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    Wer weiß, wohin?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wer weiß, wohin?
    Von Jörg Brandes

    Bürgerkriege bringen es zwangsläufig mit sich, dass Menschen, die lange relativ friedlich nebeneinander lebten, plötzlich zu erbitterten Feinden werden. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen im zerfallenden Jugoslawien sind dafür ein trauriges Beispiel aus jüngerer Zeit. Auch der Krieg im Libanon, in dem sich von 1975 an Christen und Moslems 15 Jahre lang befehdeten, liegt noch nicht allzu lange zurück. Und selbst nach 1990 ist der einst als „Schweiz des Nahen Ostens" titulierte Mittelmeerstaat nicht mehr ganz zur Ruhe gekommen. Die Libanesin Nadine Labaki greift den in ihrer Heimat schwelenden religiösen Konflikt in ihrer Tragikomödie „Wer weiß, wohin?" auf, die sie allerdings in einem namenlosen Land ansiedelt, um ihr einen universalen Charakter zu geben. Wie bereits in ihrer sinnlichen Emanzipationskomödie „Caramel", deren Hauptschauplatz ein Beiruter Schönheitssalon war, spielen Frauen die wesentlichen Rollen. Ihre Protagonistinnen lassen sich diesmal allerhand einfallen, um die Männer in ihrem Dorf davon abzuhalten, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen – nicht selten zum Vergnügen des Zuschauers.

    In einem nur über eine marode Brücke erreichbaren Ort irgendwo im Nahen Osten führt die hübsche Amale (Nadine Labaki) ein kleines Café. Zu dessen Kunden zählen Männer und Frauen, Christen und Moslems. Nach einem längeren Bürgerkrieg bemüht man sich um ein einigermaßen friedliches Miteinander. Doch die Zeichen im Land stehen wieder einmal auf Sturm. Als bei einem „Public Viewing" im Dorffernseher über neue religiös motivierte Unruhen berichtet wird, zetteln die Frauen einen Streit an, um die Männer abzulenken. Später sabotieren sie sogar heimlich die TV-Anlage. Doch das nutzt wenig. Die Kunde dringt zu den Männern durch, die Spannungen wachsen. Ziegen in der Moschee und blutgetränktes kirchliches Weihwasser heizen die Negativstimmung zusätzlich auf. Im Bestreben, eine Eskalation der Gewalt zu verhindern, macht die Fantasie des allenfalls körperlich schwachen Geschlechts dann nicht einmal vor der Verpflichtung ukrainischer Stripperinnen und vor dem Verteilen von Haschplätzchen halt...

    Labakis zweiter Kinofilm beginnt mit einem Trauermarsch. Viele schwarz gekleidete Frauen begeben sich singend zu einem Friedhof, auf dem ihre Männer und Söhne liegen. Diese eindringliche Eröffnungssequenz lässt den Zuschauer bereits ahnen, dass ihn hier keine reine Komödie erwartet. Und tatsächlich: So sehr man sich später über die Finten der einfallsreichen Frauen amüsieren kann, so bestürzt ist man mitunter über die teils tumbe Gewaltbereitschaft der Männer. Gerade in der zweiten Hälfte ihres Films gelingen Labaki dazu auch immer wieder berührende Szenen. Etwa wenn die von der Regisseurin und Hauptdrehbuchautorin selbst verkörperte Christin Amale angesichts eines mal wieder ausartenden Streits ihrer Verzweiflung in einer lauten Anklagerede Luft macht und alle anwesenden Männer ihres Lokals verweist – einschließlich des muslimischen Malers Rabih (Julien Farhat), mit dem sie eine gegenseitige, aber nicht ausgelebte Zuneigung verbindet.

    Letztlich wird in der auch noch mit einigen Musical-Einlagen garnierten Tragikomödie die weibliche Fantasie gefeiert, das tut Labaki ohne sich dem Verdacht auszusetzen, den Konflikt zwischen den beiden Religionsparteien auf die leichte Schulter zu nehmen. Dabei stehen Amale & Co. in der Tradition der Frauen von Athen und Sparta, die in Aristophanes' Lustspiel „Lysistrata" ihre kriegslüsternen Gatten durch Sexentzug zur Räson bringen. Ihren starken Weibsbildern stellt Labaki allerdings ein dann doch arg schlicht geratenes Männerbild gegenüber. Bis auf den Priester und den Imam, die sich stets um Ausgleich bemühen, scheinen alle männlichen Erwachsenen im Dorf nur testosterongesteuerte Dumpfbacken zu sein.

    Fazit: „Wer weiß, wohin?" mag nicht die hohen Erwartungen erfüllen, die Nadine Labakis bezauberndes Debüt „Caramel" geweckt hat. Als humorvoll-märchenhaftes Toleranz-Plädoyer funktioniert der Film gleichwohl gut.

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