Eine warmherzige Komödie über schwule BDSM-Biker
Von Patrick FeyColin (Harry Melling), in „Harry Potter“ noch der verhasste Cousin Dudley Dursley und nun der Protagonist der BDSM-Komödie „Pillion“, ist das exakte Gegenteil eines harten Bikers: Selbst jenseits der 30 wohnt er noch bei seinen sich warmherzig um ihn kümmernden Eltern – und während er in seinem Job als männliche Politesse den ganzen lieben langen Tag verflucht wird, tritt er abends gerne mit seinem Barbershop-Quartett in den örtlichen Pubs des Londoner Vororts Bromley auf. Aber dann trifft er bei einem seiner Auftritte auf den überirdisch attraktiven Biker Ray (Alexander Skarsgård), der den im Vergleich etwas kleingewachsenen und sehr schmächtigen Colin NATÜRLICH keines Blickes würdigt – erst recht nicht in seinem komischen Sänger-Outfit.
Oder so glaubt zumindest Colin. Denn beim Herausgehen lässt Ray tatsächlich eine Karte mit einer Telefonnummer zurück. Allerdings gibt es da einen Haken: Ray ist Teil einer BDSM-praktizierenden Biker-Gang – und so sucht er weniger nach einem Partner auf Augenhöhe (da würde ja Colin eh nicht heranreichen), sondern einen devoten Sklaven, der froh sein darf, am Fußende seines Bettes auf dem Teppich schlafen zu dürfen. Bei diesem mit Deepthroat-Blowjobs und Butt-Plugs angereicherten Plot würde man jetzt wohl so ziemlich alles erwartet, aber wohl eher keine warmherzige Crowdpleaser-Komödie – aber genau so eine liefert uns Harry Lighton mit seinem teils urkomischen Regiedebüt!
Dass sich die Verfilmung dabei nicht ganz so eng an die Vorlage hält, wird schon dadurch deutlich, dass sie nicht „Box Hill“ heißt wie der hochgelobte Roman von Adam Mars-Jones, sondern eben „Pillion“. Der neue Titel ist ein Wortspiel: So bedeutet „Pillion“ im Biker-Kontext ganz einfach „Beifahrersitz“. Aber zugleich steht das Wort in der BDSM-Szene für den devoten Part in einer Beziehung. Und mit dieser doppelten Bedeutung macht nun auch Colin Bekanntschaft: Für ihn ist es schlicht himmlisch, wenn er auf Rays Beifahrersitz Platz nehmen darf. Zugleich besteht Ray aber auch ganz selbstverständlich und ohne vorherige konkrete Absprache darauf, dass Colin ihm alle Wünsche zu erfüllen hat – Kochen, Waschen und Putzen inklusive.
Colin macht das alles mit. Er ist auch viel zu vernarrt in Ray, als dass er eine Wahl hätte. Und weil Harry Melling die Szenen trotz ihrer sexuellen Offenheit (nach dem ersten weihnachtlichen Blowjob in einer dunklen Gasse tropft ihm noch das Sperma von der Lippe) immer ein Stück weit ironisch bricht, denkt man auch nicht allzu tief darüber nach, wie gesund diese Beziehung wirklich ist. Dass der Film im Gegensatz zum Roman nicht in den Siebzigern und Achtzigern, sondern heute spielt, lässt den fast wortlosen Ray dabei nur noch mysteriöser erscheinen. Denn wo damals Verschwiegenheit in der schwulen Szene noch an der Tagesordnung war, sind Colins fürsorglichen Eltern Peggy und Pete (mit viel komödiantischem Verständnis gespielt von Douglas Hodge und Lesley Sharp) fast schon zu aufgeschlossen gegenüber dem (sexuellen) Beziehungsleben ihres Sohnes.
Zwar zeigen sich die Eltern immer wieder interessiert an Ray und wollen ihn unbedingt mal zum Abendessen einladen, aber sie sind sich nur bedingt darüber im Klaren, welche unterwürfige Rolle ihr Sohn in der Beziehung einnimmt – sowohl im als auch außerhalb des „Hobbyzimmers“. Dass Colin etwa per Textnachrichten ständig Einkaufslisten erreichen, einmal sogar an seinem eigenen Geburtstag, will Peggy etwa gar nicht schmecken.
In einer womöglich etwas zu ausbuchstabierten und trotzdem gar nicht klischeehaften Essenstischunterredung reagiert Ray in großer Abgeklärtheit auf die zunehmend lauter werdende Mutter: Ja, er würde schon merken, wie unangenehm es für sie ist, wenn sie ihren Sohn in einer solch devoten Haltung erlebt. Gleichwohl würde ihr Unwohlsein ja nicht bedeuten, dass sich auch Colin dabei unwohl fühlt.
Als Alexander Skarsgård gebeten wurde, „Pillion“ zu beschreiben, beschränkte er sich auf die Worte „Gleitgel, Schweiß und Leder“. Aber „Hardcore“ darf man sich von dem Film trotzdem nicht erwarten – selbst wenn er (viel) weiter geht, als man es eigentlich aus dem Genre der Arthouse-Komödie gewohnt ist: Bei einer Gruppensex-Party der Biker krabbeln die devoten Parts mit Gummi-Schweinemasken herum – oder werden so auf den Gartentischen platziert, dass sie für alle zur freien Verfügung dargeboten werden. Die von Machtverhältnissen, aber eben auch von einer nicht immer sofort greifbaren Fürsorge geprägte Dynamik zwischen Ray und Colin bleibt indes bis zuletzt greifbar und gut beobachtet, zumal die verschiedenen Vorlieben erfreulicherweise auch nicht pathologisiert werden.
Ja, mehr noch: Es erschließt sich uns, warum Colin einen Reiz in dieser Beziehung, den Regeln und Befehlen für sich sieht – und zwar über den Umstand hinaus, dass er ansonsten wohl nie die Chance hätte, etwas mit einem so unfassbar heißen Typen wie Ray anzufangen. Selbst wenn es zunächst widersprüchlich klingt, zeigt uns „Pillion“, welche befreiende Wirkung Regeln auf uns haben können. Unlängst unter die Hobby-Lyriker gegangen, fasst Colin die Beziehung mit den Worten zusammen: „Jeder Tag zu deinen Füßen bringt mich einen Schritt näher zu dir.“
Fazit: „Pillion“ erzählt mit viel Witz und Aufrichtigkeit von einer BDSM-Beziehung im Biker-Milieu und funktioniert dabei selbst für ein Mainstream-Publikum als absoluter Crowdpleaser, ohne dass er dafür allzu große Abstriche in Sachen Authentizität machen müsste.
Wir haben „Pillion“ beim Cannes Filmfestival 2025 gesehen, wo er in der Sektion „Un Certain Regard“ als Weltpremiere gezeigt wurde.