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    "Umbrella Academy": Unsere Kritik zur Netflix-Superheldenserie mit dem affengeilen Affen-Butler

    Die erste Staffel „The Umbrella Academy“ ist ab 15. Februar 2019 online und sieht aus wie eine wilde Mischung aus „X“- und „Watchmen“. Aber wie verrückt – und gut – ist die neue Superheldenserie wirklich?

    Christos Kalohoridis/Netflix

    Spoilerfrei: Wir verraten in unserer Kritik keine wesentlichen Teile der Handlung

    Wenn ein fieberkranker Comic-Nerd wirr von allem träumt, was er die vergangenen Monate so gelesen hat, sich am Morgen mit Hilfe von Schmerzmitteln aus dem Bett quält und seinen wahnhaften Traum dann als Superheldengeschichte aufschreibt, dürfte etwas dabei herauskommen wie die 2007 begonnene Comic-Reihe „The Umbrella Academy“. Sieben aus 43 plötzlich und ohne lange Schwangerschaft geborenen Babys werden dort von einem exzentrischen Wissenschaftler namens Sir Reginald Hargreeves adoptiert, der sie, unterstützt vom sprechenden Affen-Butler Dr. Pogo, auf seinem Anwesen mit harter Hand zu einer Superheldentruppe formt, die dann unter anderem gegen den wildgewordenen Eifelturm kämpft.

    Gerard Way war Frontsänger und Texter der 2013 aufgelösten Rockband My Chemical Romance und er liebt Superhelden. Beides ist im „Umbrella Academy“-Comic, der von Gabriel Bá gezeichnet und von Way erdacht sowie geschrieben wurde, auf jeder Seite zu sehen:

    Schwarze Parade der Comic-Helden

    Aus den Figuren quillt die verzweifelte, gestaute Wut angeknackster Seelen, die Way und seine Bandkollegen zu kreischend-melodischer Rockmusik irgendwo zwischen Nirvana und Queen machten (die Lieder auf ihrer bekanntesten Platte „The Black Parade“ tragen Titel wie „Dead“, „This Is How I Disappear“ und „Cancer“). Die „Umbrella“-Helden haben Kräfte wie die Mutanten aus den „X-Men“-Comics, sind davon ähnlich geplagt wie die DC-Außenseiter-Truppe „Doom Patrol“ (für Way der größte Einfluss) und haben als Erwachsene die Schnauze dermaßen voll von ihren Leben, dass sie sich ohne Nahtstelle auch in die „Watchmen“-Comics einfügen würden.

    Netflix, stets emsig auf der Suche nach exklusiven Stoffen, sicherte sich auch die Rechte an „The Umbrella Academy“ und ließ sie von Chef-Autor und -Produzent Jeremy Slater („The Lazarus Effect“, „The Exorcist“-TV-Show) zu einer Serie machen, die im Katalog des Streamingdienstes nun eine unter vielen ist: Im Januar erst kam die DC-Serie „Titans“ hinzu, die der Streaming-Gigant außerhalb der USA exklusiv zeigt, wenig später dann die zweite Staffel „The Punisher“, die aus demselben Kosmos kommt wie die anderen Marvel-Serien „Daredevil“, „Jessica Jones“, „Luke Cage“, „Iron Fist“ und „The Defenders“. „Umbrella Academy“ sticht heraus – auch wenn die wilde Superheldenfamilie den ganzen Rest nicht so aufmischt, wie es möglich gewesen wäre.

    Darum geht’s in "Umbrella Academy"

    Wenn man nicht wie der Autor dieser Zeilen aus Versehen mit Folge fünf anfängt und deswegen bis zur Aufklärung des Irrtums den Mut bewundert, mit dem Jeremy Slater sein Publikum vermeintlich erklärungsfrei in die Handlung wirft, dann steht am Anfang der „Umbrella Academy“-Serie eine klassische Exposition: Wo der Comic mitten in einem wilden Alien-Wrestling-Match startet, bekommen wir in der ersten Serienfolge fein säuberlich erklärt, wer die Hauptfiguren sind:

    Luther (Tom Hopper) ist so was wie das Gegenstück zum Ding aus „Fantastic Four“. Der wuchtige, superstarke Mann wurde für eine Mission auf den Mond geschickt, wo die Aussicht schön und die Einsamkeit groß ist.

    Diego (David Castañeda), der Heißsporn der Gruppe, kann Messer werfen wie kein anderer.

    Allison (Emmy Raver-Lampman), auch als Schauspielerin ein Star, manipuliert Menschen per Gedankenkraft. Weil sie das mal bei ihrer kleinen Tochter machte, damit die endlich schläft, wurde ihr ob dieser unorthodoxen Methode das Sorgerecht entzogen.

    Vanya (Ellen Page) zeigt keine Superkräfte und hatte wegen dieser Außenseiterstellung in der Gruppe ihr Leben lang zu leiden. Sie ist aber eine sehr gute Geigenspielerin.

