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    The Neighbor - Das Grauen wartet nebenan
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Neighbor - Das Grauen wartet nebenan
    Von Christoph Petersen

    Wenn der wegen eines gebrochenen Beines an den Rollstuhl gefesselte Fotograf L.B. Jefferies (James Stewart) in dem 1954er-Klassiker „Das Fenster zum Hof“ im Haus gegenüber einen vermeintlichen Totschlag beobachtet, lässt sich Regisseur Alfred Hitchcock anschließend viel Zeit, um genüsslich mit der Frage „Mord oder kein Mord?“ zu jonglieren und so die Spannungsschaube anzuziehen. Mehr als 60 Jahre später präsentiert Regisseur und Drehbuchautor Marcus Dunstan („The Collection“) nun den genauen Gegenentwurf dazu: In seinem Thriller „The Neighbor – Das Grauen lauert nebenan“ beobachtet die Freundin des drogenverschiebenden Protagonisten zwar ebenfalls durch ein Teleskop einen Mord auf dem Nachbaranwesen, hier wird aber anschließend nicht lange rumgerätselt, sondern direkt kurzer Prozess gemacht. „The Neighbor“ ist atmosphärisch-temporeich inszeniertes, konsequent geradliniges Terror-Kino, das sich dank vieler kleiner Besonderheiten wohltuend vom Genre-Einheitsbrei abhebt.

    Cutter ist eine ländliche Kleinstadt im US-Bundesstaat Mississippi, in der die meisten Bewohner lieber für sich selbst bleiben – also eigentlich der perfekte Ort für John (Josh Stewart) und seine Freundin Rosie (Alex Essoe, „Starry Eyes – Träume erfordern Opfer“), die in ihrem abgelegenen Haus Drogen für Johns Onkel Neil (Skipp Sudduth) umschlagen. Aber die beiden sind nicht die einzigen, die die Abgeschiedenheit für zwielichtige Geschäfte nutzen – auch im Keller von Nachbar Troy (Bill Engvall) und seinen zwei Söhnen scheint es nicht mit rechten Dingen zuzugehen. Und tatsächlich: Eines Tages erspäht Rosie durch ihr Teleskop, wie jemand auf dem Nachbargrundstück eine Leiche durch den Garten manövriert. Als John einige Stunden später wieder nach Hause kommt, fehlt von seiner Freundin jede Spur…

    Schon beim ersten Aufeinandertreffen von John und Troy ist die Spannung fast schon greifbar – obwohl Troy nur für ein erstes Kennenlernen mit zwei kühlen Bier rübergekommen ist, belauern sich die Männer regelrecht, während sich jedes einzelne Wort ihres nachbarlichen Smalltalks auch leicht als wenig subtile Warnung verstehen lässt. Die Szene ist auch deshalb so intensiv, weil mit Josh Stewart („The Dark Knight Rises“) und Bill Engvall (kaum zu glauben, aber der furchterregende Südstaaten-Redneck ist im wahren Leben eigentlich ein Comedian) beide Duellanten schauspielerisch klar über dem Genreschnitt agieren. Nach dem beobachteten Mord spielt Marcus Dunstan (wie schon in seinem Regiedebüt „The Collector“) dann sein bewusst beschränktes Setting voll aus: keine überflüssigen Schnörkel, keine konstruierten Twists, einfach nur Spannung und Terror auf engstem Raum.

    Aber so geradlinig der Film an sich auch ist, so viele spezielle Details hält er für sein Publikum bereit (Achtung: für den Rest des Absatzes Spoiler): In einem Südstaaten-Thriller wie diesem sollte es niemanden mehr überraschen, dass sich der Dorfsheriff als korrupt und sexistisch entpuppt – nur ist Officer Burns (Jaqueline Fleming, „Bad Ass 3“) hier eine schwarze Frau, die Josh bei einer Verkehrskontrolle erst einmal genüsslich in den Schritt greift. Außerdem werden unsere Vorurteile gegen Troy ad absurdum geführt, wenn sich der vermeintliche Vorzeige-Redneck eben nicht als Rassist und auch nicht wie erwartet als wahnsinniger „Texas Chainsaw“-Gedächtnis-Killer entpuppt, sondern als kalter Pragmatiker, der nach dem Tod seiner Frau lediglich für seine Familie sorgen will, indem er mit seinen Söhnen arglose Anhalter entführt. Dieser Pragmatismus führt auch zu einer der gelungensten Szenen des Films, wenn Troy seinem Sohn erklärt, wie genau er auf einem Lösegeldvideo den Hammer halten soll, damit die Eltern des Opfers möglichst viel Panik bekommen. Hier inszeniert der Antagonist genau die Art von Horror, die wir eigentlich von ihm erwartet hätten, bevor unsere Erwartungen unterlaufen wurden – ein wahrhaft brillanter Meta-Moment.

    Fazit: Ein simples Szenario, gnadenlos effektiv inszeniert – und dazu noch mit genügend spannenden Eigenheiten gewürzt, um den oft erzählten Plot wieder frisch und unverbraucht wirken zu lassen.

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