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    Horrorfilm "Men" erklärt: Das Ende, die Äpfel, die Männer - was steckt dahinter?
    Björn Becher
    Björn Becher
    -Mitglied der Chefredaktion
    Fan von Hochspannungskino, Thriller dabei lieber als Horror und eine besonders große Liebe für Klassiker von Hitchcock und das Kino der 70er & 80er - vor allem aus Europa.
    Mitarbeit von:
    Annemarie Havran

    Nach „Ex Machina“ und „Auslöschung“ widmet sich Alex Garland in seiner dritten Regie-Arbeit „Men“ dem Thema „toxische Männlichkeit“. Das Horror-Drama mit Jessie Buckley und Rory Kinnear bietet viel Anlass, es zu sezieren und zu diskutieren…

    Koch Films

    Men“ (ab 21. Juli 2022 im Kino) ist sicher keiner der Filme, bei denen man danach stundenlang rätselt, was uns der Macher eigentlich überhaupt sagen will. Regisseur und Autor Alex Garland hämmert seine Auseinandersetzung mit toxischer Männlichkeit dann doch recht deutlich rein – mit viel Symbolik und eindeutigen Aussagen. Doch gerade wegen der Symbolik lohnt sich eine Auseinandersetzung mit vielen Aspekten der Geschichte, die wir nachfolgend versuchen wollen. Und vor allem das Ende bedarf dann doch vielleicht einer Erklärung.

    Dazu die Warnung: Wenn ihr „Men“ noch nicht gesehen habt: Schaut euch die Geschichte einer jungen Frau (gespielt von einer herausragenden Jessie Buckley), die in der ruhigen Abgeschiedenheit eines Dorfes ein Trauma verarbeiten will und der die verschiedenen Männer des Ortes (alle gespielt von Rory Kinnear) aber bald immer unheimlicher werden, vorher an. Denn in diesem Artikel wird gnadenlos gespoilert!

    Das passiert am Ende von "Men"

    Bevor wir tiefer ins Detail gehen, müssen wir noch einmal kurz das Ende von „Men“ rekapitulieren, um die Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen zu bilden. Harper verteidigt sich gegen die mysteriösen Männer des Ortes bzw. gegen einen Mann, der aber immer wieder eine neue Form annimmt – einmal als Priester, als kleiner Junge, als ihr Vermieter erscheint. Nach und nach gelingt es ihr, den Angreifer zu verstümmeln – bis er exakt die Verletzungen aufweist, die ihr Mann James (Paapa Essiedu) bei seinem Tod hatte.

    Danach folgt in einer starken Body-Horror-Sequenz ein langer Geburtsprozess, bei dem ein Mann immer wieder einen neuen Mann gebärt, bis am Ende James mit all seinen Verletzungen entsteht. Harper tritt also noch einmal ihrem manipulativen, sie emotional missbrauchenden Ex entgegen. Sie nimmt eine bereits vorher geteaserte Axt, doch spaltet ihm nicht direkt den Schädel, sondern setzt sich neben ihn auf die Couch. Was er wolle, möchte sie von ihm wissen. Ihre Liebe, ist seine Antwort, was sie nur mit einem (noch zu interpretierenden) „Yeah“ kommentiert.

    Nach einem Schnitt spielt die nächste Szene bei Tag. Harpers Vertraute Riley (Gayle Rankin), die zur Hilfe geeilt ist, trifft ein. Die schwangere Frau findet Harper lächelnd vor dem Haus sitzen...

    Ist "Men" real oder alles nur Harpers Einbildung?

    Die abschließende Szene mit Riley trifft schon mal eine wichtige Aussage zum Ablauf der Geschichte: Es ist tatsächlich etwas passiert, das ganze Geschehen war definitiv nicht nur Harpers Einbildung. Riley als hier bewusst platzierte objektive Betrachterin sieht das zerstörte Auto, sie sieht die immense Menge an Blut, die weder von einem durchs Fenster gekrachten Vogel noch von der offensichtlich unverletzten Harper stammen kann. Garland will uns hier unbedingt klarmachen, dass die Ereignisse keine Halluzination waren.

