Mein Konto
    Tatort: Ein Tag wie jeder andere
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Ein Tag wie jeder andere

    Der bisher beste "Dadort"

    Von Lars-Christian Daniels

    Bei ihren bisherigen vier Auftritten haben die „Tatort“-Ermittler aus Franken bei den Fans der Krimireihe noch nicht für die ganz große Begeisterung gesorgt: Ihre ersten Einsätze in Nürnberg, Würzburg und Bamberg fielen eher in die Kategorie Mittelmaß, wenngleich der Bayerische Rundfunk nicht müde wurde, mit großem Aufwand die Werbetrommel für sein zweites „Tatort“-Team neben den altgedienten Kollegen aus München zu rühren. Von der anfänglichen Euphorie ist aber nicht viel übrig geblieben: Die Einschaltquoten brachen schon nach dem ersten Fall „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ um fast vier Millionen Zuschauer ein, einen extra eingerichteten Blog hat der BR mittlerweile eingestellt und nicht wenige Franken zeigten sich trotz der wechselnden Schauplätze in ihrer Heimat über das fehlende Lokalkolorit in den Filmen enttäuscht – außer dem Dialekt der Nebenfiguren wirkte ihr „Dadord“ geografisch ziemlich beliebig. In Sebastian Markas spannendem „Tatort: Ein Tag wie jeder andere“ ist vieles ganz anders: Die Handlung ist eng mit den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth verknüpft und statt eines mittelmäßigen Krimis inszeniert Marka eine temporeiche Kreuzung aus Thriller und Entführungsdrama.

    Bei einer Gerichtsverhandlung in Bayreuth gibt es einen Toten: Rechtsanwalt Thomas Peters (Thorsten Merten) greift während eines laufenden Prozesses zur Waffe und erschießt den Richter – pünktlich um 14 Uhr. Genau eine Stunde später stirbt eine weitere Person: Diesmal trifft es die Universitätsmitarbeiterin Katrin Tscherna (Katharina Spiering), die Peters exakt um 15 Uhr in einem Lebensmittellabor hinrichtet. Die Bayreuther Kriminalkommissare Felix Voss (Fabian Hinrichs), Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt), die von Spurensicherungsleiter Michael Schatz (Matthias Egersdörfer) unterstützt werden, nehmen die Verfolgung des flüchtigen Täters auf. Offenbar hat Peters es auch auf den Molkereiunternehmer Rolf Koch (Jürgen Tarrach) abgesehen, der gerade eine Oper der Richard-Wagner-Festspiele besucht. Doch was ist sein Motiv? Während Voss und Ringelhahn das Festspielhaus räumen lassen, findet Goldwasser heraus, dass Kochs Firma vor einiger Zeit verseuchte Milch in Umlauf gebracht und damit offenbar den Tod des Babys von Martin (Stephan Grossmann) und Jana Kessler (Karina Plachetka) verschuldet hat…

    Wie der Titel schon sagt: Ein Tag wie jeder andere!

    Was haben „Tatort: Ein Tag wie jeder andere“ und der im Oktober 2018 gesendete „Tatort: KI“ gemeinsam? Genau: Beide Filme hat Regisseur Sebastian Marka („Hit Mom – Mörderische Weihnachten“) für den Bayerischen Rundfunk inszeniert. Doch es gibt noch eine weitere Gemeinsamkeit, die sich buchstäblich bei näherem Hinsehen offenbart: In beiden Filmen war der mit Bart, Perücke und Brille förmlich maskierte Thorsten Merten („Atlas“) in einer Nebenrolle zu sehen – und das, obwohl der Schauspieler bereits zum Stammensemble im „Tatort“ aus Weimar zählt, in dem er seit 2013 achtmal den tölpelhaften Kripochef Kurt Stich spielte. Warum ausgerechnet Merten für die wichtige Rolle als Mehrfachmörder im „Tatort“ aus Franken ausgewählt wurde, darf zumindest kritisch hinterfragt werden, noch ärgerlicher ist allerdings die Besetzung des Bayreuther Polizeipräsidenten Richard Buchner mit Schauspieler Thomas Kügel („Sauerkrautkoma“): Der spielt in Kiel schon seit 2003 Roland Schladitz, den Vorgesetzten von Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) und wird exakt einen Sonntag später in „Tatort: Borowski und das Glück der anderen“ wieder in eben dieser Rolle zu sehen sein. Gibt es denn wirklich so wenige gute Schauspieler in Deutschland?

