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    The Straight Story - Eine wahre Geschichte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    The Straight Story - Eine wahre Geschichte
    Von Hans Riegel

    David Lynchs „The Straight Story“ ist das eindrucksvolle Portrait eines alten Mannes, eine der einfühlsamsten Familiengeschichten und das unkonventionellste Road Movie, das die Filmwelt bisher gesehen hat. Dies ist einmal mehr der exzellenten Arbeit des Lynch-Komponisten Angelo Badalamenti zu verdanken. Mit seinem eindringlichen Score scheint er Alvin auf seinem Mäher voranzutreiben, ihm den Startschuss für die nächsten Etappen zu geben oder ihn zumindest ein Stückchen auf diesen zu begleiten. Darüber hinaus entwirft Badalamenti einen kompositorischen Spiegel, der Alvins Entschlossenheit, die Reise trotz aller Hindernisse fortzusetzen, immer wieder reflektiert.

    Alvin Straight (Richard Farnsworth) ist ein „alter Kauz“, so sagt er selbst. Mit seiner Tochter Rose (Sissy Spacek) lebt er in Laurens, Iowa, einem kleinen verschlafenen Nest. Dort läuft das Leben in ruhigen und geregelten Bahnen… bis eines Tages Alvin nicht zu seinem Treffen in der örtlichen Kneipe erscheint. Seine Freunde machen sich Sorgen und begeben sich auf die Suche, denn sonst ist auf Alvin Verlass. So trägt es sich zu, dass Alvin, der zu Hause wohl einen Schwächanfall erlitten hat, nun auf dem Boden liegend, von seinem Freund gefunden und seiner Tochter zum ungeliebten Arztbesuch genötigt wird. Wie es um seine Gesundheit bestellt ist, weiß Alvin im Grunde genau. Der Arzt bestätigt es. Alvin ist alt, 73 mittlerweile, seine Hüften sind schwach, sodass er sich morgens nur mit Mühe aus dem Bett quälen kann und er raucht – das sieht und hört man. Sollte sich sein Lebensstil nicht bald ändern, habe er mit ernsten Konsequenzen zu rechnen, so der besorgte Mediziner.

    Rose ahnt von alledem nichts. Alvin hält es für besser, ihr nichts von seiner Diagnose zu erzählen; stattdessen geht alles weiter seinen Gang. Rose ist ein einfaches Gemüt – etwas langsam wie die anderen sagen, doch für ihren Vater ist sie etwas ganz Besonderes. Sie regelt den Haushalt, verdient mit selbstgebauten Vogelhäuschen den Lebensunterhalt der beiden und hat ein enormes Gedächtnis – zumindest für Fakten. Allein das Rasenmähen besorgt der alte Mr. Straight noch selbst. Er sitzt dabei auf einem roten, ihm ebenbürtigen Rasenmäher und durchkreuzt Zigarre rauchend das Grundstück rund um das Haus. Als Alvin gemeinsam mit Rose am Abend des Arztbesuches im Wohnzimmer sitzt und sie ein Gewitter beobachten, klingelt das Telefon. Es ist Bobby. Rose, von Sissy Spacek teils ergreifend mütterlich, teils hilflos überfordert dargestellt, begibt sich an den Apparat. Schon an der Stimme ist ihr anzuhören, dass Bobby keine guten Nachrichten hat. Lyle, der Bruder, den Alvin seit zehn Jahren nicht gesehen und mit dem er kein Wort mehr gesprochen hat, liegt im Krankenhaus. Er hatte einen Schlaganfall.

    In einer Ruhe, schwebend zwischen Gefasstheit und Wiedererwachen der vereisten Gefühle für Bruder Lyle, nimmt Alvin die Botschaft auf. Am nächsten Tag dann steht sein Entschluss fest: Er wird Lyle besuchen und endlich seinen Frieden mit ihm machen. Wie genau er seine Reise begehen wird, weiß er nicht; nur dass es sein muss, das ist gewiss. Seine Reisevorbereitungen ähneln einem großen Abschied – vielleicht für immer. So geht Alvin in eines der örtlichen Geschäfte, um Material für seine Fahrt zu beschaffen. Er kauft unter anderem einen Greifarm, der später zum Aufheben von Ästen dient, den der Verkäufer, ein alter Bekannter von Alvin, aber nur widerwillig hergibt. Symbolisch steht diese Szene, in der nicht nur der Verkäufer, sondern auch einige Kunden Unverständnis gegenüber Alvins Aufgabe zeigen, für den schweren Abschied, den sie erahnen und mit dem sie bald zu rechnen haben.

