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    Titanic
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Titanic
    Von Andreas Staben

    „Ich bin der König der Welt": Als „Titanic" bei der Oscar-Verleihung 1998 mit elf Auszeichnungen den Uralt-Rekord von „Ben Hur" einstellte, griff Regisseur James Cameron nicht gerade bescheiden zu dem inzwischen berühmten Zitat aus seinem Über-Blockbuster. Aber zumindest was das Hollywood-Universum angeht, hatte er recht. Mit einem Einspielergebnis von weltweit über 1,8 Milliarden Dollar pulverisierte er alle Kassenrekorde und stieß in Erfolgsdimensionen vor, die als kaum erreichbar galten. Bis 2010 gelangte niemand mehr in ähnliche Sphären, ehe James Cameron sich mit „Avatar - Aufbruch nach Pandora" bekanntlich selbst übertraf. Das Science-Fiction-Abenteuer setzte vor allem technisch neue Maßstäbe und löste eine anhaltende Welle von 3D-Filmen aus. Dazu gehörte bald auch die Wiederaufführung von Erfolgsfilmen der Vergangenheit in nachträglich erstellten 3D-Versionen und mit dem 100. Jahrestag des historischen Untergangs wurde auch für „Titanic 3D" ein geeigneter Termin gefunden. Die von James Cameron persönlich überwachte sorgfältige Bearbeitung ist gut gelungen und die dritte Dimension ein willkommenes Plus, aber die wesentlichen Qualitäten des epischen Liebes- und Katastrophendramas haben sich nicht geändert: „Titanic" ist ein ebenso detailversessenes wie gefühlvolles Leinwand-Spektakel – eine Traum-Reise auf dem Schiff der Träume.

    Ein Team unter der Führung von Brock Lovett (Bill Paxton) sucht im Wrack der Titanic nach dem legendären Diamanten „Herz des Ozeans". Als man einen Tresor birgt, wähnt sich Lovett schon am Ziel, aber statt des Schmucks findet er in dem Safe die Aktzeichnung einer Schönheit, die den legendenumwobenen Edelstein um den Hals trägt. Nach einem Fernsehbericht über die Expedition meldet sich die 101-jährige Rose (Gloria Stuart) und behauptet, die Porträtierte zu sein. Die alte Dame wird auf Lovetts Schiff eingeladen, dort erzählt sie ihm und seinen Kollegen die Geschichte von ihrer Reise mit der RMS Titanic: Am 10. April 1912 sticht die damals 17-jährige Rose (Kate Winslet) mit ihrer Mutter Ruth (Frances Fisher) und ihrem Verlobten, dem schwerreichen Großindustriellen Cal Hockley (Billy Zane) zur Überfahrt von Southhampton nach New York in See. Unter den 2200 Personen an Bord ist auch der mittellose Maler Jack Dawson (Leonardo DiCaprio), der sein Dritte-Klasse-Ticket in letzter Sekunde beim Pokern gewann. Die verzweifelte Rose soll in Amerika die Zweckehe mit Cal eingehen, lebensmüde stellt sie sich an den Bug des mächtigen Schiffs und will sich in die Fluten stürzen. Jack sieht sie auf der Reling stehen und kann sie von dem Sprung ins eiskalte Wasser abhalten. Rose fühlt sich bald von dem lebensfrohen jungen Mann angezogen...

    Mit geschätzten 200 Millionen Dollar Produktionskosten galt „Titanic" als bis dahin teuerster Film aller Zeiten, die Produktion war zudem von Pannen und Verzögerungen geprägt, so dass die Studio-Verantwortlichen einen kolossalen Flop fürchteten. Als dann die Rekorde purzelten, Leonardo DiCaprio zum hysterisch verehrten Tennie-Idol aufstieg und Céline Dions Abspann-Song „My Heart Will Go On" bis zum Überdruss heruntergedudelt wurde, bemühten sich viele vergebens um eine rationale Erklärung für das Phänomen. Aber es lässt sich durchaus behaupten, dass der Mythos, der sich um die tragisch endende Jungfernfahrt des zuvor als unsinkbar geltenden Dampfers rankt, nie zuvor so lebendig wurde wie bei James Cameron. Der passionierte Taucher ließ das damals größte Passagierschiff der Welt nicht nur fast 1:1 nachbauen, sondern filmte auch das echte Wrack der „Titanic" in seinem Tiefseegrab. Diese besonders eindrucksvollen Aufnahmen, die der Erzählung als Gegenwartsklammer dienen, geben dem Film eine zusätzliche thematische und emotionale Dimension. Wenn die Tauchroboter in das Innere des Schiffs vordringen, dann werden die Überreste der Einrichtung zu den Zeugen einer buchstäblich versunkenen Vergangenheit, die Cameron mit einigen kunstvollen Überblendungen für uns ganz unmittelbar Gegenwart werden lässt.

