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    Crash
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Crash
    Von Robert Cherkowski

    Egal wie unverfilmbar eine literarische Vorlage auch scheinen mag – wenn David Cronenberg sich in einen Stoff verguckt hat, wird der kanadische Horror-Auteur auch einen Weg finden, den Stoff auf die Leinwand zu übertragen. Das hat er mit der schwierigen Don-DeLillo-Verfilmung „Cosmopolis" eindrucksvoll, doch nicht zum ersten mal unter Beweis gestellt. So war er einer der wenigen, die der ausladenden Erzählwut Stephen Kings gewachsen war, als er 1983 dessen „Dead Zone" umsetzte. Auch das überdordende Beat-Manifest „Naked Lunch" von William S. Burroughs, die komplizierte Bühnen-Gender-Studie „M. Butterfly" oder die Graphic Novel „A History of Violence" hat Cronenberg bereits fürs Kino gezähmt. Der schwerste Brocken aus dieser Kategorie aber ist seine Bearbeitung von James Graham Ballards düsterer Automobilpornographie „Crash". Mit haarsträubender Detailversessenheit forschte Ballard in seinem 73er-Skandalroman dem sexuell aufgeladenen Verhältnis des modernen Menschen zu seinen Automobilen nach und schwelgte in schockierenden Schilderungen von Sex, Splatter-Exzessen und zwischenmenschlicher Kälte. 1996 nahm Cronenberg die Herausforderung an und lieferte eine weitere kongeniale Adaption eines angeblich unverfilmbaren Stoffes ab.

    Im Leben des Werbefilmers Ballard (James Spader) und seiner Frau Catherine (Deborah Unger) ist die unerträgliche Leichtigkeit des Seins eingebrochen. Beide sind jung, abgeklärt und sexuell mehr als aktiv. Ihre Ehe ist offen und von ihren vielen Affären erzählen sich beide immer wieder, um ihr eigenes Sexleben zu würzen. Doch auch die vermeintliche Offenheit scheint längst zu einem leeren Ritual verkommen zu sein. Als Ballard in einen schweren Auounfall verwickelt wird, öffnet sich für ihn und Catherine die Büchse der Pandora. Fasziniert vom Schmerz der seiner Wunden stürzt er sich in eine Affäre mit Helen (Holly Hunter), die ebenfalls in den Unfall verwickelt war. Gemeinsam begibt sich das in sexueller Experimentierfreude verbundene Trio in den Dunstkreis des mysteriösen Vaughan (Elias Koteas), der dem Eros von Autounfällen verfallen ist und mit Gleichgesinnten wie der verstümmelten Gabrielle (Rosanna Arquette) Orgien in Unfallautos feiert. Dabei stellen sie Unfälle prominenter Opfer wie James Dean oder Jayne Mansfield nach, um in den Trümmern ihres Ruhmes sexuelle Gipfel zu erklimmen...

    In vielerlei Hinsicht schließt sich mit dem so schockierenden wie erotischen Drama „Crash" für Cronenberg, der sich Mitte der Neunziger im Aufbruch aus dem Body-Horror der frühen Jahre hin zum unberechenbaren Autorenfilmer befand, ein Kreis bis zu den Anfängen seiner Karriere. So war der Fetisch Automobil bereits in einer seiner ersten Regiearbeiten Thema – im 79er-Rennfahrerdrama „Fast Company". Dieses lose Ende wird ebenso wieder aufgegriffen wie Cronenbergs Faszination für den Autor Ballard, dessen zivilisationskritischen Roman „Der Block" er in seinen frühen Horrorfilm „Shivers" hatte einfließen lassen. In „Crash" kommt nun zusammen, was zusammen gehört. Wo die Vorlage mit ihren detailliert geschilderten Verstümmelungen, farbenfroh ausgewalzten Verkehrsunfällen und pornographischen Beschreibung völlig entfesselter Sexualität eine knallharte Bebilderung nahe legt, konzentriert sich Cronenberg aber lieber auf die Kälte zwischen den Exzessen.

    Vor allem handelt „Crash" nämlich wie der wenige Jahre später entstandene „Fight Club" vom modernen Menschen, dessen müder Geist sich von seinem Körper entfremdet hat und der sich in der Verstümmelung wieder erfahren will. Anders als David Fincher, der „Fight Club" als aufregenden Kino-Rausch umgesetzt hat, bevorzugt Cronenberg hier eine viel unterkühltere Inszenierung. Ballard ging bereits 1973 äußerst hart mit den Utopien der 68er, speziell der sexuellen Befreiung ins Gericht und sah in der koitalen Selbstsuche vor allem ermüdende Grenzüberschreitungen, die im Burnout enden würden. Auch in Cronenbergs Verfilmung wimmelt es nur so von Sexszenen – und keine einzige davon wirkt erregend, vielmehr sind sie irritierend oder gar abstoßend. Erst bei der Zerstörung von Autos und der Kopulation in den Wracks erleben die Figuren wieder einen hinreichend starken Kick. Schmerzen werden zum neuen Ambrosia, das den langweilig gewordenen Akt mit abseitigem Reiz auflädt.

    Bald jedoch reicht die Koketterie nicht mehr – und die Leere zwischen den Exzessen wird immer größer. Einen Ausweg aus dieser Einbahnstraße der Entäußerung sehen Ballard und Cronenberg nicht vor, auch die Sex- und Unfall-Junkies selbst scheinen keine Linderung ihrer Gelüste anzustreben. Das destruktive Triebleben führt sie geradewegs ins körperliche und geistige Verderben, übrig bleibt nur blanke Triebabfuhr. Bei der Kritik kam „Crash" damals hervorragend an, bei den Filmfestspielen in Cannes sackte Cronenberg sogar den Spezialpreis der Jury ein – an der Kasse jedoch fiel der massiv provokante Film durch. Auch den durch die Bank fantastischen Darstellern hat „Crash" kein Glück gebracht, wenn er sich aufgrund seines unbequemen Themas nicht gar als Karrieregift erwies.

    James Spader als Ballard, der sich sehenden Auges in eine Abwärtsspirale aus Eros und Thanatos begibt oder Elias Koteas, der als Vaughan einen Guru selbstzerstörerischer Erotik gibt – große Hollywood-Karrieren haben sie sich hier verbaut. Besonders Holly Hunter, die zu jener Zeit über Star-Qualitäten verfügte und sich sehr um eine Rolle in Cronenbergs Film bemühte, spielte sich hier trotz grandioser Arbeit ins Abseits. Neben ihr glänzt außerdem Rosanna Arquette als Crash-Junkie Gabrielle mit einer ikonischen und eindeutig zweideutig ausschauenden Narbe. „Crash" mag so manche Karriere zurückgeworfen haben, ebenso aber können alle Beteiligten stolz auf ihren Mut sein. Immerhin wurde so die Saat für Filme wie „Drive" oder „Shame" gestreut: Wie Cronenberg stilisiert auch Refn das Automobil zum Lustobjekt seelisch toter Drifter, wie Cronenberg erzählt auch McQueen unterkühlt von sexueller Erschöpfung im Endstadium. Beide haben viel von ihm gelernt – übertrumpft haben sie ihn noch lange nicht.

    Fazit: Selbst in der fordernden Filmographie David Cronenbergs sitzt das Kleinod „Crash" zwischen allen Stühlen – wer eine Konfrontation mit den dunkelsten Seiten menschlichen Trieblebens wagen will, bekommt vom risikofreudigen Kanadier hier die Gelegenheit dazu.

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