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    "Ohne Guillermo del Toro hätte ich den Film nicht gemacht": Interview mit Scott Cooper über seinen Hirsch-Horror "Antlers"
    Christoph Petersen
    Christoph Petersen
    -Chefredakteur
    Seitdem er nach „Scream“ eine Woche lang nicht schlafen konnte, jagt er diesem Gefühl hinterher – und schaut deshalb so gut wie jeden Horrorfilm.

    Wir sprechen mit Scott Cooper, dessen erste Regiearbeit „Crazy Heart“ direkt mit zwei Oscars ausgezeichnet wurde, über seinen ersten und verdammt niederschmetternden Horrorfilm „Antlers“, der seit dieser Woche in den deutschen Kinos läuft.

    Disney und seine verbundenen Unternehmen.

    Crazy Heart“, „Auge um Auge“, „Black Mass“ und „Feinde – Hostiles“: Der ehemalige Schauspieler Scott Cooper ist als Regisseur vor allem für betont ernsthafte, oft schmerzhaft ehrliche Filme bekannt. Da klang es im ersten Moment schon ziemlich verrückt, dass ausgerechnet er einen Horrorfilm über das hirschartige Monster Windigo aus der Mythologie der Amerikanischen Ureinwohner drehen will.

    Aber Pustekuchen! „Antlers“ passt sich perfekt in die bisherige Filmographie des Regisseurs ein. Ein verdammt düsterer Horrorfilm, der sein Publikum erschreckt und ein ganze Reihe von Gore-Effekten auffährt, der aber auch in einer desolaten, düsteren Kleinstadt spielt, wo nach der Schließung der örtlichen Mine alles vor die Hunde geht. Wir sprechen mit Scott Cooper über seinen düsteren, rauen Film, der mitten in der Produktion ausgerechnet von Walt Disney übernommen wurde…

    FILMSTARTS: Wegen Corona kam es zu mehreren Startterminverschiebungen. Wie fühlt es sich an, „Antlers“ drei Jahre nach dem Abschluss der Dreharbeiten endlich in die Kinos bringen zu können?

    Scott Cooper: Es fühlt sich wirklich großartig an. Ich bin sehr dankbar, dass Disney und Searchlight gewartet haben, um den Film zunächst einmal ausschließlich in den Kinos zu veröffentlichen. Gerade Horror funktioniert am besten, wenn man ihn mit einer möglichst großen Gruppe gemeinsam erlebt – und ich bin bereit, dieses Monster jetzt endlich auf das Publikum loszulassen…

    FILMSTARTS: Mittendrin hat Disney den Konkurrenten Fox aufgekauft – und so hast du diesen extrem düsteren, emotional niederschmetternden Horrorfilm plötzlich für das Studio hinter Filmen wie „Die Eiskönigin“ gedreht. Wie hat sich das angefühlt?

    Scott Cooper: Das ist das Tolle an Disney. Sie sind sehr offen, jede Art von Genrefilm zu unterstützen. Alan Horn und Alan Bergman, die damals das Filmgeschäft von Disney geführt haben, riefen mich an und versicherten mir, dass sie den Film lieben und hinter ihm stehen, bis er in die Kinos kommt. Sie haben Wort gehalten.

    FILMSTARTS: … und wie war die ganze Unsicherheit während der Corona-Pandemie für dich als Filmemacher?

    Scott Cooper: Erst waren es sechs Wochen, dann ein paar Monate – wir haben immer weiter gewartet, aber die Kinos blieben geschlossen. Jetzt bin ich aber einfach nur dankbar, dass die Menschen zurückkommen, dass sie sich „Dune“ oder „Keine Zeit zu sterben“ von meinen Kumpels Denis Villeneuve und Cary Joji Fukunaga ansehen. Alle, die gesagt haben, das Kino sei tot, lagen komplett daneben.

    FILMSTARTS: Man hat eh das Gefühl, dass in der sonst so konkurrenzgetriebenen Filmbranche gerade jeder jedem die Daumen drückt, weil es erst mal vor allem darum geht, die Menschen zurück in die Kinos zu bekommen…

    Scott Cooper: Ich habe schon immer allen Filmen die Daumen gedrückt, egal ob von einem Freund oder nicht. Je besser Filme laufen, desto besser sind meine Chancen, die Filme zu machen, die ich gerne machen will. Und ich mache Filme, die das Publikum nicht vom Haken lassen – und bei solchen Filmen ist es schwerer, sie überhaupt finanziert zu bekommen. Zum Glück gibt es noch immer viele Leute in der Filmindustrie, die Filmemacher wie mich unterstützen, herausforderndes Kino zu machen.

    Disney und seine verbundenen Unternehmen.

    FILMSTARTS: Aber in den vergangenen drei Jahren sind ja auch nicht nur schlimme Dinge passiert. Zum Beispiel ist dein Stammschauspieler Jesse Plemons aktuell auf dem besten Weg, zum veritablen Hollywood-Superstar aufzusteigen – dabei hatte man bei ihm ehrlicherweise gedacht, dass er eher einer dieser grandiosen Charakterdarsteller aus der zweiten Reihe bleiben würde …

    Scott Cooper: … also für mich kommt das überhaupt nicht überraschend! Er ist nicht nur ein sehr guter Freund, für den ich wie schon in „Black Mass“ und „Hostiles“ auch die Rolle in „Antlers“ wieder speziell für ihn geschrieben habe, er ist auch einer der besten Schauspieler seiner Generation – wenn nicht sogar der beste. Leute erkennen sich leicht in Jesse wieder. Er sieht wie ein normaler Mensch aus, in dieser Hinsicht erinnert er mich an jemanden wie Gene HackmanRobert De Niro oder Robert Duvall, also großartige Charakterdarsteller, die zugleich aber auch Stars in Hauptrollen waren.

