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    Ein einziger Augenblick
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Ein einziger Augenblick
    Von Carsten Baumgardt

    Auf dem Papier ist das Schuld-und-Sühne-Drama „Ein einziger Augenblick“ ein überaus viel versprechendes Projekt. Unter der Egide von Hotel Ruanda-Regisseur Terry George spielen drei absolute Topstars in der Verfilmung eines Bestsellers von John Burnham Schwarz („Eine Sekunde nur“). In der Praxis ist das Ergebnis zwar solide, doch die Amerikaner zeigten dem Werk die bitter-kalte Schulter. Nach zwei Wochen Spielzeit war der limitiert gestartete Film bereits aus den US-Kinos verschwunden - mit läppischen 122.000 Dollar Einspiel im Gepäck. Selbst wenn die kommerziellen Aussichten in Deutschland damit gegen Null tendieren, ist es trotzdem lobenswert, dass der Tobis-Verleih den deutschen Zuschauern das sehenswerte Melodram nicht vorenthält. Denn „Ein einziger Augenblick“ hat sich eine Kinoauswertung sehr wohl verdient - allein der schauspielerischen Leistungen wegen.

    Eine einzige Sekunde der Unachtsamkeit verändert das Leben zweier Familien schlagartig: Anwalt Dwight Arno (Mark Ruffalo) ist mit seinem Sohn Lucas (Eddie Alderson) auf dem Heimweg von einem Baseball-Spiel der Boston Red Sox. Dabei übersieht er auf einer dunklen Waldstraße den zehnjährigen Josh Leaner (Sean Curley). Der Junge ist mit seinen Eltern Ethan (Joaquin Phoenix) und Grace (Jennifer Connelly) sowie seiner Schwester Emma (Elle Fanning) unterwegs. Die Familie macht Rast an einer Tankstelle, wo Josh seine gerade gefangenen Glühwürmchen am Wegesrand in die Freiheit entlässt. Dwight erfasst den Jungen mit seinem Wagen und fährt ihn zu Tode. Geschockt flieht er nach kurzer Überlegung vom Tatort. Der frisch geschiedene Dwight hat panische Angst davor, seinen Sohn gar nicht mehr sehen zu dürfen, falls er als Folge des Unfalls verurteilt würde. Während Grace versucht, ihrer Trauer Herr zu werden, verändert sich College-Professor Ethan von Rachegelüsten getrieben zusehends. Er will nicht ruhen, bevor der „Mörder“ seine gerechte Strafe erfahren hat. Die Polizei ist dabei keine allzu große Hilfe, die Ermittlungen kommen nur schleppend voran. Deshalb nehmen sich die Learners einen Anwalt, der in ihrem Namen bei den Behörden Druck machen soll: Dwight Arno…

    „Ein einziger Augenblick“ mag in seiner ganzen Machart ur-amerikanisches Kino sein, doch in einer Hinsicht hebt sich Terry Georges erster in den USA gedrehter Film wohltuend von der Masse ab: Aus dem Stoff für einen Selbstjustiz-Thriller schuf der Ire ein hochemotionales Drama, das zwar den Gesetzen des Genres gehorcht, aber dafür in der Spitze so ausnehmend brillant gespielt ist, dass die Konstruiertheiten der Geschichte generös verziehen werden dürfen.

    Auch wenn „Ein einziger Augenblick“ Themen wie Schuld und Trauer, Rache und Vergebung behandelt, lässt sich der gesamte Film im Kern auf zwei Qualitäten runterbrechen. Erstens: die außergewöhnliche Vorstellung von Joaquin Phoenix (Helden der Nacht, Gladiator, Walk The Line). Zweitens: die außergewöhnliche Vorstellung von Mark Ruffalo (Zodiac, Collateral, Das Spiel der Macht). Das schauspielerische Duell, das sich die beiden Charaktermimen mit bewusst überlebensgroßen Gesten liefern, trägt den kompletten Film, dessen restliche Elemente nur schmückendes Beiwerk sind. Sei es die stimmungsvolle New-England-im-Herbst-Photographie von John Lindley (Mr. Brooks, Der Anschlag, E-Mail für dich), der edle Score von Mark Isham (Im Tal von Elah, Der Nebel, Von Löwen und Lämmern) oder aber auch das Zuspiel der Oscar-Preisträgerinnen Jennifer Connelly (A Beautiful Mind, Blood Diamond, Little Children) und Mira Sorvino (Geliebte Aphrodite, The Final Cut), Terry George konzentriert sich hundertprozentig auf das Seelenleben der zwei männlichen Rivalen.

    Dabei vermeidet es der Regisseur, den Zuschauer trotz der eigentlich eindeutigen Ausgangslage zu manipulieren. Nicht nur, dass George die Schicksale von Ethan und Dwight gleichberechtigt verfolgt, die Sympathien verschieben sich mit der Zeit sogar, weil der trauernde Vater, der seinen Sohn auf tragische Weise verloren hat, langsam aber sicher schwer aus der Spur läuft, während auf der anderen Seite der mit schweren Gewissenkonflikten belastete Fluchtfahrer zur Besinnung kommt – was einen Showdown der persönlichen Konfrontation unvermeidlich macht. Doch auf dem Weg dorthin schleichen sich vor allem im Mittelteil merkliche Längen ein, die erst durch das hochtourige Spiel der Darsteller wieder gestoppt werden.

    Die konventionelle Geschichte von „Ein einziger Augenblick“ wirkt in ihrer Komplexität angesichts der Dichte der Ereignisse konstruiert. Kommissar Zufall erweist sich als unschlagbarer Ermittler. Die Wege der Figuren führen doch auffallend oft zueinander, vereinen sie gar zu einer Art ungewollten Schicksalsgemeinschaft. Die nebenher laufende Thrillerebene (die Polizeisuche nach dem Flüchtigen Dwight) wird ebenso untergeordnet wie alles andere. Aber auch diese vermeintlichen Mängel lassen sich unter dem Deckmantel der klaren Problemkonstruktion verstecken. Denn sämtliche Kraft des Films konzentriert der Regisseur auf die Psychologie von Täter und Opfer. Das geschieht eindringlich, oft beklemmend und bedrückend, geht an die Substanz, weil beide Seiten ihr schweres Päckchen zu tragen haben. Trotz des Storykonzentrats bleiben die Handlungen und Motive der Charaktere dennoch authentisch. Über dem gesamten Film schwebt immer die mögliche Eruption Ethans, sollte er den Täter in die Finger bekommen, was zur Spannungsförderung beiträgt.

    Fazit: „Ein einiger Augenblick“ ist ein hervorragend gespieltes Melodram, das emotional keine Gefangenen macht, sondern den vollen Preis von der Zuschauerschaft fordert. Im Sog der Konfrontation der beiden Hauptfiguren wird der Rest allerdings unter Wert verkauft, was Georges Drama im Endeffekt an Größerem hindert.

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