Mein Konto
    Passion
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Passion
    Von Andreas Staben

    Alfred Hitchcock ist zurzeit wieder einmal besonders „in". So wird die obsessive Persönlichkeit des korpulenten Masters of Suspense in gleich zwei biografischen Spielfilmen („Hitchcock" mit Anthony Hopkins in der Titelrolle und die HBO-Produktion „The Girl" mit Toby Jones) in den Blick genommen und dazu erweisen ihm mehrere prominente Regisseure in ihren neuesten Thrillern auf unterschiedliche, jedoch jeweils unverkennbare Weise Reverenz. Steven Soderbergh hat in „Side Effects" nicht nur einige explizite Hitchcock-Zitate eingebaut, sondern knüpft auch mit seinen clever eingefädelten Überraschungswendungen an das Schaffen des „Psycho"-Schöpfers an, während „Stoker", das brillant inszenierte Hollywood-Debüt des Koreaners Park Chan-wook, von meinem Kollegen Christoph Petersen gleich zur „ultimativen Hitchcock-Hommage" erklärt wurde. Nun kommt dazu auch noch ein Werk des Filmemachers in die Kinos, der vielen schon seit den 70er Jahren als deutlichster und unermüdlichster Hitchcock-Epigone überhaupt gilt: Brian De Palma. Sein erotisch aufgeladener Psycho-Thriller „Passion" steckt tatsächlich wieder einmal voller Anklänge an den großen Meister, vor allem ist er aber ein typischer De Palma. Die genüsslich-virtuose Gratwanderung zwischen doppelbödiger Genre-Variation und fast schon autoparodistischer Fingerübung, zwischen Komplexität und Klischee ist daher vor allem ein Fest für die Fans des Regisseurs von „Schwarzer Engel", „Dressed to Kill" oder „Mein Bruder Kain".

    Die Amerikanerin Christine (Rachel McAdams) ist eine smarte und ehrgeizige Führungskraft in der Berliner Niederlassung eines internationalen Werbeunternehmens. Ihre wichtigste Mitarbeiterin Isabelle (Noomi Rapace) verstrickt sie in manipulative Machtspielchen und nutzt die zunehmend intime Beziehung für sich aus – sie schreckt nicht einmal davor zurück, die kreativen Ideen der untergebenen Kollegin als ihre eigenen auszugeben. Auch ihren Gelegenheitsliebhaber Dirk (Paul Anderson) zieht Christine in ihre Intrigen hinein und erpresst ihn schließlich zu einem Täuschungsmanöver. Mit seiner Hilfe demütigt sie Isabelle vor versammelter Belegschaft und wähnt sich bereits am Ziel ihrer Wünsche. Doch die Bloßgestellte sinnt auf Rache und hat mit der treuen Assistentin Dani (Karoline Herfurth) eine überaus engagierte Verbündete an der Seite. Es kommt zu einer Katastrophe...

    Auch wenn Alfred Hitchcock einmal mehr unübersehbare Spuren hinterlassen hat (Kenner werden sich vor allem mehr als einmal an „Vertigo" erinnert fühlen), ist das „offizielle" Vorbild für „Passion" ganz ein anderes, denn es handelt sich bei „Passion" um ein Remake des französischen Thrillers „Love Crime" von Alain Corneau. Bei De Palma übernehmen Rachel McAdams und Noomi Rapace die Rollen, die in der Vorlage von Kristin Scott Thomas („Der englische Patient") und von Ludivine Sagnier („Swimming Pool") verkörpert wurden und in der ersten Hälfte ist die neue Version tatsächlich einigermaßen nah am Original. Beide Filme beginnen als Psycho-Duelle mit Elementen eines corporate thrillers, aber während Corneau bis zum Ende recht erfolgreich bei dieser Linie bleibt, nutzt De Palma die Eskalation des Konflikts zwischen den beiden Protagonistinnen in der Filmmitte, um „Passion" in eine andere Richtung zu lenken. Er verwischt die Grenzen zwischen Realität und Traum, vervielfacht in mehrfacher Hinsicht die Perspektiven und macht aus dem einfachen Krimi ein schwer durchschaubares Puzzle persönlicher Obsessionen – von dort an gibt es in „Passion" nur eine zentrale Figur und die heißt Brian De Palma.

