Mein Konto
    Leaves of Grass
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Leaves of Grass
    Von Jan Hamm

    Edward Norton - das ist ein Name, dessen Wohlklang längst verhallt ist. Sein Parforceritt in David Finchers grandioser Männlichkeitsstudie „Fight Club" bleibt unvergesslich. Gleichwohl, das ist bereits ein Jahrzehnt her. Es mag Pech gewesen sein, dass sein „Illusionist" vom ästhetisch verwandten „Prestige" verdrängt wurde. Und es mag durchaus an der Totenmaske König Baldwins gelegen haben, dass die exzellente Nebendarstellerriege im „Königreich der Himmel" geschlossen an Norton vorbeiziehen konnte. Dass er nun aber wenig diplomatisch aus dem Comic-Epos „The Avengers" entfernt wurde, obwohl seine „Hulk"-Interpretation bereits in die Kontinuität des Marvel-Universums eingebunden war, kann nur einen Grund haben: Norton gilt als verzichtbar. Blödsinn, meint Tim Blake Nelson – und besetzt den taumelnden Star in der Tragikomödie „Leaves Of Grass" als Zwillingspaar gleich doppelt. Tatsächlich ist es ein Vergnügen, Norton gegen sein Spiegelbild anspielen zu sehen. Ein Comeback wird er mit „Leaves Of Grass" allerdings nicht feiern. Dafür ist Nelsons aufdringlich parabelhafte Erzählung zu konstruiert und der Humor zu dilettantisch von den Coen-Brüdern („No Country For Old Men") abgekupfert.

    Verehrt von Studentinnen, umworben von Kollegen – Philosophie-Professor Bill Kincaid (Edward Norton) blickt einer rosigen Zukunft entgegen. Als ihn jedoch Kunde vom gewaltsamen Tod seines Zwillingsbruders Brady (Edward Norton) erreicht, kehrt er widerwillig in die heimische Provinz zurück - nur um seinen Doppelgänger putzmunter inmitten einer gewaltigen Marihuana-Plantage vorzufinden. Es dauert nicht lange, bis ganz und gar pragmatische Motive hinter dessen Aussöhnungscoup zum Vorschein kommen: Während Brady und Kumpel Bolger (Tim Blake Nelson) ihre krummen Geschäfte mit dem jüdischen Drogenbaron Pug Rothbaum (Richard Dreyfuss) ins Lot bringen, soll der zum verwechseln ähnliche Bill am Krankenbett seiner Mutter (Susan Sarandon) ausharren und seinem Bruder ein bequemes Alibi liefern. Klingt einfach, ist es aber nicht. Denn Rothbaum ist längst nicht mehr bereit, seinen Schuldner ein weiteres Mal davonkommen zu lassen...

    „Leaves Of Grass" ist ein Paradebeispiel dafür, wie leicht eine clevere Prämisse gegen die Wand zu fahren ist. Bill und Brady sind mehr als Zwillingsbrüder - sie repräsentieren zwei Varianten einer Biographie. Wie oberflächlich das Verhältnis zwischen lustfeindlicher Professoren-Disziplin und libidinöser Kiffer-Achtlosigkeit dann jedoch ausgespielt wird, ist schlichtweg ärgerlich. Während Bill Schnellexkurse von Sokrates bis Nietzsche runterleiert, verhaspelt Brady sich bereits dabei, Heidegger korrekt beim Namen zu nennen. Da der weiße Punkt im Schwarz des Norton-Yin-Yang nicht fehlen darf, bekommt der verpeilte Hinterwäldler kurzerhand den höheren IQ-Wert angedichtet – Chapeau! Pflichtbewusst werden die albern überspitzten Extreme gebrochen: Bill zweifelt an seiner strikt intellektuellen Perspektive, Brady entdeckt die Faszination des Denkens.

    Und da ist es auch schon, das retardierende Moment! Professor Norton will Land gewinnen, wieder einmal alle Brücken abbrechen, Susan Sarandon blinzelt eine Träne weg - eine substantielle Konfrontation bleibt aus. Dabei ist Bills Geschichte keineswegs uninteressant. Die Flucht vor der regel- und haltlosen Hippie-Kindheit ins strukturierte Spießertum ist ja längst mit Charme und Gefühl auserzählt worden, etwa durch Christian Bale in „Laurel Canyon" oder Kiefer Sutherland in „Flashback". Doch Nelson fehlt der Fokus, das dramatische Potential bleibt ungenutzt. Dafür ist er zu sehr mit einem anderen Bruderpaar beschäftigt – mit den Coens, unter deren Regie er in „O Brother, Where Art Thou?" an der Seite George Clooneys spielte.

    Rothbaum und seine Gemeinde stehen für die Behauptung einer jüdischen Befindlichkeit, die der filigranen Milieuzeichnung eines „A Serious Man" geradeaus widerspricht. Richard Dreyfuss' schleimiger Corleone-Verschnitt nervt mit deplatzierten Ausschweifungen zum jüdischen Opferdiskurs, bis sich das Knistern zwischen den Parteien erwartungsgemäß in abrupter Gewalt à la Joel und Ethan Coen entlädt. Mit Gemeindemitglied und Hysteriker-Zerrbild Ken Feinman (Josh Pais) ist der Bogen dann endgültig überspannt. Hier werden nicht nur Fans von Woody Allen verständnislos den Kopf schütteln. Dass Norton zwischen all den Knallchargen noch Würde wahren kann, verdient größte Hochachtung. Ohne sein Engagement würde „Leaves Of Grass" spätestens mit Bills forciertem Versöhnungsplädoyer implodieren: „Willst nicht auch du die Welt reparieren?" Sicher doch! Warum nicht gleich mit deiner Karriere anfangen?

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top