    Doch was ist genau passiert? Warum lächelt Harper? Alex Garland verriet in Interviews, dass er dies – abgesehen von der deutlichen Aussage, dass Harper nicht alles halluziniert hat – bewusst offen und der Interpretation des Publikums überlassen wolle. Er habe seine eigene Interpretation, doch freue sich auch über ganz andere Deutungen – und natürlich haben auch wir eine parat. Doch dazu müssen wir erst einmal einen Blick auf die Ereignisse im Film werfen, bevor es zum großen Body-Horror-Finale kommt.

    Der Apfel: Der Beginn der Schuld der Frau

    Als Harper bei ihrem auf den ersten Blick so beschaulichen Feriendomizil ankommt und den grünen Garten betrifft, pflückt sie sich zuallererst einen Apfel vom Baum und beißt herzhaft hinein. Von ihrem Vermieter Geoffrey wird sie dafür gescholten. Mit Geoffreys Verweis auf die „verbotene Frucht“ macht Garland endgültig klar, warum er dieses Motiv gewählt hat: Der Autor und Regisseur verweist auf die Bibel und damit die Geschichte von Adam und Eva und ihrer Vertreibung aus dem Paradies.

    Wenn man die christliche Schöpfungsgeschichte als Maßstab nimmt, ist das nämlich genau der Moment, in dem sich bereits mit dem ersten Auftauchen von Mann und Frau eine höchst problematische Zuschreibung ereignet hat: Die Frau ist schuld!

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    Wenn Gott in der Bibel nämlich Adam und Eva zur Rede stellt, warum sie die „verbotene Frucht“ (in den westlichen Übersetzungen eben ein Apfel) gegessen haben, wiegelt Adam ab. Er schiebt die komplette Schuld Eva, also der Frau, in die Schuhe. Mit der daraus erfolgenden Verbannung aus dem Paradies wird die Geschichte fortgeschrieben: Es ist die Frau, welche die Schuld daran trägt, dass die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden und nun als Sünder der Erlösung bedürfen.

    In der christlichen Logik wird das noch weiter gedreht: Hätte Eva, die erste Frau, nicht gesündigt und Adam, den Mann, zur Sünde verführt, dann bräuchte die Menschheit keine Erlösung von der Sünde. Wir hätten also keinen Erlöser gebraucht. Folglich hätte der Sohn Gottes nicht sterben müssen, um unsere Schuld zu sühnen. Die Frau trägt also die Schuld am Tod Jesu. Das ist natürlich Unsinn, aber genau solche verqueren Argumentationen finden statt – wie auch die Argumentation von James beweist, warum eine Scheidung nicht stattfinden darf.

    Religiöse Symbolik spielt eine wichtige Rolle in "Men"

    Im Apfel-Bild steckt natürlich noch viel mehr. Die Frucht wird vom Baum der Erkenntnis gegessen, was womöglich eine tiefere Bedeutung hat (dazu später mehr). Und das Essen des Apfels ist in der Bibel für das Aufkommen der Scham verantwortlich, welches dafür sorgte, dass Adam und Eva nicht mehr nackt bleiben wollten, sondern anfingen, sich zu bedecken, was auch in „Men“ gespiegelt wird. Doch lösen wir uns an dieser Stelle mal davon und blicken auf die weitere religiöse und kirchliche Symbolik, die einem in „Men“ immer wieder begegnet.

    Denn es ist sicher kein Zufall, dass James bei der Diskussion über die Scheidung die Kirche als Gegenargument ins Feld führt. Man wurde in einer Kirche getraut, daher komme eine Scheidung gar nicht in Frage. Auch hier impliziert er wieder, dass es die Frau wäre, die gegenüber Gott sündigt. Und besteht das Muster des Zauns, der ihn bei seinem tödlichen Sturz aufspießt, nicht auch aus Kreuzen?

