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    Interview mit "Molly’s Game"-Regisseur Aaron Sorkin: Lieber eine Band als eine Limousine

    Wir haben Aaron Sorkin in Berlin getroffen, um mit ihm über sein elektrisierendes Regiedebüt „Molly’s Game“ und ein erstes bizarres Treffen mit seinem Star Jessica Chastain zu sprechen.

    Square One Entertainment

    Jahrzehntelang versorgte Oscarpreisträger Aaron Sorkin die Entertainment-Industrie mit herausragenden Drehbüchern zu meisterhaften Filmen wie „The Social Network“, „Die Kunst zu gewinnen – Moneyball“ oder „Steve Jobs“ sowie zu grandiosen Fernsehserien wie „The West Wing“ oder „The Newsroom“. Jetzt führt der 56-jährige New Yorker bei dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Poker-Drama „Molly’s Game“ zum ersten Mal auch selbst Regie. Der Film erzählt die Geschichte von Molly Bloom, der gefallenen „Pokerprinzessin“ Hollywoods, die Größen aus Politik, Sport und Showbusiness an ihre Pokertische zu exklusiven Hinterzimmerrunden holte und später vom FBI wegen ihren vermeintlichen Verbindungen zur russischen Mafia in die Mangel genommen wurde.

    Molly's Game

    FILMSTARTS: Der Film beginnt mit einem Zitat von Molly Bloom, die sagt: „Das Schlimmste, was im Sport passieren kann…“ Was ist das Verheerendste, was bei einem Film passieren kann?

    Aaron Sorkin: Das Schlimmste, was ich mir beim Film, im Fernsehen, bei Theaterstücken oder beim Songschreiben vorstellen kann, ist eine künstlerische Totgeburt. Du hast eine großartige Idee und ein hervorragendes Gefühl dabei, aber wenn du es zu Papier oder vom Papier auf die Leinwand bringst, rinnt es dir durch die Finger – als wenn du Wasser in deinen Händen von einer Ecke des Raumes in die andere transportieren willst und es langsam verlierst. Das Gegenteil geschah bei „Molly’s Game“. Ich wurde von einem Entertainment-Anwalt gebeten, das Buch von Molly Bloom zu lesen, „Molly's Game: The True Story Of The 26-Year-Old Woman Behind The Most Exclusive, High-Stakes Underground Poker Game In The World“. Das ist eine wilde Fahrt. Es zeigt, wie Molly die größte Pokerspielveranstalterin in der Welt wurde.

    Ich habe mich dann mit Molly getroffen und sie war nicht die Person, die ich erwartet hatte. Ehrlich gesagt hatte ich jemanden erwartet, der versucht, seine Verbindungen zu Berühmtheiten in Cash umzumünzen. Aber sie ist eine brillante Frau, stark wie ein Baum, mit einem feinen Sinn für Humor. Sie hatte eine sehr gewinnende, rechtschaffende Persönlichkeit. Bei diesem ersten Treffen, das nur eine Stunde dauerte und dem Hunderte weitere Stunden in Meetings in den nächsten sechs bis acht Monaten folgten, entdeckte ich, dass die Geschichte, die sie im Buch erzählt, nur die Spitze des Eisbergs war. Sie hatte eine gute Geschichte geschrieben, die Brotkrumen zu einer noch besseren Geschichte hinterließ. Ich wusste von diesem Moment an, dass sie eine Heldin aus dem richtigen Leben ist und dass das eine sehr emotionale Story wird. Mit der Hilfe von Hunderten Personen, inklusive Jessica Chastain, habe ich es tatsächlich geschafft, das Wasser von einer Seite des Raumes zur anderen zu schaffen.

    Volle Unterstützung von Molly Bloom

    FILMSTARTS: Wie hat Molly Bloom darüber gedacht, ihre nicht immer schmeichelhafte Lebensgeschichte auf der großen Leinwand ausgebreitet zu sehen?

    Aaron Sorkin: Es war eine sehr emotionale Erfahrung für sie. Sie liebt den Film, sie ist ein großer Fan. Sie selbst sieht sich nicht als Filmheldin, so wie ich es getan habe. Molly, ihr Vater und ihre Familie haben mir sehr bei der Entwicklung der Story geholfen. Molly ist auch in die Promotion-Tour zum Film eingebunden.

    FILMSTARTS: Du gibst mit „Molly’s Game“ dein Regiedebüt im Alter von 56 Jahren. Was hat dich dazu getrieben?

    Aaron Sorkin: Ich wurde nicht getrieben, ich wurde gebeten. Wenn ich etwas schreibe, will ich den besten Regisseur für das Material. Die Produzenten von „Molly’s Game“ waren der Meinung, dass ich der beste Regisseur für diesen Film bin. Also haben sie mich gefragt und mir drei Wochen Bedenkzeit gegeben. Diese Zeit habe ich genutzt, um mit anderen Filmemachern, die ich respektiere, zu sprechen. Die waren sehr hilfreich und haben mich ermutigt, den Schritt zu gehen. Die Dekadenz, der Glamour, das Geld, der Poker und die großen Hollywood-Namen – ich wollte eine Geschichte über den Hintergrund dieser Dinge erzählen. Es ist eine so kraftvolle und emotionale Story über Integrität. Es wäre viel einfacher und auch profitabler für Molly gewesen, die falschen Dinge zu tun. So ist sie für mich eine Shakespeare’sche Heldin und ich wollte unbedingt garantieren, dass dies die Geschichte ist, die wir erzählen.

