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    No Sudden Move
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    No Sudden Move

    Der düstere Cousin von "Ocean’s Eleven"

    Von Oliver Kube

    Obwohl Steven Soderbergh ein enorm vielseitiger und vielseitig interessierter Regisseur ist, der seine Oscarnominierungen für so verschiedene Werke wie „Sex, Lügen und Video“, „Traffic“ und „Erin Brockovich“ eingefahren hat, liebt er doch vor allem das klassische Crime-Kino. Das hat er uns mit seiner „Ocean‘s“-Trilogie ebenso bewiesen wie mit „Out Of Sight“, „The Limey“ und dem zu Unrecht in Vergessenheit geratenen „Die Kehrseite der Medaille“. Nachdem er sich die Sache mit seinem 2012 verkündeten „Ruhestand vom Filmemachen“ recht schnell wieder anders überlegt hatte, realisierte der Mann aus Atlanta in den letzten Jahren hauptsächlich eher kleinere, teilweise sogar mit dem Smartphone gedrehte Projekte wie die Sportler-Story „High Flying Bird“, den wendungsreichen Psycho-Thriller „Unsane - Ausgeliefert“ oder die leichtherzige Kreuzfahrt-Dramödie „Let Them All Talk“.

    Zwischendrin gab es aber zumindest auch ein größeres Projekt: Die spaßige Heist-Komödie „Logan Lucky“ war 2017 bis obenhin vollgestopft mit Stars wie Channing Tatum, Adam Driver und Daniel Craig. Nun folgt mit „No Sudden Move“ ein komplex konstruierter, mit einem Schuss schwarzem Humor und beißender Gesellschaftskritik gewürzter Neo-Noir, der mit einem mindestens ebenso hochklassigen Ensemble aufwartet. Das Ergebnis spielt (fast) auf einem Niveau mit „Out Of Sight“ – und so scheint Steven Soderbergh endlich wieder voll in seinem Element angekommen zu sein…

    Zwei ungleiche Gangster, die sich für den großen Zahltag zusammenraufen müssen: Curtis (Don Cheadle) und Ronald (Benicio Del Toro)

    Das Detroit des Jahres 1954 ist das unangefochtene Zentrum der globalen Autoindustrie. Die mit persönlichen wie professionellen Problemen ringenden Kleingangster Curtis (Don Cheadle), Ronald (Benicio Del Toro) und Charley (Kieran Culkin) werden von einem Unterwelt-Mittelsmann namens Jones (Brendan Fraser) für einen angeblich simplen Job engagiert. Für ein paar Tausender sollen sie im Auftrag einer anonym bleibenden Organisation die Familie des General-Motors-Angestellten Matt Wertz (David Harbour) als Geisel nehmen, während dieser ein offenbar enorm wertvolles Dokument aus dem Safe seiner Firma entwendet und ihnen aushändigt.

    Natürlich läuft die Sache nicht so wie geplant. Das Schriftstück befindet sich nicht im Safe und so liegen schnell die Nerven blank. Als dann auch noch Blut vergossen wird, verkomplizieren der ermittelnde Detective Finney (Jon Hamm) sowie der lokale Mafia-Boss Frank Capelli (Ray Liotta) die Angelegenheit zusätzlich. Schließlich glaubt Capelli, Curtis hätte ihn betrogen und Ronald würde mit seiner Frau (Julia Fox) schlafen – beide Annahmen sind nicht ganz unbegründet. Als Curtis und Ronald über jede Menge Umwege schließlich doch noch in Besitz des begehrten Dokuments geraten, denken sie, nun die Oberhand zu haben. Das würden sie allerdings kaum, wenn sie wüssten, wer im Hintergrund tatsächlich die Fäden zieht…

    Noir-Stimmung ab der ersten Minute

    Das auf alt getrimmte Studiologo versetzt das Publikum gleich in die passende Stimmung – zumal Soderberghs Stamm-Komponist David Holmes auch noch direkt ein jazzig angehauchtes, aber auch leicht funkig groovendes Instrumental beisteuert. Curtis ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden und marschiert die Straßen der sukzessive immer heruntergekommeneren Stadt entlang und geradewegs in Richtung Ärger. Schon hier baut Soderbegh eine enorm effektiv-bedrückende Noir-Atmosphäre auf und schafft es zugleich dennoch, ein lockeres Feeling à la „Out Of Sight“ zu bewahren. Auch wird zu diesem Zeitpunkt bereits klar: Detroit und seine Position in der damaligen Welt werden eine ganz zentrale Rolle in den Geschehnissen der folgenden zwei Stunden spielen.

