Mein Konto
    Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen

    Sehr ambitioniert, aber nicht sehr spannend

    Von Christoph Petersen

    Es ist der womöglich bekannteste Hinter-den-Kulissen-Fakt der Horrorfilmgeschichte: Stephen King mag Stanley Kubricks „Shining“ nicht! Deshalb dürften die Gespräche auch nicht ganz leicht gewesen sein, die Regisseur und Drehbuchautor Mike Flanagan („Spuk In Hill House“) mit King im Vorfeld seiner neuen Produktion führen musste: Seine Verfilmung der „Shining“-Romanfortsetzung „Doctor Sleep“* ist nämlich zugleich auch eine direkte Fortführung von Kubricks Jahrhundertmeistwerk, die viele der ikonischen Einstellungen von der Dreiradfahrt auf dem Hotelflur bis zum Blutschwall aus der Fahrstuhltür eins zu eins aus dem Klassiker übernimmt. Nur die Schauspieler wurden ausgetauscht: Statt Jack Nicholson ist es nun etwa Henry Thomas, der erwachsengewordene Elliot aus „E.T. – Der Außerirdische“, der als Jack Torrance an der Bar steht. Das reißt einen dann zwischendurch doch aus der Vorstellung, wirklich in das altbekannte und nun wiedererwachte Overlook Hotel aus dem Jahr 1980 zurückzukehren.

    Aber offenbar hat Flanagan den König des Horrors mit seiner ersten Verfilmung eines seiner Stoffe (der Netflix-Thriller „Das Spiel“) so sehr überzeugt, dass King trotz der Kubrick-Elemente zugestimmt hat. Aber damit war dann auch nur der erste von zwei großen Steinen aus dem Weg geräumt: Wie so viele King-Romane ist nämlich auch „Doctor Sleep“ sehr lang (als deutsches Taschenbuch 720 Seiten) und zudem bis obenhin mit Plot und Nebenhandlungen vollgestopft. Nun darf man Flanagan durchaus hoch anrechnen, dass er – im Gegensatz zu Kubrick, der sich nur die für ihn interessanten Rosinen rausgepickt hat – zumindest versucht, der King-Vorlage auf ganzer Linie gerecht zu werden. Deshalb ist „Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen“ nun auch mehr als zweieinhalb Stunden lang – und dennoch fühlt sich vieles an, als würde es nur kurz oberflächlich angeschnitten. Zugleich bleibt die Spannung bei der ausufernden Erzählung immer wieder für längere Abschnitte auf der Strecke.

    Der erwachsene Danny muss sich den Dämonen seiner Kindheit stellen – ob er will oder nicht!

    Danny Torrance (Ewan McGregor), der kleine Junge aus „Shining“, ist erwachsen geworden. Die Geister seiner Kindheit hat er zwar inzwischen in mentale Boxen gesperrt, aber zerbrochen ist er an ihnen dennoch. Sein Dasein als obdachloser Alkoholiker endet erst, als Billy Freeman (Cliff Curtis) ihn auf der Straße anspricht und ihm eine Wohnung besorgt. Über den Arzt Dr. John (Bruce Greenwood) erhält Danny zudem eine Stellung in einem Hospiz, wo er sein Shining dazu nutzt, um den Sterbenden einen möglichst angstfreien Übergang ins Jenseits zu ermöglichen (was ihm den Spitznamen Doctor Sleep einbringt).

    Einige Jahre später wird Danny von der Zwölfjährigen Abra Stone (Kyliegh Curran) kontaktiert. Bei ihr ist das Shining noch viel stärker ausgeprägt – und so hat sie auch herausgefunden, dass eine Sekte unter der Führung von Rose the Hat (Rebecca Ferguson) durchs Land zieht, um Kinder mit der Shining-Fähigkeit zu töten und ihre Kraft aufzusaugen. Je schmerzhafter und angsterfüllter der Tod, desto reiner das Shining, das den Sektenmitgliedern ein übernatürlich langes Leben beschert. Danny und Abra tun sich zusammen, um Rose und ihre Schergen ein für alle Mal aufzuhalten…

    Ein Hauch von "Trainspotting"

    Die erste Stunde von „Doctor Sleeps Erwachen“ ist – wie bei King-Geschichten ja nicht unüblich – primär ein Charakterdrama. Dabei geht Mike Flanagan auch dorthin, wo es richtig wehtut: Nach einem One-Night-Stand erwacht Danny nicht nur in einem Bett voll Kotze, er klaut seiner alleinerziehenden, ihm offensichtlich unbekannten Sexualpartnerin auch noch das Geld aus dem Portemonnaie, während nebenan ein kleines Baby um Hilfe schreit. Das hat schon fast etwas von der ungeschönten Abgründigkeit von Ewan McGregors großem Durchbruchsfilm „Trainspotting“, zumal die Situation für zumindest zwei der drei Beteiligten auch alles andere als gut ausgehen wird. Die anschließenden acht Jahre, in denen Danny sich langsam wieder fängt, brav zu den Anonymen Alkoholikern geht und im Hospiz arbeitet, sind eigentlich auch superinteressant…

