
Neben vielen „Wunderschön“-Rückkehrer*innen wie Emilia Schüle, Nora Tschirner oder Friedrich Mücke ist Anneke Kim Sarnau neu in der Fortsetzung dabei. Trotzdem spielt die „Polizeiruf 110“-Kommisarin nicht nur die größte Rolle in „Wunderschöner“ (Kinostart: 14. Februar), ihr Handlungsstrang in der Ensemble-Komödie ist auch überraschend düstern: Nadine muss damit klarkommen, dass ihr Finanzminister-Ehemann (Godehard Giese) mit einer jungen Sexarbeiterin fotografiert wurde.
Allerdings findet sich in der Geschichte auch unerwartete weibliche Solidarität, denn als sich Nadine mit ihrer „Nebenbuhlerin“ trifft, reagiert sie nicht mit Wut, sondern nimmt die unter schweren Unterleibsschmerzen leidende junge Frau (Bianca Radoslav) mit zu sich nach Hause. Wir haben Anneke Kim Sarnau in Berlin zum Interview getroffen…
FILMSTARTS: Mit welchem deiner beiden Vornamen möchtest du am liebsten angesprochen werden?
Anneke Kim Sarnau: Anneke! Ganz wenige sagen Kim. Anne-Kim sagen manche mal aus Versehen. Aber die meisten sagen Anneke. Damit bin ich großgeworden und finde es voll okay.
FILMSTARTS: In „Wunderschöner“ wird dein Name auf der Besetzungsliste noch vor Karoline Herfurth als erstes genannt. Fühlt es sich gut an, quasi die erste Geige zu spielen?
Anneke Kim Sarnau: So sehe ich das ja nicht. Ich spiele eine Episoden-Hauptrolle. Es sind mehrere Geschichten, die in „Wunderschöner“ erzählt und miteinander verwoben werden, und ich erzähle zusammen mit meinen Spielpartnern eine davon.

FILMSTARTS: Aber deine Geschichte ist schon die dramatischste…
Anneke Kim Sarnau: Genau, ich glaube, meine ist am wenigsten lustig.
FILMSTARTS: Und das, obwohl du so herzlich lachen kannst, weshalb man sich in deiner Nähe sofort wohlfühlt. Fiel es dir schwer, diesmal so ernst zu spielen?
Anneke Kim Sarnau: Ich spiele insgesamt gern dramatische Rollen und mag es, wenn es emotional oder existenziell wird. Von daher fand ich es toll, diese Rolle spielen zu können. Aber wie gesagt, ich empfand sie auch als eine echte Herausforderung, weil das eine ziemliche Fremdfigur für mich war.
FILMSTARTS: Inwiefern?
Anneke Kim Sarnau: Sie kommt aus einem gehobenen Milieu, Nadine hat einfach alles: Geld, Familie, einen irren Status - und plötzlich bricht alles zusammen und es fehlt die Orientierung. So etwas zu spielen, ist natürlich großartig.
FILMSTARTS: Konntest du dich trotzdem ein wenig mit ihr identifizieren oder ist sie ganz weit weg von dir?
Anneke Kim Sarnau: Man muss ja eine Figur an sich heranziehen und Identifikationspunkte in sich selber finden. Es gibt natürlich Seiten von ihr, wo ich mich extremst wiedererkenne. Andere Seiten sind aber sehr weit weg von mir. Da musste ich mich schon in etwas hineinbegeben, oder besser gesagt, Seiten von mir weglassen.
FILMSTARTS: Zum Beispiel?
Anneke Kim Sarnau: Mein Schauspiel-Coach hat zu mir gesagt, ich sollte nur noch in den besten Klamotten kommen. High Heels und so, als würde ich fein ausgehen zu irgendeinem Empfang. Also habe ich mich die ganze Zeit in diese Figur hineinbegeben – äußerlich und in ihre Körperlichkeit. Ein feines, elegantes Wesen, das seine Weiblichkeit total zu schätzen weiß und feiert.
FILMSTARTS: Und das ist weiter weg von dir?
Anneke Kim Sarnau: Ich selbst kenne viele Schimpfwörter (lacht), die Nadine niemals verwenden oder je wagen würde auszusprechen. Weiblichkeit gehört definitiv zu mir, aber so richtig feine Dame zu sein, kostet mich manchmal ein bisschen Überwindung. Ich bin St. Pauli-Fan, ich bin links, ich bin rough, schnacke gern mit Leuten und reiße schnell mal Witze. Manchmal ist es vielleicht auch einer zu viel - und das würde Nadine wirklich nie passieren.

