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    The Road to Guantanamo
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Road to Guantanamo
    Von Deike Stagge

    Die Vorgänge in der amerikanischen Militärbasis Guantanamo Bay auf Kuba und vor allem die Behandlung der dort Inhaftierten beschäftigt die Welt schon geraume Zeit. Nun hat sich Regie-Extremist Michael Winterbottom ein Herz gefasst und das Schicksal dreier Häftlinge in dem dokumentarischem Drama „The Road To Guantanamo“ verfilmt. Es handelt sich dabei um die Tipton Three, die über zwei Jahre ohne Anklage im Lager festgehalten wurden.

    Ruhel, Asif, Shafiq (Rizwan Ahmed) und Monir sind zusammen in Tipton in England aufgewachsen. Im September des Jahres 2001 hat Asifs Mutter in Pakistan eine Braut für ihren Sohn gefunden, und so machen sich die vier Freunde auf, um dort die Hochzeit vorzubereiten. Nach ihrer Ankunft in Karachi und einigen touristischen Ausflügen predigt ein Iman in ihrer Moschee, dass junge Männer zur humanitären Hilfe nach Afghanistan gehen sollen. Zusammen mit Asifs Cousin melden sich die Jungen freiwillig. Durch ungünstige Umstände und Asifs Erkrankung landen die fünf schließlich in Kunduz, der letzten Hochburg der Taliban. Auf ihrer Flucht vor amerikanischen Bombardements auf die Stadt verliert die Gruppe Monir aus den Augen. Die anderen vier werden in einer Flüchtlingsgruppe, unter die sich auch Talibankämpfer gemischt haben, von der Nordallianz gefangen genommen.

    Damit beginnt ihr Leidensweg erst richtig. In Containern eingepfercht transportiert sie die Allianz ins nächste Gefangenenlager. Die drei Engländer werden verhört, aus Angst vor den Folgen erzählen sie zunächst unterschiedliche Geschichten über ihr Herkunftsland. Als sich herausstellt, dass sie alle fließend englisch sprechen, werden sie zu Verhör- und Informationszwecken erneut verlegt: Nach einem Zwischenstop landen Asif und Shafiq im Januar 2002 in Camp X-Ray in Guantanamo, Ruhel folgt ihnen einen Monat später. Dort beginnt ein unmenschlicher Verhörmarathon mit immer den gleichen Fragen, der von einem demütigenden, Furcht einflößendem Alltag in einer Art Hundezwinger als Zelle begleitet wird. Die drei werden unter Schlägen und brutaler Einzelhaft dazu genötigt, sich als AlQuaida Kämpfer zu outen. Die Alibis der Jungen und ihre britische Herkunft werden gnadenlos ignoriert. Nur langsam setzt sich die britische Botschaft in Bewegung, die Alibis zu überprüfen.

    Der Fall der Tipton Three ging im Jahr 2004 durch die Medien. So erfuhr auch Regisseur Michael Winterbottom (Code 46, 9 Songs) von ihrer Geschichte und beschloss, die drei zunächst zu interviewen, um mehr über den Leidensweg der bei ihrer Inhaftierung erst Anfang 20-jährigen Jungen zu erfahren. Diese Interviews fanden auch ihren Weg in den Film. Asif und Safiq erzählen die Ereignisse aus der Retrospektive und verbinden so die mit Schauspielern gefilmten Sequenzen, die mit den relativ unerfahrenen drei Nachwuchsschauspielern hauptsächlich im Iran und in Pakistan gedreht wurden. Die Bauten der Gefängnisblöcke in den Lagern von Guantanamo Bay wurden anhand des Nachrichtenmaterials und der Beschreibung der Tipton Three konstruiert. Auch das Originalmaterial von Nachrichtensendern wurde stellenweise in „The Road To Guantanamo“ aufgenommen. Mit nur knapp zwei Millionen Euro realisierten Winterbottom und sein Co-Regisseur MatWhitecross dieses Projekt, welches eher dem Aufbau eines Dokumentarfilms als der Dramaturgie eines Spielfilms entspricht.

