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    European Award Winners
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    European Award Winners
    Von Björn Becher

    Seit Herbst 2004 hat es sich das Berliner DVD-Label KurtsFilme zur Aufgabe gemacht, ein oft vernachlässigtes Filmgenre, den Kurzfilm, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Angefangen mit der gelungenen Veröffentlichung „Gangster & Fußball“ verfolgte man dieses Ziel nun in ziemlich genau zwei Jahren mit über zehn DVD-Veröffentlichungen. Schon seit 2003, entstanden aus dem Projekt „Night Of The Shorts – Kurzfilm im Kino“, bringt der Kölner Filmverleih W-Film (http://www.kurzfilmkino.de/) den Kurzfilm ins Kino. Was liegt da näher als eine Kooperation. Mit „European Award Winners“ wird nun dieser logische Schritt begangen. Gemeinsam werden acht europäische Kurzfilme, fast alle mehrfach prämiert, auf DVD gepresst und so ab Mitte Oktober dem Heimkino zugänglich gemacht, gleichzeitig aber auch ein Teil der Filme in ein paar wenige, ausgewählte Kinos gebracht. [1]

    „J´attendrai Le Suivant“ macht den Anfang der Kompilation und kommt mit reichlich Vorschusslorbeeren daher. Eine Oscarnominierung 2003 und der Gewinn des Europäischen Kurzfilmpreises 2004 sind beachtliche Referenzen, welche größtenteils bestätigt werden können. Zwar ist Phillippe Orreindys Fünfminüter filmisch recht einfach gehalten, kann dafür aber mit seiner amüsanten Geschichte überzeugen. Ein Mann betritt eine U-Bahn und setzt zu einer Rede an. Er klagt über sein Singledasein und sucht nach Mrs. Right. Wo sind die fünf Millionen Single-Frauen in Frankreich, fragt er. Größtenteils erntet er Gelächter, doch eine Dame fühlt sich angesprochen. Mit jedem Satz erweicht er ihr Herz ein wenig mehr. Der von Co-Autor Thomas Gaudin brillant dargestellte Mann schafft es schnell, auch den Zuschauer zu überzeugen und setzt damit den Anfang für ein bitterböses Stückchen Film, welches absolut sehenswert und hochamüsant ist. Da verzeiht man den Film auch sein etwas direktes Zusteuern auf das schnell herannahende Ende.

    Amüsant geht es auch in „Goodbye Antonio“ zu. Regisseur Michael Zampino beschäftigt sich hier mit Orientierungslosigkeit und Ehezwist. Antonio, der sein Leben lang nie sein kleines italienisches Dorf verlassen hat, bekommt nach treuen Dienstjahren in seiner Firma als Pensionsgeschenk eine Reise spendiert. Die geht nicht irgendwohin, sondern direkt nach New York. Widerwillig macht er sich mit seiner Frau auf den Weg und muss sich bald der Bürokratie der Zollbehörde und kräftigen Sprachproblemen stellen. Zampino vergibt leider im Mittelteil die Möglichkeit einer satirischen Abrechnung. Stattdessen wechselt er plötzlich das Thema, schildert viel zu lange einen Streit des Ehepaars und schafft es erst gegen Ende wieder, in die richtige Spur zurückzufinden. Hier erreicht der Film dann die Klasse, welche man sich die ganze Zeit gewünscht hätte. Etwas zu spät, denn so ist sein auf zahlreichen italienischen Festivals ausgezeichnetes Werk zwar sehenswert, aber leider nicht auch nicht mehr als das.

