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    The 11th Hour - 5 vor 12
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    The 11th Hour - 5 vor 12
    Von Carsten Baumgardt

    Das Gegenteil von gut ist gut gemeint, besagt der deutsche Volksmund. Nadia Conners’ und Leila Conners Petersens Öko-Doku „The 11th Hour“ ist ganz furchtbar gut gemeint. Unsere Erde steht vor dem ökologischen Kollaps und in dieser elften Stunde (amerikanisch), sozusagen „fünf vor zwölf“ (deutsch), hat die Menschheit noch die Chance, das Ruder rumzureißen. Die Botschaft ist von keiner Seite anzuzweifeln, doch das allein macht noch keinen funktionierenden Film aus. „The 11th Hour“ präsentiert über 91 Minuten kaum einen neuen, originellen Gedanken und fasst stattdessen nur noch einmal das Desaster der aktuellen Entwicklung zusammen. Das wirkt dröge, größtenteils langweilig und selbst Mit-Produzent und Erzähler Leonardo DiCaprio (Blood Diamond, Departed: Unter Feinden) vermittelt den Eindruck, als ob er ein Schulprojekt vorstellt oder einen Volkshochschulvortrag hält.

    Das Konzept an sich ist tragfähig. Die Schwestern Nadia Conners und Leila Conners Petersen versammeln ein Heer von rund 50 Experten, die zu ihrem jeweiligen Gebiet Einschätzungen abgeben und Ratschläge für die Zukunft erteilen. Der ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow kommt dabei ebenso zu Wort wie der legendäre Wissenschaftler Stephen Hawking, der ehemalige CIA-Chef James Woolsey oder die Nachhaltigkeitsexperten William McDonough und Bruce Mau. Das erste große Problem: All das, was die Superhirne erzählen, ist bekannt - jedenfalls für diejenigen, die die vergangene Dekade nicht gerade vom Zugang zu Massenmedien abgeschnitten waren. Über die Interviews legen die Regisseurinnen Bilder von Zerstörungen und Naturkatastrophen, aber als Kontrast auch mal einfach nur wundervolle Landschaftsaufnahmen von unserem Planeten. Dennoch finden Ton und Bild selten eine Einheit, sind zu beliebig. Vielmehr steht das Gesehene aseptisch im Raum, ohne emotionalen Kontakt mit den harten Fakten zu bekommen.

    Wie es besser geht, zeigte Davis Guggenheims ähnlich gelagerte Botschaft-Doku Eine unbequeme Wahrheit. Umweltaktivist Al Gore verband das, was er den Leuten erzählt hat, wundervoll mit Bildern seines Vortrags. Aber selbst Gore hatte mit der Trivialität seiner Nummer zu kämpfen, weil er jeden Amerikaner jeglichen Bildungsstands erreichen wollte. Aber Gore hatte den richtigen Charme, seine Message unter die Kundschaft zu bringen, während sich dieses Unterfangen bei „The 11th Hour“ schon wesentlich schwieriger gestaltet. Leonardo DiCaprios guter Wille, sich für die Errettung der Menschheit einzusetzen in allen Ehren, doch der Hollywood-Superstar, der auch mit den beiden Filmemacherinnen das Drehbuch schrieb, findet nicht die passende Ansprache - zumindest für ein europäisches Publikum. In einer Mischung aus Schülersprecher und Oberlehrer bringt er einige Kernpunkte an, ohne den Zuschauer aber mit diesen wirklich zu erreichen.

    Fällt der Erklärungsteil schon langatmig aus, haben die anschließenden Szenen, in denen die Wissenschaftler Lösungen für die Zukunft anbieten, einen Kardinalfehler: They are barking up the wrong tree, um es mit den Worten der Amerikaner zu sagen, an dessen Adresse „The 11th Hour“ gerichtet ist. Es wird aufgezählt, was alles getan werden kann: vom Energiesparen über umweltfreundliche Autos und neue Wohnkonzepte bis hin zur Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen und dem Konsum von Biolebensmitteln. Doch haben die meisten Menschen überhaupt die Macht, sich dies leisten zu können? Die klare Antwort: nein. Wer nicht gerade wohlhabend oder vermögend ist, wird beim nächsten Autokauf nicht darüber grübeln, ob es der Hybridwagen oder das wesentlich kostengünstigere, herkömmliche Modell sein soll. Wer von wenig Geld lebt, fragt sich beim Einkauf von Lebensmitteln nicht, ob diese nun unbedingt biologisch angebaut sind, sondern ist froh, überhaupt etwas kaufen zu können. Es ist der größere Teil der Menschen, die keine Wahl hat. Wer die Wahl hat, kann und sollte sich mit ein paar Entscheidungen für eine bessere Welt einsetzen, doch das Ruder rumreißen werden sie damit nicht. Die Bürger sind bereit, etwas zu ändern, selbst wenn es manchmal nur Kleinigkeiten sind. Das Problem steckt vielmehr in der US-Politik, die fatalerweise vom Lobbyistentum durchsetzt ist, was wie ein Krebsgeschwür wuchert. Die USA, der bewiesen größte Umweltverschmutzer der Erde, bekommt es nicht einmal auf die Reihe, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen, weil der Lobbyismus der Megakonzerne dort so stark ist, dass er das Land unter seinen eisernen Fängen begräbt. Die Multimilliardendollar-Konzerne der Auto- und Ölindustrie haben keinerlei Interesse an einer nachhaltigen Rettung des Ökosystems, weil sich dies nicht mit der Steigerung ihrer Umsätze vereinbaren lässt und schließlich zu einem Machtverlust führen würde.

    Die Politik soll endlich beweisen, dass sie nicht zu Kreuze kriecht wie bisher. Es muss dafür gesorgt werden, dass sich jeder Erdenbürger diese zurecht eingeforderte Umweltfreundlichkeit auch leisten kann. Nur so kann es funktionieren. Die neuen Produkte dürfen nicht zwei, drei Mal so teuer sein wie schädlichere, sondern müssen im Preis konkurrenzfähig sein. Dieser Aufgabe sollten sich Politik wie Industrie stellen, wenn sie Verantwortung übernehmen wollen. Doch in den derzeitigen Machtkonzeptionen ist dieser Gedanke illusorisch. Aber dieser simple Gedankengang findet sich im Film nicht wieder. Stattdessen wird recht blumig in den Raum philosophiert und fabuliert.

    Und welchen Beitrag leistet nun „The 11th Hour“ in diesen ökologisch besorgniserregenden Zeiten? Einen kleinen. Immerhin regt der Film trotz einer gewissen Naivität (Die Lösung eines Wissenschaftlers auf alle Probleme: „Love is the answer!“) dazu an, darüber nachzudenken, was alles falsch läuft – selbst wenn er nahezu penetrant und auch ein wenig ignorant an ein US-Publikum gerichtet ist. Warum die Doku nun aber im Kino zu sehen sein muss und nicht irgendwann mal abends bei einem Themenabend auf 3sat, bleibt unklar. Wahrscheinlich weil diese Art Film mit dem Zugpferd Al Gore in „Eine unbequeme Wahrheit“ ein großer Erfolg war. In den USA nahm von „The 11th Hour“ kaum jemand Notiz (Einspiel: knapp 700.000 Dollar). Verwunderlich ist es nicht. Warum, fasst Kritikerpapst Roger Ebert passend zusammen: „We more or less know all this stuff, anyway. So does the movie motivate us to act on it? Not really. After I saw Al Gore's ‘An Inconvenient Truth’, my next car was a hybrid. After seeing ‘The 11th Hour’, I'd be thinking more about my next movie.”

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