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    Der große Gatsby
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der große Gatsby
    Von Carsten Baumgardt

    Weltliteratur übersteht auch ohne Hollywoods Hilfe Dekaden. Mühelos. Die Ambition der Traumfabrik, dieser alle paar Jahrzehnte eine Frischzellenkur zu verabreichen, ist daher durchaus ein künstlerisches und auch kommerzielles Risiko. So gibt es etwa von F. Scott Fitzgeralds modernem Roman-Klassiker „Der große Gatsby“ noch keine rundum zufriedenstellende Filmversion, zuletzt scheiterten Regisseur Jack Clayton und sein Hauptdarsteller Robert Redford 1974 an der kniffligen Aufgabe. Auch Bildermagier Baz Luhrmann („Moulin Rouge“, „Romeo und Julia“), der mit seiner 3D-Verfilmung der berühmten Vorlage von 1925 die Filmfestspiele in Cannes 2013 eröffnet, schlug im Vorfeld eine gewisse Skepsis entgegen. Romanpuristen fürchteten, der Australier verschandle Fitzgeralds feingeschliffene Prosa zugunsten überbordender optischer Reize. Und tatsächlich spielt Luhrmann seine Stärken aus, aber nicht nur das. Was er mit seinem Gesellschaftsdrama „Der große Gatsby“ auf die große Leinwand zaubert, ist in vielerlei Hinsicht schlicht atemberaubend: eine knallbunte, theaterhaft-überhöhte Oper, die zuweilen die dritte Dimension zu sprengen droht. Zugleich bleiben der Regisseur und seine exzellenten Schauspieler – allen voran der herausragende Leonardo DiCaprio in der Titelrolle - im Kern dem Geist Fitzgeralds treu und schaffen damit eine ebenso anregende wie eigenständige Literaturverfilmung.

    Er schmeißt die größten Partys der New Yorker Gesellschaft der 20er Jahre, aber wer dieser großzügige Gastgeber, undurchsichtige Geschäftsmann und Millionär Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) wirklich ist, das weiß niemand genau. Es ranken sich die wildesten Legenden um ihn: Ist er ein Cousin Kaiser Wilhelms, ein Kriegsheld, ein Mörder oder doch ein deutscher Spion? Dass Gatsby offensichtlich mit nicht ganz sauberen Mitteln zu gigantischem Reichtum gekommen ist, tut der Faszination für seine Person keinen Abbruch - im Gegenteil. Als er sich mit seinem Nachbarn, dem  in bescheidenen Verhältnissen lebenden Schreiber und Börsenmakler Nick Carraway (Tobey Maguire) anfreundet, ist der zunächst begeistert von ihm. Aber eigentlich geht es Gatsby nur darum, an Nicks Cousine Daisy (Carey Mulligan) heranzukommen – seiner großen Liebe, die er als mittelloser Soldat Jahre zuvor aufgeben musste. Daisy ist inzwischen mit dem schwerreichen Lebemann Tom Buchanan (Joel Edgerton) unglücklich verheiratet. Dass ihr Ehemann sie nach Strich und Faden mit der attraktiven Bürgersfrau Myrtle (Isla Fisher) betrügt, ist nur eine der vielen Demütigungen, die Daisy bisher klaglos erträgt. Als Gatsby tatsächlich ein betulich-verkrampftes Teetrinken bei seinem Nachbarn Nick einfädeln kann und dort erstmals nach Jahren wieder auf Daisy trifft, soll die Liebe eine zweite Chance bekommen – aber die Hindernisse erweisen sich als scheinbar unüberwindlich…

    Auf die Idee einer Neuverfilmung von F. Scott Fitzgeralds „Der große Gatsby“ kam Regisseur Luhrmann bereits 2004, als er sich nach seinem Welterfolg „Moulin Rouge“ eine Pause gönnte und Entspannung auf einer Reise mit dem legendären Transsibirien-Express suchte. Es war ein weiter Weg von diesen ersten Bildern im Kopf des Filmemachers bis zur Premiere in Cannes und erst nach der zwischenzeitlichen technischen Revolution des 3D-Kinos war es Luhrmann möglich, die volle Schlagkraft seiner Vision zu entfalten. Die dreidimensionalen Bilder sind bei den meisten Filmen bestenfalls nettes Beiwerk – nicht so bei dem Australier.  Er nutzt das 3D-Crescendo, um seinen „Gatsby“ sprichwörtlich abheben zu lassen: Die Kamera von Simon Duggan („I, Robot“, „300: Rise Of An Empire“) ist gefühlt ständig in Bewegung, sie schwebt rasend über die protzigen Long-Island-Anwesen und die Partygesellschaften der New Yorker Upper Class oder über die Skyline der boomenden Metropole der Roaring Twenties. Das ist Pomp und Kitsch bis zum Exzess, wie man es aus früheren Filmen des Regisseurs durchaus kennt. Aber der hier streckenweise zelebrierte visuelle (und akustische) Overkill ist kein Selbstzweck. Der extrovertiert-rauschhafte Stil spiegelt vielmehr die lockere Moral sowie die Maßlosigkeit der porträtierten Dekade wider und zugleich bereitet Luhrmann seinen Figuren damit die passende Bühne: Er erschafft – gerade auch durch die überhöhenden 3D-Bilder - eine Welt der Künstlichkeit und des Scheins, in der echte Gefühle keine Chance haben.

