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    "Für Wikinger waren Drachen so real wie Steine": Wir sprechen mit Robert Eggers über sein Rache-Epos "The Northman"!
    Christoph Petersen
    Christoph Petersen
    -Chefredakteur
    Hat im letzten Jahr mehr als 900 Filme gesehen - und jede Minute davon genossen, selbst wenn der Film gerade nicht so gut war.

    Robert Eggers ist bekannt dafür, bei seinen historischen Genre-Filmen wie „The Witch“, „Der Leuchtturm“ und nun „The Northman“ keine Kompromisse einzugehen. Außerdem nimmt er im Interview kein Blatt vor den Mund. Eine vielversprechende Kombination…

    Universal Pictures Germany

    Ich schätze Robert Eggers schon deshalb sehr, weil er beim Streben nach historischer Präzision keine faulen Kompromisse eingeht – und sich seine Filme deshalb immer ganz besonders anfühlen, selbst wenn man sich selbst in dem Themenfeld gar nicht gut genug auskennt, um jedes kleine akkurate Detail in der Ausstattung oder den Kostümen wirklich wertschätzen zu können. Mit seinen Indie-Hits „The Witch“ und „Der Leuchtturm“ hat er das Publikum mit seinem radikalen Stil gnadenlos gespalten – aber gerade das macht ihn als Künstler ja so aufregend.

    Trotzdem waren viele (inklusive mir) ganz schön erstaunt, als Eggers für sein brachiales, stargespicktes Wikinger-Rache-Epos „The Northman“ (ab sofort im Kino) plötzlich ein Blockbuster-Budget zur Verfügung gestellt bekommen hat…

    FILMSTARTS: Wo du jetzt gerade mittendrin steckst: Wie anders fühlt es sich im Vergleich mit „The Witch“ und „Der Leuchtturm“ an, einen Blockbuster dieser Größenordnung zu promoten?

    Robert Eggers: Noch ist es gar nicht so anders, aber wir haben ja auch gerade erst angefangen. Es fühlt sich allerdings schon seltsam an, wenn mir Freunde Fotos aus London schicken, wo Doppeldeckerbusse mit dem Plakat von „The Northman“ herumfahren. Näher zum Kinostart wird es dann aber sich noch mehr Marketing-Zirkus geben…

    FILMSTARTS: Ich schätze an deinen Filmen besonders das Zusammenspiel vom Historischen und Mythologischen, denn es scheint da für dich gar keine Trennung zu geben. Alle die Elemente stehen gleichberechtigt nebeneinander und wirken auch ohne weitere Erklärungen wie aus einem Guss. Entspricht das auch deinem persönlichen Blick auf Geschichte?

    Robert Eggers: Es entspricht vor allem dem, was die damals lebenden Menschen über die Dinge gedacht haben. Die isländischen Sagen wurden ja erst nach der Wikingerzeit im Mittelalter aufgeschrieben – und die Archäologen und Historiker streiten bis heute darüber, wie man sie interpretieren müsste, um tatsächlich etwas über das alltägliche Leben der Wikinger zu erfahren.

    Ein Argument lautet dabei: Wie können wir diesen Sagen trauen, wenn darin plötzlich Drachen und andere übernatürliche Wesen auftauchen? Das kann doch keine Repräsentation von Geschichte sein. Meine Antwort dazu lautet: Weil sie es geglaubt haben! Für die Wikinger war ein Drache eben genauso real wie ein Stein…

    Ein historischer Film braucht keine moderne Moral

    FILMSTARTS: Du lässt sich aber nicht nur auf die mythologische, sondern auch die moralische Weltsicht der Wikinger voll ein. Noch recht zu Beginn von „The Northman“ erleben wir mit, wie der Protagonist beim Überfall auf ein osteuropäisches Dorf an aus heutiger Sicht unverzeihlichen Grausamkeiten beteiligt ist. Trotzdem bleibt er auch danach der tragische Held der Geschichte…

    Robert Eggers: Ich hoffe, dass das Publikum beides kann. Es geht schon darum, in seinen Kopf hineinzukrabbeln und die Geschehnisse aus seiner Perspektive wahrzunehmen – nur heißt das nicht, dass man dann auch dasselbe wie er darüber fühlen muss. Für mich persönlich ist vieles sogar ziemlich grauenerregend. Aber ich mag keine historischen Filme, die dem Geschehen eine moderne Moral überstülpen, denn so wäscht man die Geschichte nur rein und verhindert im selben Moment, aus ihr zu lernen. Man sollte die Vergangenheit zunächst so ehrlich wie möglich repräsentieren, ohne direkt über sie zu urteilen. Gerade der Horror der Gewalt ist ja heute noch genauso real wie im Zeitalter der Wikinger.

