Mein Konto
    Die Konkurrenten - Russlands Wunderkinder 2
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Konkurrenten - Russlands Wunderkinder 2
    Von Martin Thoma

    Was wird aus Wunderkindern, wenn sie älter werden? Die oft gestellte Frage hängt direkt zusammen mit der Faszination, die gerade das Kindsein der Genies auf die meisten Menschen ausüben. Denn ein Wunderkind kann noch so großartige Leistungen vollbringen, bewundert wird es dafür nur unter dieser einen Prämisse: Dass es noch ein Kind ist. Und die Vergänglichkeit der Kindheit ist sogar noch sicherer als die Vergänglichkeit des Ruhms. Irene Langemann („Rubljovka - Straße zur Glückseligkeit") hat im Jahr 2000 einen Dokumentarfilm über vier russische Kinder-Klaviervirtuosen gedreht: „Russlands Wunderkinder". Zehn Jahre später sind diese nun junge Erwachsene, die versuchen, sich auf dem hart umkämpften Markt der klassischen Musik zu behaupten. „Die Konkurrenten – Russlands Wunderkinder 2" ist die logische Fortsetzung von Langemanns erster Dokumentation und ein sensibles filmisches Porträt von vier Spitzenmusikern, deren Leben, und das ist ganz wörtlich zu verstehen, schon immer die Musik war.

    „Was ist dein schlimmster Schmerz?"„Nicht gebraucht zu werden."

    Irene Langemann stellt Elena Kolesnitschenko diese Frage direkt nach ihrem Scheitern in der ersten Runde eines wichtigen Wettbewerbs. Schwachen Trost gibt es erst ein paar Tage später in Form persönlicher Entschuldigungsschreiben von zwei Jurymitgliedern, in denen sie die Taubheit ihrer Kollegen beklagen. Kolesnitschenko, 26, verheiratet, ein Kind ist nach Deutschland gezogen und lebt inzwischen in Hannover. Was ihre Karriere als Konzertpianistin angeht, hört sie, wie sie sagt, die biologische Uhr ticken. Außerdem will sie nicht „irgend eine Mucke machen", davon werde sie depressiv. Man lobt ihr Spiel, aber ohne einen ersten Preis in einem wichtigen internationalen Wettbewerb komme heute niemand mehr in ein großes Orchester und schon gar nicht mit 26 Jahren. Kolesnitschenko hat Zeit verloren wegen des Kindes, viele haben ihr gesagt, dass sie sich damit ihre Karriere verbaut. Der erste Preis bei besagtem Wettbewerb wäre ein Flügel gewesen. Auch darüber hätte sie sich gefreut. Sie hat nämlich keinen. Sie übt auf Instrumenten in Musikschulen. Man erfährt es nebenbei und man will es nicht glauben...

    Elena Kolesnitschenkos Leben nimmt etwas mehr Raum im Film ein, als das Schicksal der anderen drei. Irene Langemann scheut keine unangenehmen Fragen und zeichnet das sehr authentische Bild von Lebensentwürfen, bei denen die Musik im Mittelpunkt steht. Einen Off-Kommentar benötigt sie nicht. Die Aufnahmen der vier Virtuosen beim Klavierspielen machen die Dokumentation auch zu einem spannenden Musikfilm. Direkter vielleicht noch als bei einem Live-Konzert wird hier die enge Beziehung zwischen Musiker und Instrument sicht- und hörbar. Das Klavierspielen ist ein unverzichtbarer Teil der Person. Gleichzeitig zeigt der Film den Kampf der Konkurrenten darum, diesen Teil ihrer selbst in einen Musikbetrieb einzubringen, dessen Bedarf an Spitzenmusikern eigentlich gedeckt scheint. Ein sichtbar gemachter Existenzkampf.

    Ein paar wichtige ältere Herren sagen, wie sie die Sache sehen und im aufgezeigten Kontext klingt es wie der reine Hohn: In solchen Wettbewerben zeige sich, ob die Karriere als Konzertpianist wirklich das Richtige für diese jungen Menschen sei. Und besonders wichtig sei, ob einer Persönlichkeit habe. Von Personality spricht bekanntlich auch gerne Dieter Bohlen in seinen diversen Casting-Shows. Man darf davon ausgehen, dass hier dasselbe gemeint ist: die Verwertbarkeit des ganzheitlichen Menschen als Produkt.

    Irene Langemann fragt den 20-jährigen Dmitri Krutogolovy, eine äußerlich coole, aber auch etwas schüchtern wirkende Persönlichkeit, wie viel Jahre seines Lebens er bislang ausschließlich vor dem Klavier verbracht habe. Krutogolovy, der bei seiner Mutter lebt, die auch mal besorgt nachfragt, ob denn die Klavierhausaufgaben schon gemacht sind, rechnet nach. Es ist eine hohe Zahl im Zehnerbereich. Auf eine ähnliche Zahl käme natürlich jeder der vier. Die Tatsache, die meiste Zeit seines Lebens vor dem Klavier verbracht zu haben, erschreckt keinen. Die 18-jährige Irina Tschistjakowa spricht es aus: Mit ihrem Klavier habe sie sich nie einsam gefühlt. Der Horror liegt in der Möglichkeit, seine Karriere als Pianist schon mit um die 20 hinter sich zu haben, obwohl man doch nichts so gut kann und so sehr geliebt hat wie das Klavierspielen.

    Fazit: Irene Langemann ist mit „Die Konkurrenten - Russlands Wunderkinder 2" eine erhellende Fortsetzung, eine sehenswerte Dokumentation und ein emotional tiefgehender Musikfilm gelungen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top