    Nicht zufällig spielen auch mehrere Szenen des Films in eine Kirche bzw. kehrt auch die Kamera immer wieder ohne die Protagonistin in die Kirche zurück. Dort konzentriert sie sich vor allem auf zwei Steinreliefs, zwei sehr gegensätzliche Bilder, und zwar eines Mannes und einer Frau.

    Die Bedeutung der Steine

    Es handelt sich um echte historische Abbildungen, die sich in verschiedensten Varianten in Kirchen, aber auch schon in der vorchristlichen Architektur finden lassen. Die Steinbilder heißen „Grüner Mann“ (siehe hier bei Wikipedia) und „Sheela-na-Gig“ (siehe hier bei Wikipedia). Beide Steinfiguren haben eine sexuelle Bedeutung, werden mit der Darstellung von Fortpflanzung in Verbindung gebracht – und beide Steine sind ein weiteres Beispiel für die gegensätzliche Darstellung von Männern und Frauen – einmal positiv, einmal negativ.

    Der „Grüne Mann“, der Harper ja sogar in echt begegnet, ist ein Zeichen von Fruchtbarkeit. Er ist der Erschaffer neuen Lebens. Die verschiedensten existierenden Darstellungen der „Sheela-na-Gig“ haben dagegen die Gemeinsamkeit, dass die Geschlechtsorgane der Frau völlig überzeichnet sind – bis zur Hässlichkeit. In „Men“ wirkt die riesige Vulva der Frau auf dem Stein fast wie ein alles verschlingendes Monster. Denn hier ist es plötzlich ein Symbol für verbotene Lust, für teuflische Verführung.

    Die sich hier in einer Kirche auf den gegenüberliegenden Seiten eines Taufbeckens befindlichen Bilder stellen Sex so als etwas Gutes für den Mann dar (Fortbestehen der Menschheit) und als etwas Schlechtes für die Frau (Teufelszeug).

    Kirche und Polizei als Institutionen – kein Zufall!

    Mit der Kirche sind wir natürlich beim Pfarrer, der Harper beobachtet und im ersten Moment wie ein verständnisvoller Zuhörer wirkt. Doch das bleibt er nicht lange, schreibt er doch schnell die manipulative, toxische Erzählung ihres Ehemanns und der oben erklärten Bibelauslegung fort. Auch er gibt Harper die Schuld am Tod ihres Mannes.

    Ein interessanter Nebenaspekt ist in diesem Zusammenhang, dass nur zwei der vielen von Rory Kinnear gespielten Männer, mit denen Harper wirklich interagiert, Institutionen zuzurechnen sind. Das ist zum einen die Kirche und zum anderen die Polizei. Es sind beides Institutionen, die sich eine Art von Schutz auf die Fahnen geschrieben haben. Die Polizei soll unser Leib und Leben schützen, die Kirche unser Seelenheil.

    Doch es sind auch beides Einrichtungen, die gerade in der jüngeren Vergangenheit massiv in der Kritik standen, weil sie das mit diesem Schutzgedanken einhergehende Vertrauen missbraucht haben. Die Kirche hat über Jahrzehnte sexuelle Übergriffe vertuscht und tut sich immer noch mit einer lückenlosen Aufklärung schwer. Die Polizei hat in vielen Ländern, vor allem in den USA, aber auch in Großbritannien und auch in Deutschland, ein Rassismusproblem und ist auch hier als Institution selbst sehr wenig um lückenlose Aufklärung, Aufarbeitung und Abhilfe bemüht.