    „The Most Beautiful Man In The World“ von Alicia Duffy besteht fast nur aus einer Szene, die sich ins Gedächtnis drängt, über die man nachdenkt, mit der man aber im Endeffekt dennoch nur wenig anzufangen weiß: Ein Mann entfernt liebevoll ein Insekt von der Schulter eines kleinen Mädchens. Zuvor hat sich das Mädchen gelangweilt, auf dem Boden gelegen, ist mit dem Fahrrad im Kreis gefahren, bis es den Mann sah. Danach sitzt es traurig wieder allein im Haus, die Mutter hat es hereinbefohlen, der Mann bleibt alleine im weiten Feld zurück. „The Most Beautiful Man In The World“ ist sicher der schwer zugänglichste Film der Sammlung und wird von vielen sicher auch als langweilig und nichts sagend eingestuft werden. Wenn man sich aber Zeit nimmt, sich Gedanken über die wenigen Minuten Film macht, ihn vielleicht noch ein zweites Mal anschaut, findet man vielleicht doch noch einen Zugang. Man bleibt dann zwar weiter mit Fragen, aber zumindest emotional berührt zurück.

    Während „The Most Beautiful Man In The World“ durch sein Ende zum Drama wird, liefert das Drama „Schmetterlinge des Feuers“ mit seinem Ende Hoffnung. Zwei Fremde sind in einem verlassenen Gebäude gestrandet. Vor einem improvisierten Lagerfeuer erzählen sie sich ihre Geschichten. Sie, eine junge Spanierin, missbraucht von ihrem Vater, hat eine große Dummheit begangen. Er, ein Nordafrikaner, illegal nach Spanien eingewandert und ohne Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Trotz all der Probleme der Protagonisten, erschafft Regisseur Luis Prieto mit schönen, poetischen Bildern von Beginn an eine hoffnungsvolle Stimmung. Diese neue Hoffnung schöpft sich dann aus der gewonnen Freundschaft, was zwar nett anzusehen ist, aber leider insgesamt doch recht simpel daherkommt. Ein klug gesetzter Moment der Unsicherheit bei der Protagonistin, als er verschwunden zu sein scheint, wertet den spanischen Beitrag, der nicht ganz in die Reihe zu passen scheint, da von ihm kein Awardgewinn bekannt ist, aber doch noch auf.

    „Beans“ ist einer von zwei Animationsfilmen in der Kompilation. Von ähnlicher Machart wie die Werke von Aardman Animations (Wallace und Gromit auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen), aber deutlich weniger budgetiert und daher bei weitem nicht so detailreich und flüssig in den Animationen, sorgt der Film für ein paar vergnügliche Minuten. Ein Mann kann auf dem Heimweg einfach nicht dem Duft köstlicher Bohnen widerstehen und isst einen Teller voll. Leider passt der Spruch „Jedes Böhnchen ein Tönchen“ bei ihm wie die Faust aufs Auge und übel riechend sind die Töne zudem. Der Super-GAU steht ihm aber noch bevor, denn seine Frau hat eine Überraschung für ihn vorbereitet. Zunächst gewöhnlich und sehr vorausschaubar, begeistert schließlich die gut eingeleitete Schlusspointe, die wohl jedem Zuschauer ein schadenfrohes Lächeln entlocken dürfte.

    Aus Slowenien stammt „Adrian“, eine ohne Dialoge auskommende, mit poetischen und größtenteils sehr schönen Bildern erzählte Geschichte um eine Mutter-Sohn-Beziehung während eines Adria Urlaubs. Verkompliziert wird das Verhältnis der beiden als sich die Mutter auf einen Urlaubsflirt einlässt und der Junge eifersüchtig reagiert. Regisseurin Maja Weiss überrascht durch eine erotische Nuance, welche sie der Beziehung von Mutter und Sohn von Anfang an mitgibt. Noch kaum spürbar, wenn sie zusammen in der Umkleidekabine sind, drängt dieser Aspekt beim gegenseitigen Eincremen nach vorne. Leider fesselt „Adrian“ mit seiner Geschichte nicht über die komplette Laufzeit von rund fünfzehn Minuten, ist aber trotzdem ein sehenswerter Beitrag zu den Themen Pubertät und Eifersucht. Das Setting in den siebziger Jahren ist ein weiterer Pluspunkt.