FILMSTARTS: Mit Karoline Herfurth hattest du vorher schon „Sweethearts“ gedreht. Hast du dich dadurch ein bisschen geborgener unter ihren Fittichen gefühlt?
Anneke Kim Sarnau: Dadurch wusste ich immerhin, wie es ist, mit ihr zu arbeiten – und dass sie nicht lockerlässt, bis sie das hat, was sie sich vorstellt. Das ist fordernd, gleichzeitig aber total toll. Im Endeffekt geht man noch tiefer in das hinein, was diesen Beruf ausmacht. Man versucht, eine Figur wirklich komplett zu greifen und zu begreifen. Das habe ich schon bei den Castings versucht. Ich habe verstanden, was sie möchte, und sie hat dann immer wieder daran gedreht: „Probier’s mal so oder so.“ Das war schon eine Herausforderung – körperlich und emotional.
FILMSTARTS: In deinem Teil des Films spielt Zwangsprostitution eine wesentliche Rolle. Warst du bei dieser Thematik ganz froh darüber, dass eine Frau diesen Film inszeniert?
Anneke Kim Sarnau: Ich fand das super – schon deshalb, weil ich tatsächlich selten mit Frauen arbeite. Gerade für diese Figur, diese Geschichte und dieses Gesamtpaket fand ich es gut, eine Frau an meiner Seite zu haben. Es sind einfach wichtige Themen, die hier auf den Tisch kommen, gerade in meiner Geschichte mit der Zwangsprostitution und wie wir uns dazu verhalten. Vielleicht hätte das auch ein Mann erzählen können, aber ich fand es so viel besser, dass dahinter so viel Frauenpower stand.
FILMSTARTS: Hast du durch deine Rolle eigentlich einen nochmals anderen Blick auf das Thema Prostitution bekommen?
Anneke Kim Sarnau: Ja, ich habe vor diesem Film eine neue Folge von „Polizeiruf 110“ gedreht, in der es ebenfalls um Zwangsprostitution ging. Da haben wir uns schon so viele Fakten angeeignet, die so bodenlos waren. Ich konnte mich mit einer ehemaligen SEK-Leiterin in Hamburg darüber unterhalten. Schon da hat sich mein Blick verändert.
FILMSTARTS: Was geht dir dazu gerade durch den Kopf?
Anneke Kim Sarnau: Ich denke an diesen romantischen „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“-Blick, oder wenn gesagt wird, das wäre ein ehrenhafter und ehrlicher Beruf. Selbst wenn es vielleicht drei oder vier Frauen freiwillig und gern machen, stecken dahinter weiterhin Millionen von Frauen, die dazu gezwungen werden. In dem System steckt ein massiver Fehler. Von daher ist diese ganze Romantik mehr als geschreddert.

FILMSTARTS: Stimmt es, dass aus der Geschichte zu deiner Figur ursprünglich ein eigenständiger Film werden sollte?
Anneke Kim Sarnau: Da weiß ich überhaupt nichts drüber. Ich glaube aber, es wäre zu heftig gewesen. Ich finde es super, dass diese Geschichte in so einem Episodenfilm integriert ist, in dem die Leute auch Freude haben und lachen können. Da das so eingebunden ist und über Generationen und über verschiedene Lebensbereiche eingesponnen ist, können alle daraus etwas mitnehmen und einen Gesamtblick darauf werfen. So ist das genau richtig.
FILMSTARTS: Die Gleichberechtigung von Frau und Mann wird schon seit Jahrzehnten gefordert. Hat sich da gerade in letzter Zeit nicht schon viel getan oder wie denkst du darüber?
Anneke Kim Sarnau: Klar hat sich viel getan, aber irgendwie stagniert es gerade wieder ein bisschen. Das #MeToo-Thema wird gern als Schmuddel-Nerv-Thema weggedrückt, zumindest habe ich das Gefühl. Dabei war es eine irre Bewegung, die viel ins Rollen gebracht und so Typen wie Jeffrey Epstein und Harvey Weinstein an die Öffentlichkeit gezerrt hat. Das sind Männer mit Macht, die Spaß daran hatten, Frauen zu erniedrigen. Es war wichtig, dass so viele Frauen aufgestanden sind. Und nein, es ist immer noch nicht alles erreicht, und Kinder, Küche, Kirche wie vor 100 Jahren könnte sich für Frauen gerade wiederholen. Da ist es gut, dass Filme wie „Wunderschöner“ herauskommen, die dazu auch noch unterhaltsam sind.

