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    Brothers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Brothers
    Von Carsten Baumgardt

    Die Bestie Krieg ist ein Topic, das sich durch die ganze Filmhistorie zieht – und immer dann, wenn der Zuschauer denkt, alles sei zu diesem Ungetüm gesagt, erscheinen plötzlich Werke, die neue Perspektiven und Anknüpfungspunkte finden. Was ist nicht schon alles über den Zweiten Weltkrieg oder den Vietnamkrieg verfilmt worden?! Mit den amerikanischen Anti-Terror-Kriegen im Irak und in Afghanistan verhält es sich hingegen ein wenig anders. Nur vereinzelt befassen sich Filmemacher mit dieser neuen Art von Wahnsinn – wie zum Beispiel Kathryn Bigelow in ihrem The Hurt Locker. Das hat Gründe. Inzwischen dämmert jedem, dass auch die Amerikaner die Öffentlichkeit bewusst mit schleierhaften Informationen vernebeln, so dass wirkliche Fakten und Propaganda kaum noch zu unterscheiden sind. Schließlich sind Bilder von den Kriegsschauplätzen absolute Mangelware und zudem handverlesen. Licht ins Dunkel brachte das dänische Kriegs-Drama Brothers von Susanne Bier. Wenn ein herausragender Regisseur wie der Ire Jim Sheridan sich des US-Remakes annimmt, darf zumindest gehofft werden, dass der Film kein verlorener ist. Was Sheridan aber mit „Brothers“ abliefert, ist sogar noch besser. Sein sensibel und psychologisch fein nuanciertes Kriegs-Drama erschüttert bis ins Mark und begeistert mit außergewöhnlichen darstellerischen Leistungen.

    Marine-Captain Sam Cahill (Tobey Maguire) führt mit seiner Frau Grace (Natalie Portman) und seinen Kindern Maggie (Taylor Geare) und Isabelle (Bailee Madison) im amerikanischen Hinterland ein bescheidenes, aber glückliches Familienleben. Sams Veteranen-Vater Hank (Sam Shepard) ist stolz auf seinen Sohn, der kurz davor steht, seinen vierten Dienst in Afghanistan anzutreten. Sams jüngerer Bruder Tommy (Jake Gyllenhaal) ist das schwarze Schaf der Familie und frisch aus dem Knast entlassen, wo er eine mehrjährige Haftstrafe wegen eines Banküberfalls abgesessen hat. Vor allem das Verhältnis zu seinem Vater Hank ist schwer belastet. Als Sams Hubschrauber bei seinem Einsatz in Afghanistan beschossen wird, meldet das US-Militär den Marine nach dem Absturz als tot. Die Familie Cahill stürzt nach der Beerdigung in ein Trauma. Taugenichts Tommy rafft sich auf, Gutes zu tun und seinen Bruder zu vertreten. Er kümmert sich liebevoll um seine beiden Nichten und kommt auch seiner Schwägerin Grace näher. Was noch keiner ahnt: Sam hat die Havarie überlebt, wurde aber gemeinsam mit seinem Kameraden Private Willis (Patrick Flueger) von den Taliban verschleppt und misshandelt…

    Jim Sheridan gilt zu Recht als einer der besten Regisseure in puncto Schauspielerführung überhaupt. Eindrucksvolle Werke wie „Mein linker Fuß“ (1989), Im Namen des Vaters (1993) oder In America (2002) strotzten nur so vor kraftvollen Darstellerleistungen, die Sheridan regelmäßig aus seinem Personal herauskitzelt. Nach seinem Ausrutscher Get Rich Or Die Tryin‘ (2005) meldet er sich nun mit einem weiteren erstklassigen Drama zurück. Dabei stört es auch nicht weiter, dass „Brothers“ sich mit einem Stoff befasst, der bereits von einer anderen Regisseurin erfolgreich verfilmt worden ist. Sheridan hält sich zwar eng an das dänische Original aus dem Jahr 2004, hebt sich mit kleinen Veränderungen bei der Charakterzeichnung aber dennoch ausreichend ab, um seinen „Brothers“ als eigenständigen Film zu etablieren, der so wirkt, als sei das ausgezeichnete Drehbuch von David Benioff (25 Stunden, Stay, Drachenläufer) nur für diese (amerikanischen) Figuren geschrieben worden.