    Michael Winterbottom erzählt in „The Road To Guantanamo“ eine sehr persönliche Geschichte von drei jungen Männern, denen etwas Außergewöhnliches und Schreckliches passiert. Deutlich wird die furchtbare Realität vor allem in den Szenen, in denen die drei ihren amerikanischen Wächtern immer wieder dieselben Fragen beantworten müssen, während ihre Behandlung durch das Verhör- und Wachpersonal immer brutaler wird. Fast fühlt sich der Zuschauer an das mittelalterliche Gottesurteil erinnert, denn die Jungs geben ihre Alibis schon in der ersten Verhörrunde preis und können in der Folgezeit eigentlich nichts mehr für die Verbesserung ihrer Situation tun. Ihre Geschichte nimmt ihnen niemand ab. Stattdessen wiederholt sich die Prozedur immer wieder aufs Neue. Über zwei Jahre brauchen die Amerikaner in Zusammenarbeit mit der britischen Vertretung, diese Alibis und den familiären Hintergrund der britischen Staatsbürger zu überprüfen. Diese diplomatische Tragödie wird von der Intensität der Verhöre noch übertroffen. Unter Schlägen, einem breiten Spektrum an Foltermethoden von in der Sonne sitzen bis hin zu Heavy Metal Musik und Blitzlicht in der Einzelzelle wird den Jungen immer wieder „nahe gelegt“, ihren angeblichen Al-Quaida-Hintergrund zu gestehen. Hin und wieder kommt neues Verhörpersonal, aber die Fragen bleiben die gleichen. Mal wird einem Jungen erzählt, die anderen hätten schon gestanden, mal werden sie einfach nur angeschrieen, dann wird ihnen mit Haftverschlimmerung gedroht.

    „The Road To Guantanamo“ wurde zwar auf der Berlinale 2006 im Kino gezeigt, wird aber wohl direkt ins Fernsehen kommen. Zu gering ist die Zahl der Zuschauer, die sich einen derartigen Leidensfilm auf der großen Leinwand anschauen würden. In England ist wohl schon ein Datum für die Ausstrahlung gefunden worden, für den deutschen Markt ist bisher noch nichts bekannt. Aber im Gegensatz zu anderen Kinospielfilmen fehlt dem Zuschauer, der ein bisschen die Nachrichten verfolgt hat, in „The Road To Guantanamo“ eine durch die Dramaturgie geschaffene Spannungskurve. Diese wird durch die nervenaufreibenden Haftszenen ersetzt, die zwar für sich sprechen, aber den Kinofilm lange Zeit auf der Stelle treten lassen. Da nur aus der Perspektive der Inhaftierten erzählt wird, bleiben Lücken bestehen, die der Regisseur durch journalistische Gegenrecherche auch nicht schließt. Winterbottom ist ja bekannt für seine außergewöhnlichen Filme mit kritischen Themen, wie er zuletzt in der Zukunftsvision „Code 46“ mit seiner Kritik am Klonprozess unter Beweis stellte. Aber hier hätte er vielleicht einen eigenständigen Beitrag zur Schließung der Informationslücken in der Geschichte leisten sollen, um seinem Film noch mehr Substanz zu geben.

    In dieser Hinsicht weist die Mischung aus Dokumentation und Spielfilm einige Mängel auf. Auch ist es bis zuletzt schwer, den realen Erzählern ihre filmischen Pendants zuzuordnen. „The Road To Guantanamo“ ist wegen seines Themas unbedingt sehenswert, auch wenn sich Michael Winterbottom zu sehr auf die Tragkraft dieses Themas verlässt und filmische Aspekte vernachlässigt. Leider bleibt Guantanamo Bay weiterhin aktuell. Zwei Tage nach der Premiere auf der Berlinale wurde von Kofi Annan erneut die Schließung der Gefangenenlager dort gefordert. Die politische Brisanz bleibt diesem Film wohl noch auf längere Zeit erhalten.

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