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    Abgedreht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Abgedreht
    Von Björn Helbig

    Seine Lieblingsfilme selber nachdrehen – wäre das nichts? Jack Black und Mos Def haben dazu in „Abgedreht“, dem neuen Film von Michel Gondry, Gelegenheit. Gondry tritt damit endgültig aus dem Schatten des legendären Drehbuchautors Charlie Kaufman (Vergiss mein nicht, Adaption) und gibt nach The Science Of Sleep einmal mehr eine Kostprobe seiner überbordenden Fantasie. „Abgedreht“ lief im Wettbewerb der Berlinale 2008 außer Konkurrenz.

    Passaic, New Jersey, ist nicht nur die Heimat des legendären Jazzpianisten Fats Waller, sondern auch der Ort, an dem Mr. Flechter (Danny Glover) seine kleine Videothek namens „Be Kind Rewind“ betreibt. Den Trend hin zur DVD hat Mr. Fletcher verschlafen. Bei ihm ist noch alles auf VHS. Doch als die Bauverwaltung eine sehr teure Renovierung des alten Gemäuers fordert, hat der alte Mann ein Problem. Wo soll er so schnell so viel Geld hernehmen? Und es kommt noch schlimmer: Als Fletcher einen Ausflug zum Gedenken an Fats Waller unternimmt, übergibt er seinem Gehilfen Mike (Mos Def) für die Zeit sein Geschäft. Doch Mikes Freund Jerry (Jack Black), dessen Hirn bei dem Versuch ein Kraftwerk zu sabotieren magnetisch geworden ist, löscht versehentlich alle Kassetten der Videothek. Die beiden wissen sich nicht anders zu helfen als alle Filme nachzudrehen. Dann passiert, was niemand für möglich gehalten hätte: Die Remakes finden mehr Abnehmer als die Originale. Gibt es doch noch einen Weg, das Gebäude und damit Fletchers Videothek zu retten?

    Man könnte fast glauben, in Michel Gondry hätte Terry Gilliam (12 Monkeys, Brothers Grimm) seinen Nachfolger gefunden. Denn mit „Abgedreht“ ist Gondry ein modernes Märchen gelungen, das ebenso wie Gilliams Werke das Fantastische in den Mittelpunkt stellt und sich keinen erzählerischen Grenzen unterwerfen mag. Fantasie ist auch hier gleichzeitig bedeutendes Element des Lebens und filmischer Motor, der die Geschichten des jungen Franzosen antreibt. Beide Filmemacher sind sich – und das ist eine weitere Gemeinsamkeit – bewusst, dass Fantasie ein zweischneidiges Schwert ist. Bei beiden ist sie Gefängnis, ein das Leben verschlingender Moloch als auch der Schlüssel zur Befreiung, oder, wenn man so will, der Heilige Gral wie in Gilliams König der Fischer. Und auch wenn Gondry nun vielleicht noch nicht ganz das Format seines amerikanischen (mittlerweile britischen – 2006 gab Gilliam aus Protest gegen George W. Bush seinen amerikanischen Pass ab) Kollegen hat, gehört er auf jeden Fall schon mal zu denen, die tolle Geschichten erzählen können. Man spürte Gondys Herzblut bei seinem autobiographisch angehauchten The Science Of Sleep genauso wie nun bei „Abgedreht“.

    Den Spaß an der Sache merkt man auch den Schauspielern an. Bis in die Nebenrollen finden sich große Namen wie Mia Farrow (Rosemaries Baby) als tüdelige Miss Falewicz, Danny Glover (Grand Canyon) als den unterhaltungstechnisch altmodisch Mr. Fletcher oder auch Sigourney Weaver (Alien) als Mrs. Lawson, die fiese Frau von der Filmfirma. Die Hauptlast müssen natürlich Jack Black und Mos Def stemmen. Black (Kings Of Rock - Tenacious D) spielt den durchgeknallten Schrottplatzbewohner herrlich neben der Spur. Seine Figur wird dadurch zwar nicht gerade zum Sympathieträger, faszinierend komisch ist er aber schon. Und auch Mos Def (Block Party) legt als Mike eine saubere Leistung hin. Dass er auch nerven kann, hat er ja schon das eine oder andere Mal, z.B. in 16 Blocks bewiesen, aber in „Abgedreht“ funktioniert seine Figur eher als Gegenpol zum schrägen Jerry, was ihm überraschender Weise sehr gut gelingt.

    Natürlich geht es in „Abgedreht“ weniger um die Figuren. Das Herzstück sind die Nachdrehs der Filme, die durch Jerrys magnetisches Hirn gelöscht wurden. Zunächst versuchen sich die beiden Freunde an einem „Remake“ von Ghostbusters. Die Szenen in der Bibliothek und später im Hotel („He slimed me“) sind einfach urkomisch. Später, wenn es um das „Sweden“ (so nennen Mike und Jerry das, was sie mit den Filmen machen) von Klassikern wie RoboCop, Rush Hour, Bad Boys II, König der Löwen oder Miss Daisy und ihr Chauffeur geht, muss man als Zuschauer sehr aufmerksam sein, um die zahlreichen genialen Einfälle des Regisseurs und seiner Effekt-Crew mitzubekommen. „Abgedreht“ hält sich leider bei keinem Film lange auf, sondern rast immer sofort zum nächsten. Man hätte jedes Mal länger zuschauen mögen. Etwas ausführlicher geht es erst am Ende zu, wenn Jerry, Mike & Mr. Fletcher sowie die ganze Nachbarschaft den Film drehen, der den Abriss der Videothek verhindern soll. Wäre es nach Michel Gondy gegangen, hätte der Zuschauer übrigens auch noch einige geswedente Versionen mehr gesehen, aber das war wie im Falle von Zurück in die Zukunft aus rechtlichen Gründen nicht möglich.

    „Abgedreht“ funktioniert auf verschiedenen Ebenen, als wilde Komödie, die gelegentlich auch mal ins Alberne abgleitet, als Satire mit nicht immer sanften Seitenhieben auf die Filmindustrie, als Buddy Movie über zwei seltsame Vögel und sogar ein bisschen Lehrstück über die Macht der Fantasie: Glaub an dich, folge deiner Inspiration! Wer nun aber befürchtet, der Film wäre übermäßig moralisch, kann beruhigt werden. Gondry versucht nicht, es möglichst vielen recht zu machen. Genau wie bei „The Science Of Sleep“ sitzt er auch mit „Abgedreht“ wieder – und das ist positiv gemeint – zwischen den Stühlen. Auch wenn der Film stellenweise grandios lustig ist, ist der Regisseur nicht auf einen schnellen Lacher aus. So sind das Schönste an „Abgedreht“ wider Erwarten nicht die verrückt-genialen Nachdrehs, sondern die sanfte Melancholie, die sich auch hier wieder durch sein Werk zieht.

    Fazit: „Abgedreht“ ist ein verrückter Filmspaß und Hommage an die Kreativität mit vielen Anspielungen und einige Seitenhieben auf die Filmindustrie.

    Interview: Michel Gondry über seine Komödie „Abgedreht“

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