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    Frenzy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Frenzy
    Von Ulrich Behrens

    Man kann sich lange darüber streiten, welches wohl der beste Hitchcock-Thriller sei. „Frenzy“ (zu deutsch: Wahnsinn, Raserei) gehört zweifelos zu den Meisterwerken des Thriller-Experten, vor allem wegen der genialen Mischung aus Thriller und Sarkasmus. Als Vorlage diente dem Meister der Roman „Goodbye Piccadilly, Farewell, Leicester Square“ von Artur La Bern.

    Richard Blaney (Jon Finch) muss seine „Karriere“ als Barkeeper abrupt beenden: Er wird rausgeschmissen. Der ehemalige Pilot bei der Royal Air Force hängt herum, ohne Job und mit wenig Zukunftsperspektiven. Etwa zur gleichen Zeit treibt eine Frauenleiche die Themse herunter. Der sogenannte Krawattenmörder, der auf dem Großmarkt arbeitende Gemüsehändler Robert Rusk (Barry Foster), hat ein neuerliches Opfer gefunden. Eben diesen Rusk kennt Blaney schon lange und bei ihm sucht er Hilfe und Arbeit. Rusk aber hat Blaneys Ex-Frau Brenda (Barbara Leigh-Hunt) ermordet. Schnell gerät Blaney in Verdacht und muss sich mit seiner Freundin Babs (Anna Massey) verstecken. Doch auch Babs wird Opfer von Rusk, der Blaney bei sich aufnimmt, um ihn angeblich zu verstecken, in Wirklichkeit aber nur, um ihn Chef-Inspektor Oxford (Alex McCowen) als vermeintlichen Täter auszuliefern. Blaney wird zu lebenslanger Haft verurteilt, weiß jetzt aber, dass Rusk der Krawattenmörder ist – und bricht aus ...

    Obwohl Alfred Hitchcock von Anfang an keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, wer hier der wahnsinnige Mörder ist, der sich ausschließlich Frauen als Opfer aussucht, glänzt der Film durch eine permanente Spannung und durch skurrilen Humor. Die Morde Rusks sind skrupellos, fast virtuos geplante Taten, in denen die Krawattennadel Rusks eine beinahe symbolische Bedeutung erlangt.

    Doch Hitchcock bricht diese Virtuosität immer wieder mit einem Sarkasmus, wie man ihn selten in anderen Filmen wiederfindet. Als Rusk seine Krawattennadel verliert, während er eines seiner Opfer auf der Ladefläche eines Kleinlasters unter Kartoffeln verstaut, springt er im letzten Moment auf den Lkw, um die Nadel zu suchen. Das Gefährt schüttelt Rusk während der Fahrt hin und her; er hat Mühe, die Nadel zu suchen, die Kartoffeln kullern umeinander, die Hand der Toten ragt aus den Erdäpfeln hervor, als wolle sie das Beweisstück nicht mehr hergeben. Er muss ihr die Fingerknochen brechen, um der Nadel habhaft zu werden. Man sitzt da und staunt nur noch.

    Auch die in den Film immer wieder eingestreuten Szenen, in denen Chefinspektor Oxford nach Hause kommt, wo ihm seine Frau (Vivien Merchant) die exquisitesten Speisen serviert – zum Beispiel Wachteln –, die er auf den Tod nicht ausstehen kann, zeugen von Hitchcocks Humor: Man könnte annehmen, Oxford habe sich die Arbeit als Inspektor ausgesucht, um möglichst wenig zu Hause sein zu müssen, und vor allem: Die fein säuberlich zubereiteten Speisen regen nicht nur den Appetit des Inspektors nicht an, sie könnten geradezu ein Mordmotiv abgeben. Auch als Zuschauer vergeht einem der Appetit. Zwischen der unausgesprochenen Front der Eheleute, von der Mrs. Oxford nichts ahnt, steht Oxfords Sergeant, der sich redlich bemüht, sich ebensowenig den Ekel vor den Nouvelle-Cuisine-Künsten anmerken zu lassen wie sein Chef. Beide sind froh, lieber wieder auf Mörderjagd gehen zu können, als essen zu müssen.

    Die Morde sind ebenso skurril inszeniert. Als eines von Rusks Opfern mit weit aufgerissen Augen und heraushängender Zunge in die Kamera glotzt, so ist man hin und her gerissen zwischen Entsetzen und dem Wunsch, einfach nur zu lachen, obwohl es doch eigentlich nichts zu lachen gibt. Der rothaarige Barry Foster spielt einen psychopathischen Mörder, dessen vorgetäuschte Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, dessen Beliebtheit auf dem Großmarkt bei den anderen Händlern für den Zuschauer in scharfen Kontrast zu seiner Skrupellosigkeit gesetzt wird.

    Hitchcock spielt in „Frenzy“ mit dem Zuschauer. Sorgfältig und virtuos werden die Erwartungen des Publikums erfüllt und doch zugleich ins Makabre gehoben. Nach fast zwei Stunden ist man einerseits erleichtert, andererseits erheitert und hat drittens trotzdem das unangenehme Gefühl, vor der eigenen Wohnung könne eine Leiche mit Krawatte um den Hals zwischen den Mülltonnen liegen.

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