    Die Reise auf der „Titanic" macht James Cameron zu einem sinnlichen Vergnügen, das durch den Verzicht auf rein abbildenden Realismus noch gesteigert wird. Er zeigt uns in stolzen Kameraflügen das ganze Schiff, lässt uns im Luxus der Ersten Klasse schwelgen und im Glanz der nagelneuen Maschinerie. Das Bewusstsein des kommenden Untergangs verleiht diesen Aufnahmen einen bittersüßen Beigeschmack und wenn Cameron die ganze Pracht am Ende genauso minutiös wieder zerstört, dann ist das mit ebenso zwiespältigen Gefühlen verbunden: Einerseits wird hier ganz klar von der Hybris des Menschen erzählt, von falschem Ehrgeiz, blindem Glauben an technischen Fortschritt und von Profitgier, andererseits spricht die Bewunderung für die gezeigten Errungenschaften und die fatale Faszination für das furcht- und manchmal ruchlose Überschreiten von Grenzen aus fast jeder Einstellung - da sind sich „Avatar" und „Titanic" ganz ähnlich. Aber James Cameron gelingt es, diese Widersprüche für drei Kinostunden zu versöhnen, indem er seiner Erzählung die Überzeugungskraft eines Traums verleiht. Durch die 3D-Bearbeitung bekommt sein Film (besonders in den Aufnahmen vom Wrack und beim Untergangsspektakel) dabei recht unaufdringlich eine größere plastische Wirkung, wodurch das Geschehen uns gewissermaßen noch näher kommt.

    Schon in „Aliens - Die Rückkehr" und „The Abyss", später ebenso in „Avatar", zeigte sich, dass Camerons Bildsprache oft eloquenter ist als seine Dialoge. Das gilt auch für „Titanic". Wenn Jack ganz vorne am Bug des Schiffes steht und sich mit ausgestreckten Armen zum König der Welt ausruft, überträgt Cameron den emotionalen Taumel durch eine triumphale Kamerafahrt auf den Zuschauer- ganz ähnlich ist es beim ersten Kuss von Jack und Rose. Es ist kein Zufall, dass die Himmels- und Meereshintergründe genauso künstlich wirken wie sie sind – sie sind die Kulissen für einen naiven Traum von der Liebe und von der Freiheit. Wer etwa das Porträt der Klassengegensätze an Bord als ernsthaften Versuch der Geschichtsschreibung über das Jahr 1912 begreifen will, der kann nur zu einem negativen Urteil kommen. Dafür sind die Konflikte viel zu schematisch und äußerlich angelegt, allein der fast schon psychopathisch daherkommende Bösewicht Cal, den Billy Zane („Todesstille") gerade eben vor der Karikatur bewahrt, beweist, dass es im Prinzip nicht um ein akkurates Gesellschaftsbild gehen kann. Der arrogante Reiche ist hier vielmehr die dramaturgisch zugespitzte Personifizierung der äußeren Widerstände für die große Liebe von Jack und Rose. Wenn er zu ihr sagt „Ich sehe dich" (auch das Motiv wird in „Avatar" wiederaufgegriffen) und wenn er sie in einer überaus keuschen Szene nackt zeichnet, dann öffnet sein liebender Blick ihre Augen und sie kann sich selbst erkennen.

    Mit der Überblendung von den Augen der jungen Rose zu denen der über Hundertjährigen schließt Cameron einen Kreis, dann wird aus „Titanic" auf ebenso einfache wie sinnfällige Weise ein Film über Erinnerung und Emanzipation, über Wunscherfüllung und Wehmut. Jack hat Rose befreit, sie hat das Leben geführt, das sie sich erträumt hatte, aber sein Opfer war dafür die Voraussetzung – auch die melodramatische Zuspitzung der Liebesgeschichte entfaltet durch die Gegenwartsebene erst ihre wahre Bedeutung und ihre ganze Wirkung. Deshalb ist es nur angemessen, dass Leonardo DiCaprio und Kate Winslet meist (etwa bei der improvisierten Spuck-Szene) wie Kids aus unserer Zeit wirken, die man in Kostüme gesteckt hat. Es ist den jungen Darstellern zu verdanken, dass die großen Emotionen tatsächlich verfangen, vor allem Winslet wirkt dabei so natürlich wie es nur ganz große Schauspieler beherrschen. Obwohl die äußere Ähnlichkeit fehlt, erscheint Gloria Stuarts („Der Unsichtbare") alte Rose auch durch Camerons clevere Verknüpfungen tatsächlich als die gleiche Person. Das erzählerische Geschick des Regisseurs offenbart sich aber vielleicht noch mehr in den scheinbaren Kleinigkeiten wie den kurzen Szenen und Einstellungen von den Blicken der Matrosen im Ausguck, von den Offizieren bei der Beladung der Rettungsboote, vom Reedereichef, der verschämt sein eigenes Leben rettet oder von den Musikern, die gegen die Katastrophe anspielen, in denen eine erstaunliche Ausdrucksstärke liegt.

    Fazit: Als „Titanic" 1997 erstmals in die Kinos kam, war er ein wahres Phänomen. Aus einigem zeitlichen Abstand betrachtet ist der Hype nur noch eine kuriose Erinnerung, aber der Zauber des Films ist weiter lebendig: Die akkurate Ausstattung, die spektakulären Spezialeffekte, die mitreißende Musik und die leidenschaftliche Liebesgeschichte verfehlen ihre Wirkung auch heute und in 3D nicht.

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