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    Hardcore
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Hardcore
    Von Christoph Petersen

    Andrzej Bartkowiaks „Doom“ ist wie die meisten Videospielverfilmungen ziemlicher Mist. Nur als der Zuschauer schließlich für einige Minuten in die Rolle von John „Reaper“ Grimm (Karl Urban) schlüpft und aus der Egoperspektive miterlebt, wie dieser alles niedermäht, was ihm vor die Wumme kommt, schießt der Spaßpegel plötzlich enorm in die Höhe. Da fragt man sich schon, warum es noch zehn weitere Jahre gedauert hat, bis nun endlich der erste Actionfilm in die Kinos kommt, der komplett aus dieser Ich-Perspektive erzählt wird: Nachdem der russische Musiker Ilya Naishuller für seine Band Biting Elbows bereits zwei Musikvideos im Stile eines Egoshooters gedreht hatte, wurde Produzent Timur Bekmambetov („Unknown User“) auf den Nachwuchsregisseur aufmerksam und überredete ihn, doch einen ganzen Spielfilm auf diese Art zu inszenieren. Das Ergebnis ist „Hardcore“, ein herrlich dreckiger, ultrabrutaler, dunkelschwarzhumoriger Bastard von einem Party-Action-Splatterfilm, der beim Filmfestival in Toronto 2015 einen regelrechten Bieterwettstreit um die US-Rechte ausgelöst hat.

    Schon im Vorspann werden keine Gefangenen gemacht: In Superzeitlupe dringen da Messer in Hälse ein oder krachen Baseballschläger gegen Schädel. Anschließend „erwacht“ der Zuschauer gemeinsam mit dem kybernetischen Supersoldaten Henry, aus dessen Augen der Zuschauer zusieht, wie ihm seine Frau Estelle (Haley Bennett) noch einen Arm und ein Bein „anschraubt“. Gerade als der Stimmengenerator aktiviert werden soll, stürmt der telekinetisch begabte Superbösewicht Akan (Danila Kozlovsky) mit seinen Schergen das Labor. Zwar kann Henry entkommen, aber nach dem Öffnen einer Notausgangstür starren wir mit ihm gemeinsam plötzlich kilometerweit in die Tiefe - offenbar befindet er sich an Bord eines Flugschiffes. Mit einer Rettungskapsel stürzen Henry und Estelle im nahezu freien Fall gen Moskau – aber auf den Straßen der russischen Metropole gehen die Hatz und das Gemetzel erst richtig los …

    In „Harcore“ werden die grenzenlose Leidenschaft und der unbedingte Innovationswille eines Fanprojekts mit dem Knowhow einer professionellen Genreproduktion vereint: Fast vollständig mit GoPro Hero3 Black Edition-Kameras gedreht, erinnert „Hardcore“ visuell weniger an ein verfilmtes Egoshooter-Let’s-Play (wer das sehen will, muss sich „First Person Shooter“ ansehen), als vielmehr an völlig abgefahrene Parkour- und Extremsport-Videos auf YouTube, die ja in der Regel auch mit GoPros gefilmt sind. Die größte Herausforderung dabei ist natürlich, die Energie über die vollen 90 Minuten hochzuhalten – denn Filmen wie „Hardcore“, in denen von Beginn an Vollgas gegeben wird, geht oft genug schon lange vor dem Abspann die Puste aus. Aber Spielfilmdebütant Naishuller gelingt es mit nur minimalen Längen hier und da (einige Szenen sind dann doch nicht so kinetisch wie sie sein sollten), sich bis zum Over-the-Top-Splatter-Finale in Sachen Tempo, Punch und vor allem purem Wahnsinn immer wieder selbst zu übertreffen. Welche Verrücktheiten ihm dabei im Einzelnen einfallen, wollen wir an dieser Stelle nicht aufzählen, um niemandem den Spaß des Entdeckens zu verderben.

    Abgesehen von der Egoperspektive lässt sich „Hardcore“ wohl am ehesten mit dem von uns heißgeliebten „Crank 2: High Voltage“ vergleichen, zumal Naishuller in den wenigen ruhigeren Momenten immer wieder nette schwarzhumorige Gags unterbringt und geschickt mit den Zuschauer-Erwartungen spielt: Wenn sich Henry (und mit ihm das Publikum) in „Red Dead Redemption“-Manier auf ein wildes Pferd schwingt, dann erklingt dazu nicht nur die Titelmelodie von „Bonanza“, er wird auch sofort wieder abgeworfen und muss zu Fuß weiter. Während von Henry selbst (fast) nur die Hände zu sehen sind und Tim Roth („The Hateful 8“) nur in einer einzigen kurzen Erinnerungsszene auftaucht, hat Sharlto Copley als Henrys einziger Verbündeter Jimmy im Übrigen die klar größte Rolle. Und nachdem der „District 9“-Star mit seinem Overacting zuletzt Filme wie „Elysium“ oder „Oldboy“ geradezu kaputtgespielt hat, versteht es mit Naishuller nun endlich mal wieder ein Regisseur, den offensichtlich nichts von Subtilität haltenden Südafrikaner richtig einzusetzen: Jimmy kehrt vom Straßenpenner über einen Love-and-Peace-Hippie bis zum Scharfschützen immer wieder in verschiedenen Versionen seiner selbst zurück – und Copley dreht in jeder einzelnen mächtig auf. Der Höhepunkt: eine völlig absurde Musical-Nummer zu Frank Sinatras berühmter Version von „I’ve Got You Under My Skin“, bei der Copley abwechselnd in alle seine verschiedenen Klon-Rollen schlüpft.

    Fazit: „Hardcore“ macht seinem Titel alle Ehre und präsentiert sich als ultimativer Partykracher – bei der im Abspann bereits angedeuteten Fortsetzung wären wir definitiv wieder mit dabei!

    Hier gibt’s noch das Musikvideo „Bad Motherfucker“, das Regisseur Ilya Naishuller überhaupt erst den „Hardcore“-Job eingebracht hat:

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