    Sheridans Gespür für Inszenierung offenbart sich bereits nach wenigen Szenen. Die Charaktere sind sofort hochinteressant und die Spannung zwischen den Akteuren knistert nur so über die Leinwand. Ohne dass es ausgesprochen werden muss, ahnt der Zuschauer instinktiv, dass sich hier eine Tragödie anbahnt. Die kühle Atmosphäre in der winterlichen amerikanischen Provinz unterstützt diese Einschätzungen noch zusätzlich – und das alles, obwohl Marine Sam Cahill souverän eine Bilderbuchfamilie anführt. Doch das wird nicht lange so bleiben.

    Dabei hat Sheridan kein politisches Statement im Sinn, auch wenn er die Kriegsszenen in all ihrer Brutalität und Absurdität mit beißendem Realismus für sich selbst sprechen lässt. Er klagt nicht einmal den Krieg als solches an – es geht in „Brothers“ lediglich darum, die Folgen aufzuzeigen. Was wird aus den verletzten Seelen, nachdem sie aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit verschwunden sind? Die Realität ist unwirtlich. Zerbrochene Männer bleiben zurück. Die Toten sind nicht die einzigen Opfer des Krieges – das macht Sheridan mit seiner Familiengeschichte eindringlich deutlich.

    Bei einem Drama von derartigen emotionalen Dimensionen läge es nahe, in große Gesten und Posen zu verfallen. Doch Sheridan macht nichts dergleichen. Er arbeitet sich mit Akribie und leisen Tönen an den Charakteren ab. Dass sich Sam Cahill nach seiner Rückkehr, und das ist kein Spoiler, im Schoß der Familie nicht mehr wohlfühlt, wird schnell deutlich. Zu stark wiegt sein Trauma, das er in Afghanistan erleiden musste. Zu schwer ist die Schuld, die er auf sich geladen hat. Zu sehr nagt sein Misstrauen gegenüber seiner Frau Grace und seinem Bruder Tommy an ihm. Dieser Sam Cahill ist eine tickende Zeitbombe. Explosionsgefahr? Jeder Zeit!

    Da liegt die Besetzung mit „Spider-Man“ Tobey Maguire (The Good German, Seabiscuit) nicht gerade auf der Hand, doch der Kalifornier liefert die - neben seinem grandiosen Auftritt in dem Kultfilm Wonder Boys - beste Leistung seiner Karriere und wurde mit allem Recht der Welt für einen Golden Globe nominiert. Er muss im Prinzip zwei Charaktere spielen, denn der zurückgekehrte Sam Cahill ist ein komplett anderer Mann. Und Maguire, der bisher nicht unbedingt als Schwergewicht galt, meistert jede Facette mit Präzision. Das emotionale Herz des Films ist jedoch die von Natalie Portman (Hautnah, Garden State, Heat) gespielte Grace, an deren Befindlichkeit immer der Stand der Dinge abzulesen ist. Zerbrechlichkeit, Stärke, Mut, Verzweiflung… all das bringt Portman in ihrer superben Performance auf den Punkt. Auch Jake Gyllenhaal (Zodiac, The Day After Tomorrow, Machtlos) spielt mit einem erfrischenden Unterstatement ausgezeichnet, kommt aber nicht ganz an Maguire und Portman heran, weil seine Rolle stärker limitiert ist.

    Überhaupt ist das Ensemble neben der sicheren Regiehand von Jim Sheridan und dem bis aufs I-Tüpfelchen stimmigen Drehbuch von David Benioff das Prunkstück des Films. Denn auch Sam Shepard (Der Stoff aus dem die Helden sind, Don’t Come Knocking) brilliert in seinem kleineren Part als Sams Vater. Was Sheridan schon in seinem Drama „In America“ (in Person von Sarah und Emma Bolger) erreichte, wiederholt er auch in „Brothers“: Er treibt Kinderdarsteller zu Höchstleistungen, was in Hollywood gewiss eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Taylor Geare (New York, I Love You, Mein Schatz, unsere Familie und ich) und Bailee Madison (Brücke nach Terabithia, Lonely Hearts Killers) strahlen eine Natürlichkeit aus, die alles andere als selbstverständlich ist.

    Fazit: Jim Sheridan reiht in „Brothers“ eine brillante Szene an die nächste. Sein verstörendes, tief berührendes Kriegs-Drama ist fast perfekt - bis zur letzten Einstellung. Ausgerechnet die Auflösung lässt die einzige kleine Schwäche des Films zu. Abgesehen davon ist „Brothers“ ein unglaublich intensives, sorgsam entfaltetes Werk, das das Offensichtliche oft ausspart, weil Sheridan sein Publikum für intelligent genug hält. „Brothers“ ist allerbestes Erwachsenenkino – meisterhaft erzählt und gespielt.

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