    Number Five (Aidan Gallagher) ist eigentlich schon Ende 50, steckt aber im schmächtigen Körper eines Jungen. Der grantige Knabe kann durch die Zeit reisen und nimmt dabei eine Schaufensterpuppe mit, in die er verliebt ist.

    Klaus (Robert Sheehan) sieht tote Menschen, darunter auch das verstorbene Gruppenmitglied, den Krakenmann Ben. Er ballert sich mit Drogen zu.

    Christos Kalohoridis/Netflix

    Fetzige Fetzereien

    Während einer Geiselbefreiung in einer Bank sehen wir gleich in der ersten Episode, was die Umbrella-Kids auf dem Kasten haben. Mit fetziger Musik im Hintergrund und bissigen Sprüchen auf den Lippen werden dort Bankräuber weit durch die Gegend geschmissen und auf unappetitliche Art getötet, so als sei ein Comic-Panel in Bewegung geraten. Ähnlich läuft es in einem Diner, als Number Five seine Verfolger fertigmacht: Ein Kind metzelt durch eine Gruppe erwachsener Kämpfer. Doch nicht täuschen lassen: Es gibt im weiteren Verlauf der Serie nicht besonders viele Szenen mit den Umbrella-Kids. Die Haupthandlung spielt in der Gegenwart (eine alternative Realität, deren Technik auf dem Stand von Ende der Neunziger ist, mit Röhrenfernsehern und ohne Smartphones). In gesamter Gruppenstärke gekloppt wird hier nicht sonderlich viel.

    Den Tonfall aber setzt die erste Folge in jedem Fall: Die Umbrella-Kinder kämpfen cool inszeniert und tun abgeklärt, so als wollten sie sich mit dieser Einstellung von allem fernhalten, was ihnen wehtut – und was sie dann als Erwachsene übermannt haben wird. Die Haupthandlung, in der Plots der Comic-Bände eins und zwei verwurstet sowie abgewandelt werden, nämlich beginnt 30 Jahre später, nach dem mysteriösen Tod ihres Ersatzpapas Reginald Hargreeves (Colm Feore). Zur Beerdigung kommt die Gruppe wieder zusammen, nachdem sie sich zerstritt bzw. aus den Augen verlor. Hargreeves hatte die Kinder zu Kriegern ausgebildet, die Erziehung hatte aus hartem Training, strikten Regeln und keinerlei Liebe bestanden – was jedes der erwachsenen Kinder dem Vater später übelnimmt.

    Beim langsamen, rückblickenden Aufrollen der Familiengeschichte erinnert „The Umbrella Academy“ ein bisschen an die Netflix-Horrorserie „Spuk in Hill House“. Der Kern des Dramas liegt hier wie da in einer verkorksten Familienvergangenheit inklusive einiger Geheimnisse, die scheibchenweise enthüllt werden. Den größten Schaden hat Vanya davongetragen, die ständig zu spüren bekam, dass sie im Unterschied zu den anderen nichts Besonderes sei. An ihrer Entwicklung über die erste Staffel hinweg zeigt sich am deutlichsten, was Hargreeves Entscheidung anrichtete, die Kinder wie Maschinen zu behandeln, die konfiguriert, verbessert und gewartet werden, anstatt wie Menschen, die man ab und an halt einfach in den Arm nehmen muss.

    Die Stärke

    Am stärksten ist „The Umbrella Academy“ immer dann, wenn es um die Umbrella Academy geht. Als sich etwa die ehemaligen Mitglieder der Helden-Gruppe in der ersten Folge zur Beerdigung wieder im alten Haus treffen und jeder für sich seinen düsteren Gedanken an früher nachhängt, legt Luther eine alte Schallplatte mit dem 80er-Hit „I Think We're Alone Now“ von Tiffany auf. Er beginnt zu tanzen. Die Musik dringt auch bis zu den anderen – und es dauert nicht lange, da tanzen alle. Jedes der Familienmitglieder bewegt sich auf seine eigene Art und im eigenen Zimmer, was wir aus einer herausgezoomten Puppenhausansicht sehen, aber trotzdem sind sie alle in diesem Moment miteinander verbunden: Ihre Bande ist stark, obwohl sie sich fremd geworden sind.

    Die Bindeglieder in die Vergangenheit sind die Androiden-Mutter und der sprechende Schimpansen-Butler Pogo, die jeweils schon früher im Dienste der Familie standen und noch immer im Haus sind, als die älteren Umbrella-Helden zurückkommen. Beide sind herausstechende Nebenfiguren. Die Mutter entspricht dem Klischee einer Hausfrau der 50er und 60er: Mit flötender Stimme, perfekten blonden Haaren und einem Lächeln wie aus der Zahnpastawerbung steht sie in jeder Sekunde voll im Dienst der Familie, ohne auch nur ein einziges negatives Gefühl auszudrücken. Hargreeves schuf seinen Kindern eine Mutter ohne Persönlichkeit.