    Die fragwürdigen Personalentscheidungen sind neben der oberflächlichen Charakterzeichnung im Hinblick auf das Ehepaar Kessler und der etwas überkonstruierten Geschichte die größten Schwächen einer ansonsten packenden „Tatort“-Folge: Sebastian Marka und sein Drehbuchautor Erol Yesilkaya, die mit dem Münchner „Tatort: Die Wahrheit“, dem Wiesbadener „Tatort: Es lebe der Tod“ oder dem Berliner „Tatort: Meta“ für eine ganze Reihe vielgelobter Krimi-Highlights verantwortlich zeichnen, verzichten auf das gewohnte Whodunit-Prinzip und arrangieren stattdessen einen temporeichen Thriller, bei dem die Kommissare fast in Echtzeit einen Wettlauf gegen die Uhr gewinnen müssen. Dabei gliedern sie ihren Film in zwei Hälften: Geht es in der ersten Dreiviertelstunde noch darum, Rechtsanwalt Peters von einer dritten Verzweiflungstat abzuhalten, wandelt sich der 1085. „Tatort“ anschließend zum dramatischen Entführungsfall, was der Spannung nicht im Geringsten Abbruch tut. Ganz im Gegenteil: Statt sich mit Verdächtigenbefragungen vom Reißbrett oder akribischer Fleißarbeit im Präsidium aufzuhalten, kann der Zuschauer sich die Erkenntnisse der Kommissare meist früh zusammenreimen, weil er durch viele Rückblenden und den Wechsel in die Täterperspektive einen Wissensvorsprung genießt.

    Auf den Spuren von James Bond und Ethan Hunt

    Mit dem ersten Showdown bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth gibt es diesmal zudem eine satte Portion Lokalkolorit und ein spektakuläres Setting für die Jagd auf den Mörder: Ähnlich wie im Alfred-Hitchcock-Klassiker „Der Mann, der zuviel wusste“, im James-Bond-Film „Ein Quantum Trost“, in „Mission: Impossible – Rogue Nation“ oder im vorletzten Luzerner „Tatort: Die Musik stirbt zuletzt“ erreicht der Thriller bei einer großen kulturellen Veranstaltung seinen (vorzeitigen) Höhepunkt. Auch handwerklich spielt der mit reichlich Wagner-Klängen vertonte Beitrag aus Franken in der obersten „Tatort“-Liga: Die auffallend dunkel fotografierten Bilder, die schon den Nürnberger „Tatort: Ich töte niemand“ kennzeichneten und langsam aber sicher zu einem Markenzeichen der Beiträge aus Bayern reifen, verstärken die düstere Atmosphäre, während elegante Zeitraffer und stimmungsvolle Zeitlupen für visuelle Auflockerung sorgen. Und mit dem um sein ungeborenes Kind gebrachten Martin Kessler gibt es diesmal einen tragischen Bösewicht, der den Beamten ihre Grenzen aufzeigt und der seine letzte Trumpfkarte lange zurückhält. So gipfelt der „Tatort“ schließlich in einem verblüffenden Twist, den wohl nur die wenigsten Zuschauer vorhersehen dürften – was allerdings auch daran liegt, dass er nicht uneingeschränkt glaubwürdig ist.

    Fazit: Eine spannende Geschichte, eine pfiffige Schlusspointe und ganz viel Richard Wagner: „Ein Tag wie jeder andere“ ist der bisher beste „Dadord“ aus Franken.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top