    FILMSTARTS: „Antlers“ ist wie schon „Auge um Auge“ in einer vergessenen Kleinstadt angesiedelt. Was kam zuerst: Der Wunsch, noch einmal etwas über dieses Milieu zu erzählen – oder die Idee, auch mal einen Horrorfilm anzupacken?

    Scott Cooper: Ich habe „Antlers“ in dieser Region von Oregon angesiedelt, weil sie etwas Finsteres und Mysteriöses ausstrahlt. Zugleich interessiere ich mich aber eben auch besonders für solche abgehängten Orte, in denen das ganze Leben einst um eine bestimmte Industrie herum organisiert wurde – und sich dann alles schlagartig verändert hat, sobald die Fabrik oder die Mine geschlossen wurde. Dieses Ausschlachten des industriellen Rückgrats hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch kulturelle Folgen – und führt zu einer Art spirituellen Verzweiflung. Ich glaube auch, dass sich weltweit mehr Menschen damit identifizieren können, als wenn ich einen Film in New York, London oder Paris drehe.

    Disney und seine verbundenen Unternehmen.

    FILMSTARTS: Wenn man deinen jungen Hauptdarsteller Jeremy T. Thomas das erste Mal auf der Leinwand sieht, hat man sofort ein Bild davon im Kopf, wie schlimm die bisherige Kindheit des 12-jährigen Lucas wohl gewesen sein muss. Wie schwer war es, jemanden zu finden, der all das ausstrahlen kann, der im selben Moment aber eben auch ein gesunder, aufgeweckter Junge ist, den man eine große Rolle in einem Hollywoodfilm anvertrauen kann?

    Scott Cooper: Ich habe die ganze Welt nach Jeremy abgesucht. Mehr als 900 Jungen haben wir uns angesehen, bevor ich ihn gefunden habe. Ich wollte jemanden, der Trauma und Empathie projizieren kann, der aber kein ausgebildeter Schauspieler ist. Ich wollte niemanden, der auf Kommando lachen oder weinen kann, dessen Eltern ihm Schauspielunterricht geben. Ich wollte einen echten Jungen, der noch nie eine Filmkamera gesehen hat. Seine Performance ist das Herz und die Seele des Films.

    FILMSTARTS: Sein Schicksal und seine Überforderung waren für mich der wahre Horror des Films. Aber es gibt natürlich auch klassischen Grusel in „Antlers“. Es ist ja oft etwas sehr mechanisches, ein Publikum zu erschrecken – musstest du das als Genre-Neuling tatsächlich erst mal lernen oder hast du dich da einfach an dein Bauchgefühl gehalten?

    Scott Cooper: Ich verlasse mich da schon auf mein Bauchgefühl. Es gibt zwar ein paar Jump Scares in meinem Film, aber ich versuche, solche Dinge auf ein Minimum zu reduzieren. Außerdem wollte ich, ganz so wie Ridley Scott damals bei „Alien“, so lange wir möglich damit warten, die Kreatur zu zeigen, denn so übernimmt das Vorstellungsvermögen des Publikums eh die meiste Arbeit. Die für mich besten Horrorfilme halten den Ängsten und Sorgen der amerikanischen Gesellschaft einen dunklen Spiegel vor – und hier geht es um einen Jungen, der viel zu jung ist für die Verantwortung, die er hier schultern muss. Ich denke, das ist am Ende tatsächlich viel furchteinflößender als eine Kreatur je sein könnte.

    FILMSTARTS: Du wartest zwar mit der Offenbarung des Wendigo sehr lange – zeigst dem Publikum aber bis dahin schon sehr ausführlich und sehr detailreich die übel zugerichteten Opfer. War da dein übereifriger Produktionsdesigner am Werk – oder wolltest du das exakt so haben?

    Scott Cooper: In keinem meiner Filme geschieht etwas auf der Leinwand, das ich dort nicht genau so haben wollte. Ich hasse Gewalt – und deshalb stelle ich die Folgen in meinen Filmen so grausam und schmerzhaft wie nur irgendwie möglich da, um sie in der realen Welt zu vermeiden. In einem Horrorfilm mit einem Wendigo kann man es aber meiner Meinung nach auch gar nicht anders machen, als auf den maximalen Terror abzuzielen.

    Disney und seine verbundenen Unternehmen.

    FILMSTARTS: Die Idee eines Hirsch-Monsters klingt erst mal ziemlich trashig. Aber der Wendigo in „Antlers“ ist alles andere als trashig, sondern tatsächlich ziemlich glaubhaft und furchteinflößend. Wie viele Anläufe habt ihr benötigt, um das Design so hinzubekommen?

    Scott Cooper: Das ist der Grund, warum ich den Film nicht ohne die Beteiligung von Guillermo del Toro gemacht hätte. Er ist der beste Monster-Designer, den wir gerade haben. Außerdem haben wir Grace Dillon als Beraterin geholt. Sie ist die bekannteste Expertin für den Wendigo, eine Professorin an der Portland State University. Sie hat mich nicht nur beim Schreiben des Skripts und beim Design der Kreatur beraten, sie kam auch ans Set – denn ich wollte dem Mythos den größtmöglichen Respekt erweisen. Es war klar, dass er ein Geweih und gewisse Ähnlichkeiten zu einem Hirsch haben würde – aber wir wollten, dass unsere Kreatur aussieht, als stamme sie direkt aus der Erdkruste, als ob sie aus einer Mine und der Zerstörung der natürlichen Ressourcen heraus geboren wurde.

    „Antlers“ läuft seit dem 28. Oktober 2021 in den deutschen Kinos.

    Antlers
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