FILMSTARTS: Toxische Männlichkeit war früher im Filmbusiness keine Seltenheit. Was hat sich dahingehend in letzter Zeit aus deiner Sicht verändert?
Anneke Kim Sarnau: Bestimmte Sprüche würde heute kein Mensch mehr reißen, die damals noch existierten.
FILMSTARTS: Was war das für Sprüche, die du und deine Kolleginnen ertragen mussten?
Anneke Kim Sarnau: Ich habe das alles verdrängt, aber es herrschten gerne mal sehr sexistische Atmosphären am Set. Dumme sexistische Witze zu reißen. war damals gang und gäbe. Das gehörte einfach dazu. Das würde heute keiner mehr wagen. Die Zeiten sind vorbei. Jede Produktion hat mittlerweile eine Person, die einem zuhört, einen unterstützt und schützt. Aber natürlich ist da noch viel Luft nach oben.
FILMSTARTS: „Wunderschöner“ wurde wieder in Berlin gedreht, quasi vor deiner Haustür. Hast du das begrüßt oder drehst du lieber woanders?
Anneke Kim Sarnau: Ich drehe selten in Berlin und kann das an einer Hand abzählen (lacht). Es war herrlich zu Hause in Berlin drehen zu dürfen und im eigenen Bett zu schlafen. Nach einem verrückten Drehtag ist es wunderschön, wieder an einem Ort zu sein, wo man sich sicher und geborgen fühlt.
Kommt nach "Wunderschöner" noch "Am Wunderschönsten"?
FILMSTARTS: Apropos wunderschön. Wie denkbar ist für dich ein dritter Teil?
Anneke Kim Sarnau: Ich mag Karolines Filme sehr und freue mich tierisch, dass ich im zweiten Teil dazukommen durfte.
FILMSTARTS: „Wunderschöner“ ist ja als Gewinner unserer Aktion „Deutsches Kino ist [doch] geil!“, in der wir jeden Monat einen deutschen Film – egal welcher Größe – redaktionell wie einen Blockbuster behandeln. Was könnte man deiner Meinung nach noch tun, damit das deutsche Kino hierzulande wieder so geschätzt oder gar gefeiert wird, wie es das in vielen Fällen auch einfach verdient hat?
Anneke Kim Sarnau: Einfach mal drei Tage die Woche kein Streaming (lacht) und ich gucke wirklich selbst viel. Bitte Geld in die Kultur investieren, denn dies ist das Pfund, das uns aufrecht hält und uns Charakter verleiht. Dieses Bewusstsein sollte in Schulen und allen Institutionen, die es gibt, gepredigt werden, und zwar voller Freude. Ja, das fällt mir spontan dazu ein.
FILMSTARTS: „Barbie“ und „Oppenheimer“ haben ja 2023 gezeigt, dass Kinofilme vom gegenseitigen Erfolg profitieren können. Die Leute haben wieder Bock aufs Kino. Welchen aktuellen deutschen Kinofilm sollten sie sich also nach „Wunderschöner“ anschauen?
Anneke Kim Sarnau: Nochmals „Wunderschöner“! Was noch? Warte mal… Alle Filme von Fabian Stumm, weil er so geile Filme macht, irgendwie so aus dem Nichts heraus. „Knochen und Namen“ und „Sad Jokes“, in beiden Filmen habe ich mitgespielt. Er schreibt einem Rollen, die man liest und sich denkt: „Okay, alles klar, habe ich. Let's play it!“ Dann ist er auch noch so liebevoll und freudig dabei. Er macht einfach kleine Juwelen.
„Wunderschöner“ läuft seit dem 13. Februar in den deutschen Kinos. Und wenn ihr noch mehr über die Hintergründe der Komödie erfahren wollt, dann empfehlen wir euch unseren Podcast Leinwandliebe, denn darin stand uns Karoline Herfurth, Regisseurin, Autorin und Hauptdarstellerin von „Wunderschöner“, ausführlich Rede und Antwort: