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    A Most Wanted Man
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    A Most Wanted Man
    Von Carsten Baumgardt

    Anton Corbijns düster-melancholischer „A Most Wanted Man“ ist eine sehenswerte Literaturverfilmung und ein treffender Kommentar zur (Geheimdienst-)Welt nach dem 11. September 2001, zudem besticht er durch eine zurückgenommene, nüchterne Inszenierung und atmosphärische Bilder. Vor allem ist der Thriller nach dem Roman von John Le Carré aber einer der letzten Filme, die Oscarpreisträger Philip Seymour Hoffman abgedreht hat, bevor er am 2. Februar 2014 in New York im Alter von nur 46 Jahren an einer Drogen-Überdosis starb und dieser frühe Tod gibt dem unterkühlten Spionage-Drama eine tieftraurige Note. Hier ist für uns alle noch einmal in tragischer Deutlichkeit zu sehen, welch überragendes Talent die Schauspielwelt mit Hoffman verloren hat. Der Vollblutmime liefert eine brillante Vorstellung ab und so wird „A Most Wanted Man“ zu einem Testament für einen begnadeten Darsteller.

    Als der mysteriöse Flüchtling Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin) illegal im Hamburger Hafen landet, bleibt fortan keiner seiner Schritte unbeobachtet. Gleich mehrere Geheimdienst-Parteien hängen an den Fersen des russischstämmigen Tschetschenen. An vorderster Front kämpft Günther Bachmann (Philip Seymour Hoffman) mit seinem kleinen Team einer deutschen Spionage-Spezialeinheit (u.a. Nina Hoss, Daniel Brühl, Kostja Ullmann) darum, ihn in die Finger zu bekommen. Der mutmaßliche Terrorist Karpov, in Gefängnissen in Russland und der Türkei gefoltert, stellt Kontakt zur islamischen Gemeinde in Hamburg her und kommt bei Leyla Oktay (Derya Alabora) und deren Sohn Melik (Tamer Yigit) unter. Mit Hilfe der Menschenrechtsanwältin Annabel Richter (Rachel McAdams) will Karpov über den britischen Banker Thomas Brue (Willem Dafoe) an das riesige Vermögen kommen, das ihm sein verhasster Vater hinterlassen hat. Bachmann, der wiederum von Dieter Mohr (Rainer Bock), dem Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes, unter Druck gesetzt wird, muss sich indes auch noch die hartnäckigen US-Schnüffler um CIA-Agentin Martha Sullivan (Robin Wright) vom Leib halten.

    Die Welt ist seit dem 11. September 2001 nicht mehr die gleiche. Die beispiellosen Terroranschläge auf New York und Washington D.C. forderten fast 3.000 Todesopfer und trafen die Supermacht USA bis ins Mark. Nach den traumatischen Attacken entwickelte sich in den Vereinigten Staaten eine regelrechte Paranoia, die sich längst nicht mehr nur gegen die Feinde des Landes richtet, sondern auch gegen Freunde und Verbündete: Gefahr kann von überall und von jedem drohen, daher nehmen die amerikanischen Behörden für sich das Recht in Anspruch, alle Menschen auf diesem Planeten zu überwachen. Diese veränderte Welt der neuen Ungewissheit und des allgemeinen Misstrauens hat Spionagethriller-Spezialist John Le Carré („Dame, König, As, Spion“) in seinem Roman „Marionetten“ ins Visier genommen und ihr frostiges Klima fängt auch der niederländische Fotograf und Filmemacher Anton Corbijn in seiner Verfilmung mit analytischem Scharfblick ein. Keiner traut keinem, jeder arbeitet für sich – die Grenzen zwischen Gut und Böse sind fließend. Das ist nicht nur hochspannend, es schälen sich auch permanent brisante moralische Fragen heraus: Wie weit dürfen Geheimdienste gehen, um Bürger vor Gefahr zu schützen? Wie ist mit der Terrorgefahr und mit verdächtigen Personen umzugehen? Am Beispiel des undurchsichtigen Karpov wird die Frage nach Schuld und Unschuld zudem in allen ihren widersprüchlichen Verästelungen verhandelt: Ist er nun Terrorist, Opfer, Märtyrer, Blender oder Betrüger?

    Die britisch-deutsch-amerikanische Co-Produktion „A Most Wanted Man“ ist kein Spionage-Reißer Hollywood’scher Prägung und auch der Kopfarbeiter Günther Bachmann könnte kaum weiter vom weltläufigen Glamour eines James Bond entfernt sein. Wie schon bei seinen ersten beiden Kinofilmen „Control“ und „The American“ setzt Anton Corbijn auf eine extrem reduzierte Inszenierung, schlägt ein eher mäßiges Tempo an und verzichtet auf dramatische Überhöhungen. Seine Erzählweise ist nicht gerade dynamisch, dafür umso präziser und auf eben diese Detailgenauigkeit kommt es hier an. Da ist zum Beispiel die unterschwellige Spannung zwischen Günther Bachmann und seiner altgedienten Mitarbeiterin Erna Frey (kühl gespielt von Nina Hoss). Es reichen zwei flüchtige Berührungen und ein paar verstohlene Blicke und im Kopf des Zuschauers entspinnt sich die mögliche Geschichte eines Paars, das vielleicht einmal eine Beziehung hatte und es jetzt am liebsten noch einmal versuchen würde, obwohl es weiß, dass es angesichts des chaotischen Arbeitsumfelds nicht funktionieren würde. So erzählt Corbijn gleichsam im Konjunktiv und reflektiert damit indirekt auch den brüchigen Status der Spione und Geheimniskrämer inmitten ständiger Tarnungen und Täuschungen – Wahrheit, Identität, Sicherheit sind für sie nur eine Illusion und damit auch für uns nicht zu haben.

    Die nüchterne Perspektive auf das gnadenlose Geschäft der Geheimdienste findet eine überzeugende Entsprechung in der Auswahl der Schauplätze. Bis auf einige wenige Szenen am Ende in Berlin ist das komplette Geschehen in Hamburg angesiedelt. Die bestechend düsteren Bilder von Kameramann Benoît Delhomme („Lawless“, „Zimmer 1408“) sind so unterkühlt wie die Stimmung des Films und zeigen die dreckigen Seiten der Elbmetropole, fernab des touristischen Hochglanzes. Während die teilweise fast schon trostlose Atmosphäre perfekt zum schmutzigen Geschachere der vermeintlichen Garanten von Sicherheit und Ordnung passt, findet Regisseur Corbijn für ein spezifisches Problem einer solchen internationalen Co-Produktion zumindest in der Originalversion keine befriedigende Lösung: Obwohl er zu großen Teilen in Deutschland spielt und die Besetzung überwiegend einheimisch ist, wurde „A Most Wanted Man“ in Englisch gedreht. Wenn die deutschen Figuren nun untereinander englisch sprechen, ist eigentlich deutsch gemeint, was in unseren Ohren unnatürlich und steril klingt – und nebenbei die Glaubwürdigkeit des sonst so präzisen Porträts der Geheimdienstarbeit unterläuft. In diesem Fall kann es also durchaus etwas für sich haben, wenn man die Synchronfassung schaut, dann bleibt einem zumindest erspart zu hören, wie Philip Seymour Hoffman den Namen seiner Figur ausspricht oder wie die fahrradfahrende Öko-Anwältin Annabel Richter als „Fräulein Rickta“ tituliert wird.

    Trotz der kleinen Sprachprobleme thront das schauspielerische Schwergewicht Philip Seymour Hoffman („Capote“, „The Master“) gleichsam über dem Rest der Besetzung. Sein Günther Bachmann ist ein alter Fuchs, der schon alles gesehen hat, eigenwillig, mürrisch, störrisch, aber loyal gegenüber seinem Team. Der Flachmann und die Kippe im Hals sind seine ständigen Begleiter, dabei wird aus der angedeuteten Alkoholsucht keine große Sache gemacht, vielmehr bringt Hoffman so feinfühlig und wahrhaftig wie es kaum ein zweiter Schauspieler seiner Generation beherrscht, eine tiefsitzende Melancholie zum Ausdruck, die den ganzen Film prägt – eine oscarreife Leistung. Den deutschen Darstellern bleibt da nur die zweite Geige, Daniel Brühl („Rush“) bleibt ebenso wie Kostja Ullmann („Groupies bleiben nicht zum Frühstück“) mehr im Hintergrund, während Charakterköpfe wie Rainer Bock („Hänsel und Gretel: Hexenjäger) und Martin Wuttke („Inglourious Basterds“) kurze, aber prägnante Auftritte als Geheimdienstler haben. Ein Wiedersehen gibt es auch mit Pop-Superstar und Teilzeitschauspieler Herbert Grönemeyer („Das Boot“), der zwei kurze Szenen als Regierungsstrippenzieher hat und auch dieses Mal die Filmmusik für seinen Freund Corbijn beisteuert. Nicht ganz ideal besetzt ist die Rolle der idealistischen Menschenrechtsaktivistin Annabel Richter, in der sich die Kanadierin Rachel McAdams („Alles eine Frage der Zeit“) nicht recht wohlzufühlen scheint – die Figur ist allerdings auch arg naiv angelegt.

    Fazit: Anton Corbijns Verfilmung von John Le Carrés Bestseller „A Most Wanted Man“ ist ein Spionage-Thriller klassischer Prägung, der trotzdem perfekt in die geheimdienstliche Hysterie der heutigen Zeit passt – spröde, düster, pessimistisch, vielschichtig und packend!

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