    Shakespeares „Romeo und Julia“ hatte Baz Luhrmann einst in die Gegenwart übertragen, tastete aber die elisabethanische Theater-Sprache des Barden nicht an, bei Fitzgerald lässt der Regisseur nun die Handlungszeit der Vorlage mit großem Aufwand (Ausstattung und Kostüme sind eine wahre Augenweide) lebendig werden und garniert das mit Schlenkern in unsere gegenwärtige Popkultur – das Ergebnis unterstreicht in beiden Fällen die Zeitlosigkeit der bearbeiteten Klassiker und damit ihre ständige Aktualität. Wenn der Regisseur die schwärmerischen Luxus-Bilder des Jazz Age mit modernem Rap und Pop von Jay Z, Lana Del Rey, Beyoncé oder Rihanna unterlegt, dem er wiederum eine Prise Gershwin und Cole Porter beimischt, verbindet er wenig subtil, aber durchaus wirkungsvoll die Handlungszeit in den 1920er mit unserer Gegenwart der 2010er Jahre. Themen wie die Gier in einem von Banken und Börsen bestimmten Zeitalter, die Rücksichtslosigkeit einer vom Rest der Bevölkerung abgekoppelten High Society und die zügellose Vergnügungssucht finden darüber hinaus auch ohne großartiges Zutun des Regisseurs ein klares gegenwärtiges Echo. Das Gesellschaftsporträt wäre ohne das menschliche Drama in seinem Zentrum allerdings nur Ideenkino und nichts liegt dem Sinnesmenschen Luhrmann ferner als das. Sein Konzept kann nur mit den richtigen Schauspielern funktionieren.

    Die Besetzung von „Der große Gatsby“ wurde sorgfältig ausgewählt. Die offensichtlichste aller Casting-Entscheidungen betraf die Titelrolle, für die sich Leonardo DiCaprio förmlich aufdrängt. Gatsby ist einerseits überlebensgroß, unnahbar und undurchschaubar, andererseits ist er charmant, wirkt vertraut und weckt Vertrauen. Eine Mischung, die den klassischen Qualitäten eines Kinostars nicht unähnlich ist und wenn DiCaprio (erst nach einer guten halben Stunde übrigens) seinen ersten Auftritt hat, dann geschieht das mit dem angemessenen Zeremoniell – sein berühmtes gewinnendes Grinsen füllt die Leinwand und im Hintergrund wird ein Feuerwerk gezündet. Von da an ist DiCaprio der charismatische Dreh- und Angelpunkt des Films. Er beginnt als mysteriöser Zeremonienmeister, der auf Long Island die rauschendsten Partys der Dekade ausrichtet – nur um seine Liebe Daisy einmal auf eine dieser Feier-Orgien zu locken. Dieser Gatsby ist ein durch zwielichtige Geschäfte zu unermesslichem Reichtum gekommener Tycoon in pinken Anzügen, der jeden halb herablassend, halb anerkennend „old sport“ (in der deutschen Fassung „alter Knabe“) nennt, aber auch ein schüchterner Romantiker, der sein Leben aufs Spiel setzt, um lieben zu dürfen. In DiCaprios Interpretation ist er fragil und verwundbar, er wirkt in den entscheidenden Moment noch zerbrechlicher als Daisy, die Carey Mulligan („Shame“, „Drive“) als anmutige Schönheit mit schwachem Willen darstellt.

    DiCaprios Gatsby ist selbst in der größten Selbstherrlichkeit unsicher – ihm fehlt das über Generationen weitergegebene unerschütterliche Selbstvertrauen und die Anmaßung der Upper Class, er kann seine niedere Herkunft mit allem Geld der Welt nicht komplett kaschieren. Das zeigt sich vor allem in der entscheidenden Verbalschlacht mit Tom Buchanan in einem aufgeheizten, heißen Hotelzimmer in New York. Dieses Endspiel um die Gunst Daisys ist der Höhepunkt des Films, von Luhrmann als elektrisierendes Kammerspiel in Szene gesetzt, bei dem jede Dialogzeile, jede Nuance, jede noch so kleine Geste perfekt sitzt. Die Schwüle des Tages ist ebenso spürbar wie der Nebel, der durch den exzessiven Whiskey-Genuss in die Hirne der Protagonisten steigt. In dieser Atmosphäre spielt Joel Edgerton („Warrior“), der Tom bis dahin als Ekelpaket am Rande der Karikatur darstellte,  das Überlegenheitsgefühl der Upper-Class-Figur aus und lässt Gatsbys Fassade einstürzen. Nicht nur hier folgt Luhrmann der Vorlage sehr genau und bleibt ihr erstaunlich treu – nur die Magie von Fitzgeralds Worten will sich trotz vieler wörtlicher Zitate nicht so recht entfalten. Das liegt wiederum nicht an Tobey Maguire, dem viele dieser Worte in den Mund gelegt werden. Der Ex-„Spider-Man“ überzeugt in der schwierigen Rolle des Erzählers Nick, der gleichzeitig mittendrin ist und trotzdem außen vor bleibt, durchaus und wird zum emotionalen Anker für den Zuschauer, auch wenn seine Beziehung zur Golferin Jordan Baker (vielversprechend: Elizabeth Debicki) unterbelichtet bleibt.  

    Fazit: Kitsch-Berserker Baz Luhrmann bringt den Rap in die Wall Street der 20er Jahre, tankt sein 3D-Liebes- und Gesellschaftsdrama mit einer großen Portion „Moulin Rouge“-Esprit auf und zelebriert den Exzess einer maßlosen Oberklasse. Trotz des visuellen Wahnsinns wird dieser „Große Gatsby“ der literarischen Vorlage F. Scott Fitzgeralds in weiten Teilen gerecht: Good job, old sport!

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