    Ähnlich wie der fast gleichaltrige Francis Ford Coppola in seinen Spätwerken wie „Twixt" oder „Jugend ohne Jugend" kümmert sich auch der inzwischen 72-jährige Brian De Palma wenig um Hollywood-Konventionen und nimmt sich die Freiheit heraus, ganz seinen eigenen Vorstellungen zu folgen. Aber während sich Coppola auf diese Weise trotz aller Kontinuitäten gleichsam noch einmal neu erfunden hat, ist „Passion" eine wahre Orgie der Selbstbezüglichkeit. Dieses Werk ist weniger vom langen Schatten Hitchcocks geprägt als von den Echos von De Palmas eigener filmischer Vergangenheit. Wenn der Regisseur etwa eine Mord-Sequenz und eine Ballett-Aufführung zu den Klängen von Debussys „Nachmittag eines Fauns" im Split-Screen-Verfahren parallel zeigt, dann ist das einerseits ein sinnfälliges Spiel mit Perspektiven und Zuschauererwartungen, in dem Lust und Tod zusammenkommen und an das sich Fragen nach den Rollen von Opfer und Täter, nach dem Zusammenhang von Sehen und Gesehenwerden knüpfen lassen. Auf der anderen Seite sehen De-Palma-erfahrene Zuschauer womöglich in erster Linie wie der Meister dieses Stilmittels es ein weiteres Mal virtuos anwendet und dabei einige seiner Lieblingsmotive mehr zitiert als variiert. Anders als noch bei „Femme Fatale", wo Inszenierung und Handlung eine untrennbare Einheit bildeten, erscheint in „Passion" einiges auf den ersten Blick als willkürlich oder selbstzweckhaft – es ist manchmal fast als würde De Palma das Erzählen im konventionellen Sinn ganz aufgeben wollen.

    De Palmas voriger Film „Redacted" war vor fünf Jahren noch von politischem Furor geprägt, nun hat der Regisseur sich ganz auf sich selbst zurückgezogen. Entsprechend ist das Porträt der Werbefirma und des Arbeitsalltags dort in „Passion" recht oberflächlich geraten. Wenn ein vermeintlich brillanter Reklamespot mit banalsten Floskeln gefeiert wird, dann zeugt das ebenso wie das Filmchen selbst (bei dem im übrigen eine „Arsch-Kamera" zum Einsatz kommt) von einer ironischen Indifferenz des Regisseurs. Genauso wenig interessiert er sich für den Schauplatz Berlin, der hier konsequenterweise als austauschbare Großstadtkulisse behandelt wird (und entsprechend auch in einer Szene als London-Double herhalten kann). De Palmas ganze Aufmerksamkeit gilt seinen eigenen Obsessionen und davon eine der wichtigsten sind die Frauen. Die leisen homoerotischen Untertöne mögen davon ablenken, dass Machtstreben und kriminelle Energie hier fast ausschließlich den weiblichen Figuren vorbehalten sind, in jedem Fall sind sie den Männern hoch überlegen, ohne dafür deren Verhalten imitieren zu müssen. So ist Paul Anderson („Sherlock Holmes: Spiel im Schatten") als Dirk ein armes Würstchen und gutaussehendes Beiwerk, während Rainer Bock („Barbara", „Inglourious Basterds") als melancholischer Polizist der machtlose Spielball der Frauen bleibt.

    Der französische Autorenfilmer François Truffaut hat einmal gesagt, dass die Arbeit eines Regisseurs daraus bestehe, „schöne Frauen schöne Dinge machen zu lassen". In „Passion" lässt De Palma schöne Frauen fiese Dinge tun und sorgt dafür, dass dies auf perverse Art schön erscheint. Die sonst eher unschuldig wirkende Rachel McAdams („Wie ein einziger Tag") darf dabei das verdorbene Biest geben, während Noomi Rapace („Prometheus") auch einmal Schwäche zeigt. De Palma steigert seinen Spaß noch, indem er nicht nur aus einer männlichen Figur in Corneaus Original eine Frauenrolle macht (zur blonden McAdams und zur brünetten Rapace gesellt sich die rothaarige Karoline Herfurth), sondern auch eine Zwillingsschwester erfindet, womit er ein weiteres Leitmotiv seiner Karriere aufgreift. Das wiederum nutzt er am Ende dazu, die Krimihandlung ins Absurde abgleiten zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt ist „Passion" ohnehin längst kein echtes Genre-Werk mehr, sondern reines Kino über das Filmemachen nach Art seines Schöpfers, sozusagen der Doppelgänger eines De-Palma-Films.

    Fazit: Nach mehrjähriger Schaffenspause kehrt Thriller-Spezialist Brian De Palma zu seinem Lieblingsgenre zurück und macht aus „Passion" ein virtuos inszeniertes, aber erzählerisch auf wackligen Füßen stehendes Bravourstück voller Rückbezüge aufs eigene Werk.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top