    Schnell werden Erinnerungen an den ebenfalls 1954 spielenden, 2019 in die Kinos gekommenen „Motherless Brooklyn“ wach. Nicht zuletzt deshalb, weil die zu dieser Zeit gnadenlos vorangetriebene Gentrifizierung der US-Städte auf Kosten vor allem des afroamerikanischen Bevölkerungsteils auch in „No Sudden Move“ mit thematisiert wird. Das erledigt Soderbergh allerdings zum Glück deutlich eleganter und weniger bedeutungsschwer als sein Kollege Edward Norton. Schließlich ist die Kleingangster-hauen-sich-gegenseitig-übers-Ohr-Story, die sich am Ende noch mal in eine völlig andere Richtung entwickelt, auch so schon komplex und wendungsreich genug.

    Auch wenn "Mad Men" in den Sechzigern und "No Sudden Move" nun in den Fünfzigern spielt – Jon Hamm hat einfach den perfekten Look für die damalige Zeit.

    Es macht einfach Spaß, den progressiv haarsträubenderen Anstrengungen der grundverschiedenen Gauner Curtis und Ronald zu folgen. Der immer brillante Don Cheadle („Avengers 3“) gibt seinen Curtis als überlegt und intelligent seine vergleichsweise bescheidenen Ziele verfolgenden, aufgrund seiner ethnischen Herkunft aber nahezu sicher zum Scheitern verurteilten Mann. Benicio Del Toro („Die üblichen Verdächtigen“) agiert als latent rassistischer, schon zum Frühstück den Flachmann rausholender Ronald hingegen deutlich sorgloser und impulsiver. Natürlich verachten und misstrauen sie einander, merken aber auch schnell, dass sie gemeinsam eine bessere Chance haben, den Tag zu überleben und vielleicht sogar das große Geld zu machen.

    Der Rest der Besetzung ist ebenfalls exquisit gecastet und liefert durch die Bank ab – egal, ob es sich um den von „Stranger Things“-Sheriff David Harbour komplett unerwartet in eine unmögliche Situation geworfenen Jedermann handelt oder um Amy Seimetz („The Killing“) als seine erst hilflose, dann ihr Schicksal und das ihrer Kinder beherzt in die Hand nehmende Gattin. „Die Mumie“-Star Brendan Fraser scheint mächtig Spaß an seiner verhältnismäßig kleinen, dabei aber herrlich zwielichtigen Rolle zu haben; ebenso wie Ray Liotta und Bill Duke („Predator“) als sein afro-amerikanisches Paten-Pendant. Und dass kaum jemand auf den ersten Blick aalglatte, aber dennoch mit inneren Dämonen kämpfende Typen besser spielen kann als Jon Hamm wissen wir spätestens seit „Mad Men“ alle.

    Schräge Kamera und großartige Kulissen

    Steven Soderbergh, der erneut unter dem Pseudonym Peter Andrews auch selbst die Kameraarbeit übernommen hat, verwendet immer wieder Fischaugen-Linsen und ungewöhnliche Winkel. Auch seine Schnitte (als Cutter agiert er unter dem Namen Mary Ann Bernard) sind teilweise gegen die üblichen Sehgewohnheiten gebürstet. So wird das Publikum ähnlich wie die Protagonisten immer wieder auf dem falschen Fuß erwischt. Was die Ausstattung angeht, bleibt „Black Panther“-Produktionsdesignerin Hannah Beachler dagegen ganz klassisch. Kostüme (allein die eierschalenfarbenen Panzerknacker-Masken der drei Geiselnehmer sind ein Knaller), Kulissen und Requisiten passen absolut auf den Punkt. Das ergibt eine wunderbar reichhaltige, glaubhaft stylische Atmosphäre, so dass man jederzeit damit rechnet, gleich Humphrey Bogart oder Edward G. Robinson persönlich ins Bild marschieren zu sehen.

    Nach dem ebenso eleganten wie komplexen Aufbau der Verstrickungen (Drehbuch von Ed Solomon, „Die Unfassbaren“) ist die finale Auflösung dann doch ein wenig ernüchternd. Sie ist nicht völlig misslungen, aber auch nicht sonderlich befriedigend, weil doch arg einfach gestrickt – gerade im Kontrast zu allem, was in den gut 90 Minuten zuvor geschehen ist. Denn mit dem Auftauchen eines in den Werbematerialien nicht genannten und im Trailer nicht gezeigten Superstars (wer sich nicht überraschen lassen will, kann oben auf unseren Link zur Besetzungsliste klicken) wirkt das Finale etwas sehr wie aus dem Hut gezaubert. Und das, obwohl die im letzten Teil angerissene Verschwörung auf wahren Begebenheiten beruht. Die hier präsentierte Gleichsetzung von organisiertem Verbrechen und kapitalistischen Großkonzernen ist sicherlich nicht ganz falsch – aber weil sie im Film erst so spät kommt, fühlt sie sich dennoch forciert an.

    Fazit: Das Ende kommt etwas plötzlich und plump daher. Aber davon abgesehen bieten uns Steven Soderbergh und sein exzellenter Cast ebenso kurzweilige wie hochwertige Thriller-Unterhaltung im wunderbar-stimmigen Fünfziger-Noir-Ambiente.

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