    Auch im Schimpansen Pogo manifestiert sich die volle Tragik von Hargreeves Entscheidung, seinen Kindern ein strenger Ausbilder statt fürsorglicher Vater zu sein: Pogo versucht, den Kids die Wärme zu geben, die ihnen der Vater verweigerte. Gleichzeitig ist er der treue Butler, der die Wünsche seines Herrn befolgt, auch wenn es ihm das Herz bricht. Wie die Effektkünstler dem Affen diesen inneren Konflikt nuanciert ins Gesicht legen, ist eine Meisterleitung. Pogo ist die wahrscheinlich bisher beste CGI-Figur der Seriengeschichte, die sich Netflix wahrscheinlich einiges kosten ließ. Der Schimpanse könnte auch in einem der neuen „Planet der Affen“-Filme auftreten, ohne dass er negativ auffallen würde.

    Courtesy of Netflix

    Die Schwäche

    „The Umbrella Academy“ ist eine Ensemble-Serie. Sie würde auch als Kammerspiel über eine Familie funktionieren, die sich zur Beerdigung widertrifft – und wäre dann wahrscheinlich sogar besser. Stattdessen aber werden noch andere Handlungsstränge erzählt. Die sind allesamt uninteressanter als das Verhältnis der Familienmitglieder zueinander und teilweise sogar bloßes Füllmaterial, so dass der Verdacht naheliegt, hier habe man die Folgen mal wieder unbedingt auf die typische Netflix-Länge von etwa einer Stunde strecken wollen.

    Der zeitreisende Number Five bringt eine besonders bedrückende Neuigkeit mit zur Beisetzung: Die Welt wird in acht Tagen untergehen und er weiß weder, warum genau, noch, wie das zu verhindern ist. Doch dieser Plot, der aus dem ersten Comic stammt („Apocalypse Suite“), entfaltet leider zu keinem Zeitpunkt eine wirklich düstere präapokalyptische Stimmung. Und die damit verbundenen Handlungsstränge sind von schwankender Qualität.

    Wir lernen, dass eine Geheimorganisation mit der Überwachung von Zeitreisenden beschäftigt ist – sie soll sicherstellen, dass niemand den (von wem auch immer bestimmten) großen Plan durcheinanderbringt, zu dem auch die Apokalypse gehört. Diese Organisation sieht aus wie eine gigantisch große Behörde: Sachbearbeiter sitzen in einer riesigen Halle und tippen auf ihren Schreibmaschinen herum. Dass der Weltuntergang in „Umbrella Academy“ von Beamten verwaltet wird, ist wahrscheinlich der größte und beste Witz einer Serie, deren Stärke im Absurden liegt. Als Plotmotor funktioniert die Idee aber nur bedingt:

    Die zwei Killer Cha-Cha (Mary J. Blige) und Hazel (Cameron Britton), die dem Zeitreise-Helden Number Five von der Organisation hinterhergeschickt werden, sind ihm offensichtlich nicht gewachsen und ihre wenig spannende Jagd wird auch dadurch ganz bestimmt nicht aufregender, dass ihnen die Polizei hinterherermittelt, wir als Zuschauer aber stets mehr wissen als Detective Patch (Ashley Madekwe).

    Überhaupt ist es schade, dass die wildwuchernde „Umbrella“-Geschichte aus den Comics für Netflix zurechtgeschnitten wurde. Es ist völlig ok, den Plot der Vorlage zu ändern und neu anzuordnen, aber leider geht in der Adaption etwas verloren: Der Kampf der Helden-Kinder gegen den ausrastenden Eifelturm zum Beispiel, der im Comic plötzlich in die Handlung geklatscht wird, ist im Fernsehen nur noch ein Nebensatz in einer Mama-bringt-ihre-süße-Tochter-ins-Bett-Szene. Auch in der Adaption steckt Herz, aber das Absurde ist eher Pose denn DNA der Geschichte.

    Fazit

    Auch mit ihren Twists, von denen die zwei wichtigsten meilenweit vorauszusehen sind, wird „The Umbrella Academy“ ein abgeklärtes Serienpublikum nicht überraschen. Jeremy Slater und sein Team hätten sich trauen sollen, den Wahn der Comicvorlage konsequenter durch die Serie zu jagen, das Plotgerüst dabei zu zertrümmern und so auch mehr Platz für ihre Figuren zu schaffen. Am Ende der ersten Staffel ist „Umbrella“ nicht so anders, wie es möglich gewesen wäre – aber da eine zweite Staffel nach diesem Finale zwingend ist, um die Geschichte fortzuführen, wird „Umbrella Academy“ ja vielleicht in Zukunft noch zu der abgefahrenen Außenseiter-Serie, die sie immerhin in den besten Momenten aus Staffel eins schon ist.

    Die erste Staffel „The Umbrella Academy“ (zehn Folgen) steht ab 15. Februar 2019 auf Netflix.

     

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