    Der längste und beste Beitrag der Kompilation ist „This Charming Man“ aus Dänemark, eine amüsante Verwechslungskomödie, bitterböse Abrechnung mit der Bürokratie und Hinweis auf den unterschwelligen Rassismus in großen Teilen der dänischen Gesellschaft. So entzaubert der Film auch den hierzulande vorhandenen Irrglauben, dass die nordischen Länder wie Dänemark frei von Arbeitslosigkeit- und Rassismusproblematik sind. Der seit zwei Jahren arbeitslose Lars Hansen hat wieder Aussicht auf einen Job. Doch eine Bedingung gibt es: Er muss ins Job-Programm des Arbeitsamtes aufgenommen werden, damit es staatliche Unterstützung für den Arbeitgeber gibt. Doch im Wust der Bürokratie kommt es zu einer Verwechslung und Lars’ ID-Nummer wird mit der des pakistanischen Einwanderers El-Hassan vertauscht. Statt der Bestätigung des Job-Programms bekommt Lars die Aufforderung, einen Sprachkurs anzutreten. Zu allem Überfluss ist die dortige Sprachlehrerin auch noch seine Jugendliebe Ida. Da die Behebung bürokratischer Probleme lange dauert und Lars auch noch erfährt, dass Ida ihren frisch angetretenen Job wieder verliert, wenn Schüler schwänzen, klebt er sich einen Schnurrbart an, färbt sich die Haare schwarz und tritt als El-Hassan den Sprachkurs an. Bald passiert, was er sich immer erträumt hat: Ida findet ihn sympathisch, beginnt sich in ihn zu verlieben. Aber leider nur in El-Hassan, der echte Lars wird ihr immer unsympathischer, denn sie hält ihn für einen Rassisten. Wundervoll schafft es Regisseur Martin Strange-Hansen in einem zwar überspitzen, aber noch glaubhaften Rahmen seinen Protagonisten immer tiefer in das Lügengeflecht hineingleiten zu lassen. Dies führt zu einer Reihe von irrwitzigen Szenen und bereitet über die gesamte Laufzeit ein riesiges Vergnügen. Erfreulicherweise macht sich Strange-Hansen nicht über seine Figuren lustig, sondern lässt sie dem Zuschauer schnell ans Herz wachsen und kann dann auch mit einem gelungenen, wenn auch nicht ganz unkitschigen Ende aufwarten. Dafür gab es zu recht 2003 den Oscar für den besten Live-Action-Short-Film.

    Letzter Beitrag und zweiter Animationsfilm der Kompilation ist „Flatlife“ aus Belgien. Jonas Geiernaert in Cannes mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnetes Werk zeigt auf witzige und überzeichnete Art die Zusammenhänge der einzelnen Parteien in einem Hochhaus. Exemplarisch ausgewählt werden vier Wohnungen durchgehend gezeigt. Jede Veränderung und Bewegung in einer Wohnung hat Auswirkungen auf eine der Anderen. Das ganz führt zu einer Kette von amüsanten Ereignissen, die in einem augenzwinkernden Finale münden. „Flatlife“ amüsiert vor allem deswegen, weil es Geiernaert versteht, mit den Erwartungen des Zuschauers zu spielen, diese in bestimmte Richtungen zu lenken und dann doch etwas anderes als das vermeintliche nahe Liegende passieren zu lassen.

    Mit diesen acht Kurzfilmen ist „European Award Winners“ eine gelungen Zusammenstellung, bei der keiner der Beiträge negativ auffällt. Allerdings erreichen auch nur „J´attendrai Le Suivant“ und „This Charming Man“ ein wirklich hochklassiges Niveau. Dazu sticht noch aufgrund seiner Besonderheit „The Most Beautiful Man In The World“ heraus. Bei einer Kompilation, welche den Titel „European Award Winners“ trägt, mag dies für den einen oder anderen vielleicht enttäuschend sein. Wer nämlich nicht nur eine Sammlung von guten, sondern von herausragenden Kurzfilmen erwartet, wird nicht bei jedem Beitrag fündig. Schade auch, dass in so einer klangvoll betitelten Sammlung europäische Kurzfilmkönner wie Nacho Vigalondo oder Virgil Widrich fehlen.

    [1] eine Terminliste hierfür findet sich auf der Homepage von W-Film:

    http://www.wfilm.com/nos/nos_schedule.php?sid=58208336f58331cc7e32a9681639e484&slid=de&pId=57

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