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    Natürlich sind sexueller Missbrauch in der Kirche und Rassismus in der Polizei nicht die vordergründigen Themen, die in „Men“ verhandelt werden, aber sie schwingen im umfangreichen Subtext mit. Daneben ist aber wohl vor allem die Verbündeten-Funktion dieser Einrichtungen für das Hauptthema des Horror-Dramas wichtig. Sowohl an den Pfarrer als auch an den Polizisten wendet sich Harper mit der Bitte um Hilfe – wie übrigens auch an den Vermieter, der auch ein Verbündeter sein könnte (und es zuerst ja zu sein scheint).

    Doch alle sind es am Ende nicht. Kein Mann kann hier ein Verbündeter sein – eine Anspielung darauf, wie sehr und oft Männer in der Realität eben keine Ally-Rolle einnehmen, sondern zum Beispiel einen sexistischen Witz in der Männerrunde „überhören“ oder als Spaß abtun.

    Die Rolle des Kindes ...

    Neben den gerade genannten drei erwachsenen Männern und dem Grünen Mann kommuniziert Harper daneben noch mit einem kleinen Jungen, der bereits in seinen jungen Jahren eine toxische Denkweise von der Überlegenheit seines Geschlechts offenbart und sie als „Bitch“ beleidigt. Auch hier zeigt sich das bekannte Männer-Denkmuster, welches Garland immer wieder offenlegt: Die Frau ist schuld – hier, weil sie einfach etwas nicht machen will, worauf sie keine Lust hat, wobei der Mann glaubt, ein Anrecht darauf zu haben (in diesem Fall: Verstecken zu spielen).

    Das Kind soll uns natürlich zeigen, wie früh Misogynie schon in der Gesellschaft angelegt ist und wie früh entsprechende Denkmuster entstehen. Nicht ganz sicher sind wir uns, ob Garland hier auch kurz auf die Rolle der Medien verweisen will. Schaut der Junge etwas auf seinem Handy, bevor sich ihm Harper nähert?

    ... und der Geburt

    Die Frage ist natürlich, ob Garland mit dem Jungen sogar implizieren will, dass Männer einfach Schweine sind, wie es auch im berühmten Lied der Punk-Band Die Ärzte heißt. Gerade das Highlight des Films, die lange Body-Horror-Geburtssequenz, könnte diese Aussage treffen – Männer werden einfach so geboren. Das glauben wir aber nicht, sondern sind ganz im Gegenteil davon überzeugt, dass Garland auch hier trotz des Zeigens von Geburten noch einmal die Rolle der Gesellschaft kritisieren will.

    Eine „Männer sind Schweine“-Lesart würde zum einen völlig der Aussage und Kritik des Films entgegenlaufen. Schließlich wäre das schon eine Art Entschuldigung („Männer sind halt einfach so“) und eben keine Aufforderung zur Besserung. Zum anderen hat es unserer Meinung nach schon eine sehr wichtige Bedeutung, dass hier CIS-Männer gebären und auch keine Babys geboren werden, sondern ebenfalls bereits ausgewachsene CIS-Männer, die ihrerseits neu gebären. Es ist also gerade nicht der reale Geburtsvorgang.

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    Durch diesen Vorgang verweist Garland viel mehr auf die Weitergabe eines Menschenbilds von einer Generation zur nächsten durch Erziehung, das Aufwachsen etc. Dass am Ende die schwangere Riley in einem optimistischen Finale auftaucht, ist auch ein sicher sehr bewusstes Gegenstück. Ihr ungeborenes Kind ist die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

    Die Aneinanderreihung von Geburten könnte zudem als Umkehr der Erbsünde verstanden werden. Wie laut der christlichen Theologie die Schuld für den Sündenfall Evas von Frau zu Frau weitergegeben wird, wird auch hier etwas weitergegeben – illustriert durch die bei jedem „Neugeborenen“ sichtbaren selben Verletzungen.