    FILMSTARTS: Trotzdem kann man Geschichte ja nicht zu 100 Prozent akkurat abbilden. An welchen Stellen bist du bereit, von historischen Fakten abzuweichen, weil es besser in den Film passt?

    Robert Eggers: Ich weiche nie ab. (zögert) Ich weiche zumindest nur bei sehr kleinen Details ab. Zum Beispiel sind die Fenster in den Häusern in „The Witch“ ein klein wenig größer, als sie damals tatsächlich gewesen wären – so ist mehr Licht zum Drehen reingekommen. Aber sie waren trotzdem im richtigen Stil gefertigt. Aber es gibt natürlich trotzdem Erfindungen, um die Lücken zu füllen.

    Wenn man einen absolut akkuraten Wikinger-Film machen wollte, müsste es ein Film in der reduzierten Größenordnung von „The Witch“ sein, einfach weil es gar nicht so viele historische Funde gibt. Zum Beispiel ist die Zahl gefundener Helme unglaublich gering. Dann muss man seine Vorstellungskraft benutzen, um basierend auf anderen Helmen aus der Zeit rund um die Wikinger-Ära neue Designs zu kreieren, weil es genauso falsch wäre, wenn im Film alle Kämpfer genau dieselben fünf Helme tragen würden, weil nun mal nur diese irgendwo ausgegraben wurden.

    Der Wikinger-Hype machte "The Northman" möglich

    FILMSTARTS: Es kommt alle paar Jahre mal vor, dass ein in cinephilen Kreisen gefeierter, aber eben auch sehr eigenwilliger Regisseur plötzlich ein Blockbuster-Budget zur Verfügung gestellt bekommt. Da freut man sich dann immer, weil zumindest sicher ist, dass man garantiert nicht den üblichen Einheitsbrei vorgesetzt bekommen wird. Auf der anderen Seite fragt man sich aber auch, wie sowas im oft auf Nummer sicher gehenden Hollywood zustande kommt. Wie war das bei „The Northman“?

    Robert Eggers: Ich habe den Film gemeinsam mit Sjón geschrieben und mit Alexander Skarsgård und Lars Knudsen entwickelt – und zwar im Stillen aus einer gemeinsamen Passion für das Projekt. Wir hatten dann einen guten Entwurf kurz bevor „Der Leuchtturm“ seine Premiere in Cannes gefeiert hat. Meine Partner Focus und Regency waren sehr zufrieden mit dem Film und dann kam er auch beim Festival ziemlich gut an …

    FILMSTARTS: … das kann ich nur bestätigen, ich saß damals bei der Premiere auch im Publikum und der Film hat viele wirklich weggeblasen.

    Robert Eggers: Oh, super. Auf jeden Fall wurde ich dann gefragt, was ich als nächstes machen will. Meine Antwort: Ich will einen Wikinger-Film drehen – und es soll der unterhaltsamste, finanziell vielversprechendste Robert-Eggers-Film werden, den man sich nur vorstellen kann. Zum Glück gab es da gerade diesen Hype um gewisse Serien und Videospiele, weshalb die Marketing-Menschen zugestimmt haben, dass man mit einem solchen Film tatsächlich Geld verdienen könnte. (lacht) Also haben sie „The Northman“ finanziert…

    FILMSTARTS: Ist der Job für dich als Regisseur damit erledigt, eine Fassung abzugeben, mit der du, die Produzent*innen und das Studio zufrieden ist. Oder fühlst du dich auch selbst für das verantwortlich, was die nächsten paar Wochen an den Kinokassen geschehen wird?

    Robert Eggers: Nein, ich bin verängstigt, total verängstigt. Die Journalisten, mit denen ich bisher gesprochen habe, waren alle sehr unterstützend in Bezug auf den Film – da ist man natürlich dankbar. Ich schätze mich auch glücklich, dass die Leute verstehen, was meine Absichten mit dem Film waren. Aber wenn der Film jetzt kein Geld einspielt, dann ist das ein Problem. Auch ein Problem für meine Karriere. Es heißt nicht, dass ich nie wieder Filme machen könnte, aber es wäre definitiv ein Problem.

