeten wir die sogenannte „Unreal Engine“, eine Videospiel-Engine, die es uns ermöglichte, Compositing in Echtzeit durchzuführen, was bedeutete, dass die Schauspieler*innen die Umgebung, in der sie sich befanden, tatsächlich sehen konnten. Ich habe sehr darauf geachtet, den gesamten Vorder- und Mittelgrund für die Schauspieler*innen zu erstellen. Alles, womit die Schauspieler*innen interagierten, war auch tatsächlich vorhanden. Ich habe nie die Schauspieler*innen nur auf einen blauen Bildschirmboden oder vor eine blaue Bildschirmwand gestellt. Es gab immer eine reale Umgebung, in der sie sich aufhalten konnten. Und ich glaube, das hat ihnen wirklich geholfen, sich in die Szenen hineinzuversetzen. Und dem Film hat es eine Realität gegeben, die er normalerweise nicht hätte. Als Filmemacher konnte ich so eine Welt aufbauen, die niemand zuvor gesehen hatte.
Ich dachte mir, wenn wir etwas machen wollten, was „Game of Thrones“ oder „House of the Dragon“ nicht geschafft hatten, konnten wir nicht einfach in einen Steinbruch gehen und dort einen echten Hintergrund aufnehmen. Wir mussten etwas schaffen, das mythischer und märchenhafter war. Und deshalb habe ich mich in diesen malerischen Look für den Film verliebt. Er erinnert stark an die klassische Malerei. Als wir am Drehen waren, habe ich dem Team gegenüber immer wieder erwähnt, dass ich mir den Film als die Adaption einer Graphic Novel, die Hieronymus Bosch nie gemacht hat, vorstelle. Eine Mischung aus Schönheit und Groteske in Form einer Graphic Novel war das, was ich haben wollte.

FILMSTARTS: Ich liebe an deinen Filmen, wie du in ihnen Räume erschaffst. Das postapokalyptische Szenario von „In The Lost Lands“ besteht aus Versatzstücken, die auf unsere Gegenwart verweisen: stillgelegte Atomreaktoren, Windräder-Landschaften, brennende Ölfelder. Was war dir wichtig beim Bau der „Lost Lands“? Was verbindet diese unterschiedlichen Räume?
Paul W.S. Anderson: In erster Linie war ich auf der Suche nach markanten Landschaften, die sich von anderen unterscheiden. Wenn man an einen klassischen Western denkt, dann ist das eigentlich ein Roadmovie, weil man sich auf diese Reise begibt. Und ich wollte, dass der Film das Gefühl vermittelt, dass man durch diese verschiedenen Landschaften reist. Wenn man sich also den Film ansieht und quasi mal vorspult, ändert sich die Farbe des gesamten Films. Er beginnt mit sehr gedämpften Farbtönen. Er ist zunächst braun und geht dann in die Rottöne über. Und am Ende ist man dann in Skull River, das komplett blau gefärbt ist.
Es gibt also eine echte Entwicklung im Look. Das war es, was ich von Anfang an anstrebte. Zuerst kamen die Flammen für das Rot, und dann hatten wir eine Menge kühles elektrisches Licht für das Blau und den Kernreaktor. Und plötzlich, auf halbem Weg bei der Produktion, wies mich mein Visual-Effects-Supervisor darauf hin, dass dies wie eine Ode an das Versagen der modernen Energieversorgung wirke. Denn wir hatten ein brennendes Ölfeld, ein verfallendes Kraftwerk und einen Atomreaktor. Eigentlich war das so nicht beabsichtigt. Aber diese Bilder haben sich einfach organisch ergeben und so wurde das zu einem Thema im Film.

FILMSTARTS: Du hast ja gerade schon über das Farbschema gesprochen. Jedes Szenario hat eine eigene Farbgebung, die teilweise monochrom ist. Was war dir wichtig bei diesen Kontrasten? Spielten die Unterschiede schon beim Drehen selbst eine Rolle oder ist das eine Idee, die dir erst bei der Postproduktion gekommen ist?
Paul W.S. Anderson: Ich wollte eine sehr zurückhaltende Farbpalette haben, damit man die Farbe, wenn wir sie verwenden, auch wirklich wahrnimmt. Wir haben die Schauspieler also absichtlich in recht einfarbige Kleidung gekleidet und sie in einfarbige Sets gesetzt. Aber dann gab es auch deutliche Farbakzente, wie zum Beispiel die rote Jacke der Vollstreckerin, die sie trägt. Das ist die einzige wirklich kräftige Farbe am Set. Oder Millas blaue Augen. Wenn der Film fortschreitet und sie in das verlorene Land gehen, wird es immer bunter. Und diese Farben, die wir anfangs nur angedeutet haben, werden zu etwas, das den gesamten Look des Films ausmacht.
Es gab also eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Produktionsdesign, dem Kameramann und dem Team für die visuellen Effekte, um das zu schaffen, was ich für einen sehr hervorstechenden Look hielt. Denn ich wollte wirklich etwas, das anders aussieht als alles andere. Ich denke, dass viele Filmproduktionen heutzutage einen sehr generischen Look haben: den Look der vermeintlich großen Filme, den Marvel- oder den DC-Look. Und das hier war eine Reaktion darauf, etwas auf die Leinwand zu bringen, bei dem man sagt: Wow, das ist etwas, das man nicht jede Woche im Kino sieht.