    Die Männer: Alles Wiedergänger von James

    In diesem Zusammenhang hat es auch eine Bedeutung, dass während der Geburtsreihe noch einmal jeder Mann aus dem Dorf entsteht, bevor am Ende Harpers Ex James rauskommt. Das unterstreicht, dass jeder Mann im Dorf für eine andere Seite von James steht:

    •  James war bockig und eingeschnappt, als sich Harper von ihm scheiden lassen wollte – wie das Kind
    •  James versuchte sie argumentativ zu manipulieren – wie auch der Pfarrer
    •  James weigerte sich die Scheidung zu akzeptieren – wie auch der Vermieter, der sie in der englischen Originalfassung weiter als „Mrs.“ anspricht, trotz des mehrfachen Hinweises, dass sie nicht verheiratet ist
    •  und James war übergriffig, als er ihre privaten Nachrichten auf dem Handy gelesen hat, was der Nackte (der Grüne Mann) symbolisiert – mit einem deutlichen Bild: In dem er seine Hand durch den Briefkastenschlitz steckt, dringt er im wahrsten Sinne des Wortes in Harpers Privatbereich ein. Er macht das sicher nicht zufällig durch einen Briefkasten, also exakt durch das Instrument für das Zustellen von Nachrichten.

    Das Ende: Es gibt Hoffnung

    Auf die Body-Horror-Geburtssequenz folgt schon bald die finale Einstellung des Films. Es ist ein positiver Ausgang: ein helles Bild, eine lächelnde Harper. Sie hat endlich ihren Frieden gefunden, sie lässt sich keine Schuld mehr am Tod ihres Ex einreden, die sie ja auch – unabhängig davon, ob es Selbstmord oder ein Unfall war – nie hatte.

    Vorher musste sie aber noch mal ihre Beziehung durchleben, denn das ist „Men“ nach der Interpretation des Autors dieser Zeilen: Der gesamte Film ist einfach das erneute Durchleben einer toxischen Beziehung.

    Alles fängt damit an, dass Harper den Apfel isst. Um noch einmal auf die Bibel zurückzukommen: Sie speist vom Baum der Erkenntnis. Hiermit beginnt ihr Erkenntnisprozess.

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    Deswegen schleicht sich der Horror in „Men“ erst ganz langsam ein. Am Anfang ist noch alles gut, wie in der Beziehung mit James sicher zu Beginn noch alles gut war. Dann kommen langsam Risse, am Ende ist es die Hölle. All die Männer stehen so – siehe oben – für verschiedene Versionen von James. Natürlich steht auch die Frage im Raum, was Garland mit der Besetzung von Rory Kinnear für alle Männer des Dorfes sagen will. Sieht Harper nur alle Männer mit dem gleichen Antlitz. obwohl sie es gar nicht haben? Oder ist es wirklich immer dasselbe Gesicht, aber ihr ist das nicht bewusst? Der Autor dieser Zeilen tendiert zur letzteren Aussage. Aber es ist auch eher sekundär. Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass alle Männer für James stehen.

    Und in diesem Zusammenhang ist der Ablauf der finalen Konfrontation entscheidend. Diese ist dann nämlich die Verarbeitung der ihr von ihrer Umwelt eingeredeten und sich selbst auferlegten Schuld – und zwar ganz deutlich. Für jede Verletzung, die sie nun den sie angreifenden Men zufügt, ist rein kausal erst einmal sie verantwortlich – ein Symbol für die ihr zugeschriebene Verantwortung an James' Tod. Doch sie ist eben am Ende trotzdem im Recht. Sie verteidigt sich schließlich, ihr Handeln ist gerechtfertigt. Und so wenig, wie sie sich für diese Verletzungen schuldig fühlen muss, muss sie sich für James' Tod schuldig fühlen. Denn sie hat völlig richtig gehandelt, als sie ihn aus der Wohnung geschmissen hat.