    … aber es bleibt trotz der zweieinhalbstündigen Lauflänge eben nur Zeit für zwei Sterbebegleitungen – und wenn Danny dann den Titel „Doctor Sleep“ verliehen bekommt, kann man das als Zuschauer an der Stelle nur entfernt nachvollziehen. Gemeinsam mit den Rückblicken in die Kindheit fühlt sich das fast an wie ein typisches Biopic-Drama über eine berühmte Persönlichkeit, bei der die wichtigsten Stationen alle kurz angeschnitten werden. Dabei stößt Flanagan aber an keiner Stelle so tief in etwas vor, dass es in der zweiten, genrelastigeren Hälfte noch eine größere Rolle spielen würde. Da hätte man besser doch Dinge weglassen oder sie – etwa in einer Mini-Serie – eben tatsächlich in der gebotenen Ausführlichkeit angehen sollen. So ist es jedenfalls weder Fisch noch Fleisch.

    Der gar nicht so heimliche Star des Films: Rebecca Ferguson als Rose the Hat.

    Während Ewan McGregor („Star Wars – Episode 1“) eine solide, aber für seine Verhältnisse auch nicht herausragende Leistung abliefert, erweist sich Rebecca Ferguson – einmal mehr – als gar nicht so heimliches Highlight des Films: Als kindermordende Hippie-Sektenanführerin mit Zauberzylinder ist der „Mission: Impossible – Rogue Nation“-Star wirklich richtig, richtig schön fies – und das ganz ohne das im Horrorgenre sonst übliche Grimassieren und Überdrehen (wie etwa Jack Nicholson in „Shining“), was ihre Darstellung aber nur noch teuflischer macht. Dabei erinnern die Shining-Duelle zwischen Danny/Abra und Rose oft an die Gedanken-Kräftemessen zwischen Professor X und Magneto bei den „X-Men“…

    … nur dass Rose im Gegensatz zu Magneto eben keine ambivalente, sondern eine einfach nur abgrundtief böse Figur ist. Dafür sind die gegenseitigen unerwünschten Besuche im Kopf des anderen in „Doctor Sleeps Erwachen“ aber durchaus effektiv und einfallsreich inszeniert – wenn etwa Rose durch einen Supermarktgang spaziert und plötzlich spürt, dass noch jemand da ist, aber erst nicht begreift, dass sich dieser jemand in ihrem Kopf befindet. Ebenfalls ziemlich cool sind die Sterbeeffekte bei den Sektenmitgliedern: Es ist zwar alles andere als neu, dass Monster oder Geister sich einfach in Rauch auflösen oder zu Asche zerfallen, aber hier ist dieser eigentlich hinlänglich bekannte Moment wirklich sehr schön und wirkungsvoll umgesetzt.

    Rückkehr ins Overlook Hotel

    Doch dafür hapert es gerade dann an der Kreativität bei der Inszenierung, wenn es wirklich drauf ankommt. „Doctor Sleeps Erwachen“ beginnt mit einem Warner-Bros.-Logo aus den Achtzigern und der Titel des Films wird über dem legendären rot-orange-braunen Teppich-Muster aus dem Overlook Hotel eingeblendet. Die Parallelen nicht nur zur Geschichte von „Shining“, sondern auch zum spezifischen Look der Kubrick-Verfilmung sind also von Anfang an omnipräsent (dafür muss man nicht mal mitbekommen, dass Abra im Haus mit der Nummer 1980, also dem Entstehungsjahr des Klassikers lebt). Aber wenn es schließlich tatsächlich zurück geht zu einem DER ikonischsten Schauplätze der Horrorhistorie überhaupt, dann fällt Flanagan selbst plötzlich kaum noch etwas ein – und auch die Spannung und der Grusel kommen im großen Finale erstaunlich kurz.

    Einige der Szenen sehen zwar aus wie direkt aus "Shining" übernommen – wurden aber tatsächlich trotzdem noch mal neu gedreht.

    Ja, Flanagan hat die Orte wie die Bar, die Flure oder das geheimnisumwobene Zimmer 237 so originalgetreu wie nur irgendwie möglich nachbauen lassen – und man spürt bei jeder Einstellung regelrecht, wie einem der Regisseur in dem Moment zuzwinkert: „Na, erinnert ihr euch auch noch?“ Die Antwort dürfte bei den meisten Zuschauern lauten: „Ja, natürlich!“ (Und wer „Shining“ nicht kennt, wird der Story zwar noch folgen können, aber trotzdem keine Freude haben, weil sich Flanagan wirklich zu 100 Prozent nur auf die über Jahrzehnte hinweg aufgeladene Ikonographie des Originals verlässt.) Aber dann kommt nach diesem Erinnerungsflash kaum noch etwas. Flanagan erweckt das Overlook Hotel zwar aus seinem vier Dekaden andauernden Dornröschenschlaf – aber weiß dann doch nicht so recht etwas mit ihm anzufangen.

    Fazit: Die 39 Jahre nach dem Original erscheinende „Shining“-Fortsetzung ist ein angenehm ambitioniertes Horror-Sequel mit einer großartigen Rebecca Ferguson, das aber im selben Moment zu lang und zu kurz ist, um seinen eigenen hohen Ansprüchen tatsächlich gerecht zu werden.

    *Bei den Links zum Angebot von Amazon handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links erhalten wir eine Provision.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top