    FILMSTARTS: Als Autor hast du völlig freie Hand, zu schreiben, was zu möchtest. Aber als Filmemacher bist du von den Schauspielern, vom Kameramann oder auch vom Licht abhängig: Hast du dich als Regisseur in deiner Freiheit eingeengt gefühlt?

    Aaron Sorkin: John Lennon hat mal gesagt: „Ich hätte lieber eine Band als einen Rolls Royce.“ Dabei spielt es keine Rolle, dass Lennon beides hätte haben können. Ich weiß, was er meinte. Ich mag Mannschaftssportarten lieber als individuelle Sportarten. Ich mag Bands lieber als Solokünstler. Ich ziehe die Zusammenarbeit mit einem Team vor, als allein zu arbeiten. Ich weiß nicht, ob ich einen Roman schreiben könnte, aber wenn, würde ich dabei nicht so viel Spaß haben.

    Jessica Chastain führt Aaron Sorkin vor

    FILMSTARTS: Du hast eben auch von den Schauspielern gesprochen. Hattest du Jessica Chastain von Beginn an für die Rolle der Molly auf dem Zettel?

    Aaron Sorkin: Als ich das Drehbuch geschrieben habe, hatte ich niemanden im Kopf, das mache ich nie. Ich bin immer die erste Person, die es spielt, wenn ich mir Teile des Drehbuchs laut vorlese. Als das Skript fertig war, wollte ich Jessica für die Hauptrolle haben. Als ich sie dann zum ersten Mal traf, war es kein Vorsprechen für Jessica, sondern für mich. Sie musste mich nicht beeindrucken, das hat sie schließlich schon viele, viele Male getan. Ich wollte erfahren, ob diese Schauspielerin, die schon für Ridley Scott, Christopher NolanKathryn Bigelow und Terrence Malick gespielt hat, in der Lage ist, Anweisungen von einem Erstlingsregisseur anzunehmen oder ob sie mich führt.

    Nach zwei, drei Minuten in diesem Meeting sagte sie plötzlich. „Du weißt, dass dieses Treffen dumm ist. Du solltest mir einfach die Rolle geben.“ Ich antwortete dann: „Ja, du hast recht. Okay.“ Ich dachte, was zum Teufel! Ich nehme ihre Anweisungen entgegen, das ist das Schlechteste, was passieren kann. Aber so lief das am Ende überhaupt nicht. Sie ist eine sehr offene Person, die meine Regie sehr gut angenommen hat. Ich weiß nicht, was das Gegenteil einer Diva ist, aber das ist das, was Jessica ist. Mit ihr hatte ich einen Partner am Set.

    FILMSTARTS: Sind die Pokerspieler im Film alle fiktionalisiert oder hast du sie realen Hollywoodstars zugeordnet?

    Aaron Sorkin: Die ganzen realen pokerspielenden Hollywoodstars sind alle in der Figur des Player X vereint, den Michael Cera im Film verkörpert. Bei den weiteren Spielern habe ich die Namen geändert, aber das, was ihnen passierte, ist real. Der eine verlor 1,2 Millionen Dollar, hatte das Geld aber nicht und musste sich deshalb in ein Arrangement mit Player X begeben, aus dem er niemals wieder entkommen konnte. Der FBI-Informant Douglas Downey [gespielt von Chris O‘Dowd], der sich in Molly verliebt, oder die russischen Mobster – das alles ist wahr.

    Langes Drehbuch: Der Kampf gegen Vorurteile

    FILMSTARTS: Deine Drehbücher sind immer sehr wortlastig. „Molly’s Game“ ist 140 Minuten lang – vollgestopft mit Stakkato-Dialogen. Wurdest du gedrängt, etwas zu kürzen?

    Aaron Sorkin: Das Drehbuch hat 200 Seiten – fast zwei Mal so viel wie ein durchschnittliches Skript. Aber alle meine Drehbücher haben viele Seiten – durch den hohen Dialoganteil. Dialoge verbrauchen mehr Platz auf den Seiten, aber weniger Zeit auf der Leinwand als Action. Ich musste die Produzenten davon überzeugen, dass der Film nicht vier Stunden, aber auch nicht nur 100 Minuten lang sein würde. Laut Vertrag musste ich einen Film abliefern, der maximal zwei Stunden und 15 Minuten lang sein durfte. Und ohne die Credits ist „Molly’s Game“ zwei Stunden und 12 Minuten lang. Der Abspann macht daraus die finale Spielzeit von 140 Minuten. Die Studios wollen immer Filme, die kürzer sind. Die denken, „lang“ ist gleich langweilig. Ich persönlich hatte nie eine Zielzeit für den Film. Beim Schneiden war ich mir mit den Cuttern einig, dass der Film so lang sein würde, wie es nötig ist, die Geschichte zu erzählen. Nicht länger, nicht kürzer.

    FILMSTARTS: Fühlst du dich berufen, irgendwann einmal diese Harvey-Weinstein-Kevin-Spacey-Geschichte, die im Moment Hollywood beherrscht, in ein Shakespear’sches Drama zu verwandeln?

    Aaron Sorkin: [windet sich] Vielleicht eines Tages, aber nicht jetzt. Nicht heute. Das ist einfach zu entsetzlich für mich.

    „Molly’s Game“ läuft seit dem 8. März 2018 in den deutschen Kinos.

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