    Kein Final Cut, aber eine Studio-Intervention, die geholfen hat

    FILMSTARTS: Vor einigen Monaten hast du während der Schnittarbeiten an „The Northman“, als das Studio seine Änderungswünsche kommuniziert hat, aber noch gesagt, dass du nicht noch mal einen Film dieser Größenordnung machen möchtest. Hat sich an dieser Einstellung mit ein wenig Abstand inzwischen etwas geändert?

    Robert Eggers: Der Grund, warum ich es nicht noch mal machen würde, war, dass ich bei „The Northman“ keinen Final Cut (Anm.d.Red: das Recht, auch gegen die Wünsche des Studios über die finale Schnittfassung zu bestimmen) hatte. Aber um das auch noch mal zu sagen: Die Intervention des Studios hat aus „The Northman“ erst den Film gemacht, den ich sowieso von Beginn an drehen wollte – nämlich den unterhaltsamsten Robert-Eggers-Film, den ich machen kann.

    Ich bin stolz auf den Film, ich bin stolz und dankbar für die Erfahrung. Aber ich habe auch sehr viel mehr Falten und graue Haare, und das nicht nur, weil ich zwei Jahre älter geworden bin. Ich werde deshalb keinen weiteren so großen Film machen, bis ich in meiner Karriere an einem Punkt angelangt bin, an dem ich mehr Kontrolle habe. Als Nächstes kommt erst mal wieder ein kleinerer Film und das wird bestimmt ein großer Spaß.

    FILMSTARTS: Wie viel länger war denn die ursprüngliche Robert-Eggers-Fassung von „The Northman“?

    Robert Eggers: Nur etwa 15 Minuten länger. Aber der Film ist wirklich besser, so wie er jetzt ist – ich kann das anerkennen und akzeptieren.

    FILMSTARTS: Für mich gibt es eigentlich auch nur eine Sache, von der ich unbedingt gern noch mehr gesehen hätte – nämlich von Willem Dafoe als Hofnarr mit seinem riesigen Holzpenis …

    Robert Eggers: … und auf der Blu-ray wirst du mehr von Willem Dafoe und seinem Phallus bekommen.

    Universal Pictures Germany

    FILMSTARTS: „The Northman“ ist voller Hollywoodstars. Wir kennen die Geschichte von Willem Dafoe, der vor „Der Leuchtturm“ auf dich zugekommen ist, um mit dir zu arbeiten. Wie war das bei den anderen?

    Robert Eggers: Alexander Skarsgård ist zu mir gekommen und das ist, wie der Film überhaupt zustande gekommen ist. Die Idee eines Wikingerfilms hatte zwar schon mal ein wenig in meinem Kopf herumgespukt, aber dann kam Alex und sagte, er will mit mir genau so einen Film machen. Wir beide mochten dann die Idee von Nicole Kidman als Königin Gudrún – also habe ich ihr das Skript geschickt, bin nach Nashville geflogen und sie hat die Rolle in 90 Sekunden angenommen.

    So kam es zum Schauspiel-Comeback von Björk

    FILMSTARTS: Und wie war das bei Björk? Sie hat ja seit ihren schlechten Erfahrungen bei „Dancer In The Dark“ seit mehr als zwei Jahrzehnten keinen Film mehr gedreht…

    Robert Eggers: Sie und Sjón kennen sich schon seit sie Teenager sind. Außerdem ist unser Komponist Robin Carolan ein guter Freund von ihr und so haben auch meine Frau und ich uns über die Jahre mit ihr angefreundet. Wir kannten uns also alle und so fühlte sie sich viel mehr in einem familiären Umfeld – ganz im Gegensatz zum letzten Film, in dem sie mitgespielt hat.

    FILMSTARTS: Gerade wo wir hier in Deutschland miteinander sprechen, muss ich dich das natürlich fragen: Im vergangenen Jahr wurde der Dreh zu deinem „Nosferatu“ nur wenige Tage vor dem geplanten Beginn wegen der Terminschwierigkeiten deines Hauptdarstellers abgesagt. Wie sieht’s da inzwischen aus?

    Robert Eggers: Natürlich musst du das fragen. Aber ich weiß auch nicht, was die Zukunft für „Nosferatu“ bringen wird. Ich will nur, dass jeder weiß, dass Harry Styles NICHT Graf Orlok gespielt hätte…

    „The Northman“ läuft aktuell in den deutschen Kinos.

    The Northman
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