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    The Crew
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    The Crew
    Von Sascha Westphal

    Das britische Kino hat eine lange und überaus reiche Gangsterfilm-Tradition. Nur konnte die sich trotz ihrer bis in die 1940er Jahre zurückreichenden Wurzeln niemals ganz aus dem Schatten Hollywoods lösen. Dabei unterscheiden sich die englischen Kriminellen mehr als deutlich von ihren amerikanischen Cousins. Seit Richard Attenboroughs eisigem Porträt des sadistischen Soziopathen Pinky Brown in John Boultings 1947 entstandener Verfilmung von Graham Greenes „Brighton Rock“ umweht die britischen Gangster ein Hauch von Existentialismus. Sie alle sind Ziellose, die blindwütig nach Macht und Geld gieren, ohne das Geringste mit ihnen anfangen zu können. In ihrer Welt ist alles immer nur Selbstzweck, was diesen Filmen einen extrem bitteren, durch und durch nihilistischen Beigeschmack verleiht. Auch in „The Crew“, Adrian Vitorias beinahe altmodisch anmutendem Gangster-Actioner um eine kleine Bande von Liverpooler Kriminellen, deren Boss einen letzten großen Coup plant, lebt diese Tradition auf eine aufregende, ganz und gar zeitgemäße Weise fort.

    Jahrelang haben sich Ged Brennan (Scot Williams, „The Tulse Luper Suitcases, Part I & II“, Der Venedig Code) und seine „Crew“ vor allem auf Raubüberfälle konzentriert. Ihr Ziel waren meist LKWs, die wertvolle Waren transportieren. Doch mittlerweile läuft ihr Geschäft nicht mehr so gut wie einst. Als dann noch einer ihrer Coups scheitert, gerät Ged immer mehr in Zugzwang, zumal mittlerweile auch seine Ehe an seinem Job zu zerbrechen droht. Sein jüngerer Bruder Ratter (Kenny Doughty, Elizabeth) will schon seit langem ins Drogengeschäft einsteigen. Die Gelegenheit dafür scheint günstig. Schließlich wurde gerade erst ein mächtiger Gangsterboss brutal ermordet. Eine Neuordnung der Liverpooler Unterwelt steht bevor und Ratter will ein möglichst großes Stück vom Kuchen abhaben.

    Scot Williams’ Ged Brennan ist alles in allem eine eher untypische Gangsterfigur – zumindest für englische Verhältnisse. Für ihn sind seine Raubzüge ein Job, eine ganz normale und nebenbei recht lukrative Form von Arbeit. Das macht ihn aber nicht nur im Genre, sondern auch in seinem eigenen Universum, der Liverpooler Unterwelt, zu einem echten Außenseiter. Die anderen Bosse und auch seine eigenen Leute besitzen weder so klare Vorstellungen von ihrem Leben noch einen derartig strikten Kodex wie er. Ged steht auf verlorenem Posten, und das verleiht „The Crew“ trotz all der exzessiven Gewalt und der spektakulären Action-Sequenzen einen melancholischen Zug. Letztlich erzählen natürlich alle (britischen) Gangsterfilme von verschwendeten Leben. Aber bei Vitoria treten Trauer und Sehnsucht an die Stelle der Wut über die existentielle Leere des Lebens auf der Insel, die nichts als Gewalt und Gier hervorbringt.

    Geschichten um Gangster, die aussteigen wollen und dafür noch einmal ein besonders großes Ding drehen müssen, sind schon so oft erzählt worden, dass sie mittlerweile nur noch mit einem Augenzwinkern präsentiert werden. Doch so wie einst Michael Mann, dessen Meisterwerk Heat hier ganz offensichtlich Pate stand, denkt auch Adrian Vitoria nicht einen Moment lang an eine Flucht in die Ironie. Nun waren – einmal abgesehen von Guy Ritchies frühen Arbeiten Bube, Dame, König, grAs und Snatch – die britischen Gangsterfilme der letzten 20 Jahre sowieso ernster und auch härter als die amerikanischen. Aber Vitoria geht trotz allem noch weiter als die meisten anderen britischen Regisseure. Er verzichtet nicht nur auf jegliche Form von Ironie, er meidet zudem auch noch die extremen Stilisierungen, die Paul McGuigans Gangster No. 1 und Jonathan Glazers Sexy Beast im Handumdrehen zu modernen Klassikern gemacht haben.

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    Vitoria siedelt seine archetypische Story dagegen in einer ganz und gar realistisch gezeichneten Welt an. Genau so sieht es im Liverpool des beginnenden 21. Jahrhunderts aus. Dieser beinahe dokumentarische Blick auf Industriebrachen und alte Arbeiterviertel, auf die noblen Häuser in der Vorstadt und die vom organisierten Verbrechen kontrollierten Clubs der Stadt erdet diese ansonsten eigentlich eher wüste, mit klassischen Exploitation-Zutaten - also brutalen Schlägereien, wilden Schießereien und einer Prise lesbischem Sex - versetzte Gangsterballade. Nebenbei gibt es auch noch eine wirklich bemerkenswerte Dreiecksgeschichte. Sie ist zugleich Teil eines großangelegten Betrugs, der die zentrale Frage aufwirft, ob nicht Geds Raubzüge weitaus ehrlicher sind als all die Geschäfte, die auf Partys und an Grillnachmittagen in der Vorstadt gemacht werden. Die bürgerliche, also nach Außen hin legale Existenz seiner Nachbarn mag Geds große Sehnsucht sein, aber letztlich ist sie nicht weniger trügerisch, als das Gefühl der Macht, das ihm seine Position als Boss der Bande gegeben hat. Jede Oberfläche ist immer eine Lüge und zudem noch äußerst fragil. Sie kann jederzeit zersplittern. Adrian Vitoria reiht Momente dieses Zerberstens überaus geschickt aneinander und zieht aus ihnen eine höchst explosive Kraft.

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