    Dies nun ist der Beginn einer unglaublichen Reise, eines unvergleichlichen Road Movies, in dem Alvin Straight auf einem Rasenmäher von Laurens in Iowa zu seinem Bruder Lyle nach Mount Zion in Wisconsin, was laut Rose eine Strecke von 507 Kilometern ist, zu gelangen versucht. Wie Alvin diese Reise bestreitet, was ihm auf seinem Weg dorthin widerfährt und wie es letztendlich ausgeht, gehört jedoch nicht in diese Rezension.

    Im höchsten Maße ist dies aber auch ein poetisches und bewegendes Testament für Hauptdarsteller Richard Farnsworth, der für seine Darstellung des versöhnlichen Alvin Straights eine Oscarnominierung erhielt. Am 6. Oktober 2000 starb er im Alter von 80 Jahren. Zuvor jedoch, bot er in dieser Rolle die gekonnte Verkörperung eines alten Querulanten, der auf ein gutes Ende hofft. Für Alvin ist das Schlimmste am Altsein, die Erinnerung daran, einmal jung gewesen zu sein. Merklich versteht Richard Farnsworth, der lange Jahre als Stuntman in Hollywood tätig war, was Alvin damit ausdrückt. Die nötige Tiefe und innere Unsicherheit, wie Lyle reagieren wird, bringt er treffend zur Geltung und verleiht seinem alter ego gerade dort, wo Alvin in seine Vergangenheit versinkt, eine eindrucksvolle Präsenz.

    Nicht zu vergessen oder gar zu verheimlichen gilt, dass es sich trotz aller offensichtlichen Gemächlichkeit noch immer um einen „Film by David Lynch“ handelt, was dem Regisseur in der Vergangenheit – erst recht in der jüngsten – einen gewissen Ruf vorausschickte. Den Ruf eines solchen Regisseurs, der von Dunkelheit spricht, der den Verfall zeichnet und der die Menschen an ihre Grenzen führt. Was den Meister nun bewogen hat, sich nach Filmen wie Eraserhead oder Blue Velvet einem solchen Stoff zuzuwenden, kann wahrscheinlich er selbst ein weiteres Mal nicht beantworten. Fest steht jedoch, dass es sich auf eine besondere Weise um einen typischen Lynch-Film handelt. So lässt sich zumindest am Rande seine persönliche Affinität zu Maschinen, zu Technik und filigranen Dingen erahnen, die ihre ganz eigene Faszination besitzen und ihn in ihren Bann ziehen. Das ist es auch, was er uns zu vermitteln versucht. Er ist ein Liebhaber kleinster Details, die hier eine viel höhere Wichtigkeit besitzen, als man es aufgrund ihrer Beschaffenheit oder Größe vermuten mag. Hier muss nicht immer Symbolismus im Vordergrund stehen; nein, oftmals sind David Lynchs Filme autobiographisch berührt. Es bedarf dann keiner großen Symbole, es sind eher kleine Details, die sich entdecken und lieben lassen.

    Auf Alvins Reise wird der Zuschauer nicht nur von der wunderbar einstimmenden Musik begleitet, sondern auch von David Lynchs einfallsreicher Bildsprache, in der Überblenden den Horizont, den Weg, den Alvin noch vor sich hat, immer wieder zu Bordüren seines derzeitigen Standorts machen. Bei aller Romantik für diese wahre Geschichte und in dem Wissen, dass auch die Höchstwertung kein Hohn wäre, gibt es nur den diesen kleinen Wehrmutstropfen, dass die Reise, und wenn nur um des Kritikers Willen, ruhig noch eine Weile hätte laufen können. Was „The Straight Story“ aus persönlicher Sicht für eine Höchstwertung fehlt, lässt sich nicht recht sagen, es ist vielmehr eine Sache des Geschmacks…

    Am Ende dieser Reise durch die Seele und Vergangenheit eines liebenswerten und eigensinnigen Mannes, kann es nur den einen Schluss geben: einen Himmel von Sternen erfüllt, Hoffnung auf ein glückliches Ende und das Fazit, dass David Lynch ein Meister seines Fachs und – der Rest – Geschmackssache ist.

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