    Men - Was dich sucht, wird dich finden

    Dass wir am Ende ihre finale Konfrontation mit James nicht sehen, also das, was passiert, nachdem sie nebeneinander auf dem Sofa gesessen haben, ist eine bewusste Offenlassung. Es zeigt, dass es viele Wege gibt, sich zu befreien und nicht nur einen. Wichtig ist dabei, dass sie sich final nur selbst helfen kann, man sie aber unterstützen kann. Es ist sicher kein Zufall, dass Riley nicht nur persönlich zur Unterstützung eilen will, sondern ihr schon vorher das Werkzeug an die Hand gegeben hat. Mitten in einem Video-Telefonat darüber, dass sich Harper doch von dem auch noch über ihren Tod hinaus manipulativen Ex befreien soll, verweist Riley plötzlich aus dem Nichts auf die Axt, die im Hintergrund steht.

    Ob Harper diese Axt einsetzt, wissen wir nicht. Es spricht aber viel dafür. Sie hat die Axt nicht mehr in der Hand, wenn wir sie am Ende auf der Treppe im Garten sitzend finden, sie ist auch nicht in ihrer Nähe. Garland lässt es offen, deutet aber damit an, dass sie einen radikalen Schnitt getan hat. Sie hat sich quasi von der Erinnerung und der eingeredeten Schuld befreit. Wenn sie auf James' Verlangen nach Liebe mit einem „Yeah“ antwortet, können wir interpretieren, wie wir diese Aussage auffassen: Ist sie genervt? Womöglich! Vielleicht ist sie aber auch einfach gleichgültig, weil sie abgeschlossen hat! Was sie auf jeden Fall nicht mehr ist: geplagt von Schuld, manipuliert, abhängig!

    Annex: Von Gärten und Gedichten

    In „Men“ steckt noch deutlich mehr, als wir in diesem Artikel erfassen konnten. Man kann noch ausgiebig darüber diskutieren, warum der Garten rund um Harpers Mietdomizil so viel grüner ist als die übrige Natur des Ortes. Ein weiterer Verweis auf die Bibel, genauer: auf Eden, genauer: auf den Ort der Erkenntnis?

    Die wiederholte Unterdrückung der Frau durch die Geschichte thematisiert Garland zudem so oft, dass wir hier nicht alles aufzählen können. Da sei als weiteres Beispiel noch auf die Gedichtzeilen verwiesen, welche der Priester zitiert, wenn er am Ende Harper angreift und sie zu vergewaltigen versucht.

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    Eine Zeile stammt aus dem Sonett „Leda und der Schwan“ von William Butler Yeats, in welchem es um die Vergewaltigung der Königstochter Leda durch den Gott Zeus geht, aus der Helena geboren wird, deren spätere Entführung den „Trojanischen Krieg“ auslöst. Allein diese kurze Zeile wiederholt, wenn man ihren Kontext kennt, noch mal Kernthemen von „Men“:

    • die Ungleichbehandlung (der Pfarrer nennt sich sogar Schwan und stellt sich so auf eine Stufe mit Zeus, ist ein Gott, der richtig handelt; die Frau soll das quasi genießen, wie es auch über Leda angedeutet wird) ...
    • ... bis hin zur bei der Frau liegenden Schuldfrage (natürlich trägt Leda die „Schuld“ an der Vergewaltigung, auch Helena war ja „schuld“, dass es zum Krieg um Troja kam - und Harper ist “schuld”, dass der Pfarrer sie begehrt und vergewaltigen will, schließlich habe sie (allein durch ihre Existenz als Frau!) ihre “Macht über ihn” genutzt, damit er sexualisierte Bilder von ihr im Kopf habe).

    Ihr seht, es gibt noch immer mehr zu diskutieren (siehe auch Tunnel, das Feigenblatt, welches erst auf der Stirn des Grünen Mannes ist und Harper am Ende in der Hand hält, und, und, und...). Es ist so viel, dass man wahrscheinlich nie zu einem Ende kommen wird.

    Wir hoffen, dass wir euch mit dem Artikel ein paar Denkanstöße geben konnten. Wie Alex Garland aber selbst gesagt hat, gibt es viele Interpretationsmöglichkeiten und man kann viele Dinge auch anders sehen.

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